Colditz zuckte mit den Schultern.
„Die üblichen kleinen Anzeichen“, murmelte er. „Eine plötzliche Veränderung in ihrem Benehmen. Oft konnte sie mir nicht erklären, was sie zu einer bestimmten Zeit gemacht hatte. Sie legte sehr viel mehr Wert auf Kleidung und Aussehen als früher. Und zudem fing sie an, Schmuck zu tragen. Es handelt sich offensichtlich um Imitationen, aber trotzdem ...“
„Haben Sie daran gedacht, dass es Geschenke sein könnten?“
Colditz schwieg.
„Jetzt erzählen Sie mir mal genau, wie der heutige Abend verlaufen ist“, forderte Katharina ihn auf.
„Elisa und ich sollten heute Abend zu den Wuttkes kommen und mit ihnen zusammen feiern. Sie waren ja auch eingeladen. Nachdem die Konferenz beendet war, fuhr ich direkt zu mir nach Hause, um Elisa abzuholen. Aber sie hatte das Haus bereits verlassen und mir einen Zettel hingelegt, auf dem stand, dass sie noch etwas erledigen müsste, und dass sie möglicherweise direkt zu den Wuttkes käme, wenn die Zeit zu knapp würde. Ich packte die Geschenke zusammen und wollte gerade gehen, als das Telefon klingelte. Ich legte die Päckchen beiseite und hob den Hörer ab.“
„Haben Sie die Stimme erkannt?“, wollte Katharina wissen.
Colditz zögerte einen Augenblick.
„Es war ganz eigenartig“, erwiderte er schließlich. „Der Akzent und der Tonfall kamen mir irgendwie vertraut vor, und doch konnte ich nicht feststellen, wer der Anrufer war. Wenn ich jetzt daran denke, dann glaube ich, dass es sich um jemanden handelt, den ich sehr gut kenne, und das der Mann seine Stimme verstellt hat. Ich kann Ihnen aber wirklich nicht sagen, wer die Person war. Sie hat nur ganz wenig gesprochen.“
„Was?“
„Sie sagte, meine Frau würde sich in Zerbans Wohnung befinden. Der Anrufer gab mir die Adresse und meinte, ich solle doch mal dort vorbeischauen. Natürlich wollte ich eine Erklärung haben, aber die Person wiederholte nach einer kurzen Pause nur, was sie schon gesagt hatte.“
Katharina runzelte die Stirn. Die Einzelheiten, die Colditz ihr erzählt hatte, klangen nur allzu vertraut. Aus Erfahrung wusste sie, dass diese Methode typisch war für Erpresser und anonyme Anrufer, die nicht identifiziert werden wollten. Sie nahmen ihre Stimme einfach auf ein Tonband auf, das man in verschiedenen Geschwindigkeiten ablaufen lassen konnte. Wenn sie das Band tatsächlich ablaufen ließen, stellten sie es auf eine andere Geschwindigkeit. Dadurch wurde die Stimme so verzerrt, dass sie vollkommen unkenntlich war. Die kurze Pause, die Colditz erwähnt hatte, ließen sie zu dem Schluss kommen, dass der Anrufer das Band schnell zurückspulte, bevor er den Telefonhörer wieder an den Lautsprecher des Geräts hielt. Colditz schien sich dieser Tatsache nicht bewusst zu sein, aber Katharina war das Vorgehen des Anrufers ganz klar. Mit verstärkter Aufmerksamkeit folgte sie den Worten des Ingenieurs, doch der Rest der Geschichte, die er ihr erzählte, half ihr kaum weiter.
Er hatte seinen Wagen vor Zerbans Haus geparkt, ohne einen festen Plan zu haben. Dann hatte er eine Weile auf dem Bürgersteig gewartet und war schließlich mit dem Fahrstuhl hinaufgefahren.
„Ein Detail passt leider nicht zu Ihrer Geschichte“, meinte Katharina, nachdem er geendet hatte. „Als ich im Korridor stand, um Zerbans Wohnung zu beobachten, sah ich, dass sie seine Tür mit einem Schlüssel öffneten.“
„Richtig“, gab Colditz ohne zu zögern zu. „Die Stimme am Telefon hatte mir doch gesagt, dass ich in meinem Briefkasten einen kleinen Umschlag finden würde, der den Schlüssel zu dem Apartment enthielt. Eine Stunde habe ich noch auf Elisas Rückkehr gewartet. Als sie nicht kam, bin ich losgefahren.“
Die Spontanität der Antworten gab den Ausschlag. Katharina ging auf ihn zu und durchsuchte seine Taschen.
„In meiner rechten“, half Colditz ihr.
