Die Todesursache war nicht zu übersehen. Der Hinterkopf wies eine blutverkrustete Wunde auf. Katharina bückte sich, um die Mordwaffe näher zu untersuchen. Es handelte sich um die etwa zwölf Zentimeter große Statue einer jungen Frau. Der Bronzesockel war blutverschmiert. Langsam richtete sich Katharina wieder auf.
„Fröhliche Weihnachten“, murmelte sie.
2
Jedes Mal, wenn Katharina einer Leiche gegenüberstand, stürzten sämtliche Probleme, die sich bei einem gewaltsamen Tod erheben konnten, gleichzeitig auf sie ein. Die Lage erforderte es dringend, dass sie sofort die Polizei verständigte. Mit schnellen Schritten entfernte sie sich vom Schreibtisch. Nachdem sie ein Taschentuch um ihre Hand gewickelt hatte, drückte sie die Klinke der Tür herunter, die in den Nebenraum führte. Es handelte sich um das Schlafzimmer. Hier herrschte eine heillose Unordnung. Das Bett war nicht gemacht, und die beiden Schränke standen offen. An der Innenseite einer Tür hingen mehr als drei Dutzend Krawatten in allen möglichen Farben. Wahllos zog Katharina ein ganzes Bündel heraus und kehrte rasch zu Dietrich Colditz zurück, der noch immer am Boden lag. Mit einigen geschickten Griffen fesselte sie den Mann. Schließlich vollendete sie ihr Werk damit, dass sie die auf den Rücken gebundenen Hände ihres Opfers mit den Füßen so eng verband, dass er dalag wie ein Paket. Sie drehte ihn seitwärts. Infolge dieser unbequemen Lage würde Colditz wahrscheinlich unter Krämpfen zu leiden haben, aber wenigstens konnte er nicht mehr bewegen.
Mit Befriedigung betrachtete sie ihre Arbeit, dann machte sie sich auf die Suche nach einem Telefon. In der ganzen Wohnung fand sie keinen Apparat. Schließlich musste sie ins Treppenhaus hinausgehen und ihr Glück bei den Nachbarn versuchen. Der zweite Mieter, den sie störte, war ein schüchterner und höflicher Mann, dessen hochrotes Gesicht bereits die drohende Leberkrise ankündigte, die unweigerlich am nächsten Morgen auf den üppigen Festbraten folgen musste.
„Das Telefon ist dort“, sagte er und deutete auf einen kleinen Tisch im Flur. Dann fragte er mit plötzlicher Besorgnis: „Ist es ernst?“
Katharina schüttelte den Kopf.
„Er leidet nicht mehr.“
„Das ist gut. Ich lasse Sie allein, sonst wird mein Essen ganz kalt. Wenn Sie gehen, brauchen Sie nur die Tür hinter sich zuzuziehen.“
Im ersten Moment war Katharina versucht, die Nummer der Polizei zu wählen, doch dann kam ihr eine bessere Idee.
„Hallo?“, fragte sie, als am anderen Ende abgenommen wurde. „Ist dort Kommissar Reese?“
„Sind Sie es, Frau Ledermacher?“
„Ja.“
„Was gibt es denn?“
„Sie müssen sofort kommen.“
Er lachte.
„Von wegen. Ich esse gerade und denke nicht daran, meine Mahlzeit zu unterbrechen.“
„Es geht um Mord. Sie können sich Ihren Pflichten nicht entziehen.“
Die Stimme des Kommissars wurde ernst.
„Lassen Sie diese dummen Witze! Am Heiligen Abend tötet man nicht.“
„Vermutlich hat der Mörder nicht auf den Kalender geschaut. Ich gebe Ihnen jetzt die Adresse.“
Reese notierte sich die Angaben, die Katharina machte, und gab ihr anschließend noch einen guten Rat.
„Ich werde einige Leute mobilisieren und auch den Arzt. Bewegen Sie sich nicht von der Stelle, und vor allem fassen Sie nichts an.“
„Danke für die ausführlichen Instruktionen. Ich werde jetzt überall meine Fingerabdrücke hinterlassen und dann ins Kino gehen. Was macht Ihre Frau?“
„Sie braucht den Abend nicht allein zu verbringen“, beruhigte sie Reese. „Wir haben einige Bekannte zu Besuch. Also, bis gleich.“
Katharina legte den Hörer auf und verließ leise das Apartment. Als sie in der Nachbarwohnung ankam, warf sie einen Blick auf Colditz, der sie wütend anstarrte. In aller Eile begann sie die Wohnung zu durchsuchen. Ihr Taschentuch benutzte sie dazu, auf jeden Fall Fingerabdrücke zu vermeiden. Während sie peinlich genau darauf achtete, die Lage der Leiche nicht zu verändern, öffnete sie die Schubladen des Schreibtischs. Sie fand etwas Geld, eine Pistole und zahlreiche Hefter, die maschinegeschriebene Berichte über die Vor- und Nachteile aller möglichen Waren enthielten. Sie reichten von Fernsehgeräten bis zu Fleckenentfernern.
Katharina schloss die Schubladen und betrachtete dann mit finsteren Blicken das blaue, gutsitzende Jackett des Ermordeten. Mit wenigen Schritten war sie wieder im Schlafzimmer, wo sie noch einmal alles gründlich absuchte. Schließlich kehrte sie ins Wohnzimmer zurück und näherte sich dem kleinen Tisch. Sie hob das Glas hoch, das dort stand, und roch daran. Der Rest der goldenen Flüssigkeit, die noch den Boden des Glases bedeckte, stammte aus der Cognacflasche, die ebenfalls auf dem Tisch stand. Irgendetwas an dem Glas störte sie. Immer darauf bedacht, keine Spuren zu hinterlassen, öffnete sie die kleine Hausbar und musterte eingehend den Satz von Gläsern, zudem das andere zu gehören schien. Sie zählte elf Gläser, die mit Spielkarten verziert waren. Nachdenklich und neugierig ging sie in die Küche, wo sie den Boden vor dem Mülleimer einer gründlichen Inspektion unterzog. Tatsächlich entdeckte sie winzige Glassplitter. Zweifelnd schüttelte sie den Kopf.
Colditz wälzte sich am Boden und versuchte mit allen Mitteln, sich zu befreien. Ungerührt sah Katharina seinen Anstrengungen zu und ließ vor ihrem geistigen Auge noch einmal die Ereignisse abrollen, die diesem seltsamen Abend vorausgegangen waren.
3
Die ganze Geschichte hatte acht Tage früher begonnen. Ein livrierter Chauffeur hatte an Katharinas Tür geklingelt. Als sie öffnete, klemmte er seine Dienstmütze unter den linken Arm und blieb in höflich abwartender Haltung stehen.
„Frau Ledermacher?“
„Nur nicht so steif“, ermunterte sie ihn lächelnd. „Ich wollte eben mit meinem Lebensgefährten zu einem kleinen Picknick am Ufer der Spree starten, und obwohl ich in meinem Leben schon allerhand mitgemacht habe, ist es mir doch nie vergönnt gewesen, in einem Rolls-Royce durch die Stadt zu kutschieren. Sollten sie also Zeit haben ...“
Die Brauen des Chauffeurs hoben sich um einige Zentimeter, und er errötete leicht.
„Ich fahre keinen Rolls-Royce, sondern einen Mercedes.“
Er überreichte ihr einen Umschlag, aus dem sie die Visitenkarte von Herrn Otto Stollberg, Gründer der „Stollberg