Vorsichtig langte sie mit der Hand hinein und zog den Briefumschlag heraus. Sie hielt ihn an der linken Ecke zwischen ihren Fingerspitzen, um etwaige Spuren nicht zu verwischen. Anscheinend hatte der Täter beim Schließen des Umschlags seine Finger zu stark darauf gepresst, denn man konnte noch deutlich die Abdrücke des kleinen Schlüssels erkennen.
Katharina legte das Briefkuvert sorgfältig auf den kleinen Tisch. Trotz allem war sie noch nicht vollkommen überzeugt. Sie musterte den Ingenieur.
„Wie kommt es, dass Sie keinen Mantel tragen?“
„Ich könnte Ihnen die gleiche Frage stellen“, gab Colditz zurück.
„Ich bin gegen Kälte ziemlich unempfindlich und ziehe einen Mantel nur an, wenn mir nichts anderes übrigbleibt.“
„Ich habe meinen Mantel im Wagen gelassen“, erklärte er. „Aber aus einem ganz anderen Grund. Ich wollte die bestmögliche Bewegungsfreiheit haben, wenn ich dem Liebhaber meiner Frau gegenübertrete.“
„Oder um ihn zu töten“, erklang plötzlich hinter ihnen eine Stimme.
Colditz‘ Gesicht nahm einen erstaunten Ausdruck an. Katharina drehte sich nach dem Besucher um, der so lautlos eingedrungen war, dass sie überhaupt nichts bemerkt hatte.
„Oh!“, rief die Detektivin. „Sie haben aber lange gebraucht.“
Kriminalhauptkommissar Karl Reese hob die Hände. Er zog seinen dunkelblauen Mantel aus und legte ihn auf das Sofa.
„Sie sollten mal den Verkehr draußen sehen“, antwortete er. „Wie bei einem Streik der öffentlichen Verkehrsmittel.“
Katharina hatte Reese vor mehreren Monaten während der Ermittlungen im Mordfall Werner Henke kennengelernt. Er schien ihr kompetent genug zu sein, um sich mit dieser Angelegenheit zu befassen. Reese ging auf die Leiche zu und betrachtete sie gründlich. Dann kehrte er zu Katharina und Colditz zurück, ließ sich neben seinem Mantel auf das Sofa fallen und setzte sich bequem zurecht. Er streckte die Beine aus und verschränkte die Hände vor dem Bauch. Reese war ein korpulenter Mann Mitte vierzig. Bis auf einen kleinen Haarkranz hatte er keine Haare mehr auf dem Kopf, sodass er aussah, wie ein Mönch. Er hatte gerötete Augen, eine lange Nase, weit abstehende Ohren und einen schmalen Mund.
„Erzählen Sie!“
Katharina folgte der Aufforderung. Als sie geendet hatte, waren auch der Arzt und zwei weitere Kriminalbeamte eingetroffen. Alle drei schienen verärgert, dass sie ausgerechnet an Weihnachten Dienst tun mussten. Der Arzt näherte sich der Leiche, während die beiden anderen Männer auf Colditz zugingen, um ihn trotz seines energischen Protests in ihrem Dienstwagen zum Landeskriminalamt zu bringen. Katharina gab Reese die Muster der Fingerabdrücke, die sie von Stollberg bekommen hatte. Er versprach ihr, sie sobald wie möglich wieder zurückzugeben.
„Sie glauben also nicht, dass Colditz der Schuldige ist?“
Katharina schüttelte den Kopf.
„Ich bin davon überzeugt, dass er die Wahrheit sagt“, erwiderte sie. „Außerdem gibt es da etwas, das nicht so recht ins Bild passt. Zerban musste doch logischerweise heute Abend einen Bericht über die Angaben erwarten. Aber alles, was er bekommen hat, ist ein Schlag auf den Kopf.“
„Ja, Sie haben recht. Das ist wirklich sehr sonderbar“, stimmte Reese ihr zu. „Wissen Sie genau, dass der Ingenieur den Bericht nicht bei sich hatte?“
„Ich bin absolut sicher. Ich habe sowohl ihn als auch die ganze Wohnung durchsucht.“ Reese warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. „Sie kennen mich jetzt lange genug, um zu wissen, dass ich auch nicht den kleinsten Kragenknopf an eine andere Stelle legen würde“, fügte Katharina hinzu.
Mit dem Finger wies er auf die Flasche und das Glas auf dem Tisch.
„Ich hoffe, Sie haben auch das nicht angerührt.“
„Weder das Glas noch die Flasche“, beruhigte sie ihn. „Aber ich möchte Ihnen