„Wo habe ich vorhin nur den Haustürschlüssel hingelegt?“, fragte sie. „Ach, da ist er ja.“
Mit schnellen kurzen Schritten ging sie zum Schreibtisch, um den kleinen Schlüssel zu holen. Dann wandte sie sich an die Detektivin.
„Darf ich fragen, wohin Sie wollen?“
Katharina nannte ihr die Adresse.
„Das kommt mir doch bekannt vor“, überlegte sie mit leicht zusammengekniffenen Augen.
„Es ist die Adresse von Helmut Bente.“
Elisas Gesicht belebte sich wieder.
„Ach ja. Jetzt erinnere ich mich wieder. Ich weiß, wo er wohnt.“ Sie machte Anstalten, das Wohnzimmer zu verlassen, doch dann blieb sie plötzlich stehen.
„Könnten Sie vielleicht noch fünf Minuten warten? Ich möchte eine Tasche für Dietrich packen und sie im Landeskriminalamt abgeben.“
„Natürlich“, antwortete Katharina. „Das hätte ich Ihnen sowieso vorgeschlagen.“
8
Als Katharina sich der Haustür von Helmut Bentes Wohnung näherte, überkam sie plötzlich eine lähmende Müdigkeit. Am liebsten wäre sie auf der Stelle eingeschlafen. Sie beneidete Elisa Colditz, die sich jetzt mit ihrem Wagen auf dem Heimweg befand und bald in ihr Bett sinken würde. Der Polizeibeamte, der die Wohnung bewachte, war von Reese über Katharinas Kommen unterrichtet worden. Er stand im Erdgeschoss und führte sie zur Wohnung des Ingenieurs hinauf, dass in der sechsten Etage auf der Hofseite lag.
Als Katharina durch die Tür trat, hatte sie das Gefühl, sich in einem Museum zu befinden. Den Korridor, dessen Wände mit kostbarem Holz getäfelt waren, schmückte eine Bodenvase aus der Ming-Dynastie. Sie stand auf einem kunstvoll gearbeiteten Bronzesockel, der allein schon einen ungeheuren Wert darstellte. Die Vase war mit Ornamenten in einem strahlenden Blau verziert. Von der Vorhalle führten vier Glastüren in verschiedene Zimmer. Für einen Kunstliebhaber wäre die Wohnung eine wahre Fundgrube gewesen.
Die schweren Vorhänge an den Türen waren zur Seite geschoben und gaben den Blick auf das Innere der Räume frei. Der Inhaber der Wohnung hatte mit liebevoller Sorgfalt Wertgegenstände aus den verschiedenen Epochen zusammengetragen, die fast alle aus dem Orient stammten. An den Wänden standen lackierte Schränkchen, mit viel Geduld von den Händen chinesischer Künstler geschnitzt. Selbst einem Laien, der von Antiquitäten nicht das Geringste verstand, wären bei diesem einzigartigen Anblick die Augen übergegangen.
Allen Zimmern war indessen eines gemeinsam: ein Diwan aus Mahagoni, der äußerst bequem schien. Katharina bemerkte, dass zwei der Liegestätten nicht gemacht waren. Sie öffnete die Tür auf der gegenüberliegenden Seite.
„Ah, da sind Sie ja“, sagte Kommissar Reese. „Ich glaube, wir werden heute einen Weihnachtsabend erleben, an den wir uns noch lange erinnern.“
„Da bin ich ganz Ihrer Ansicht“, erwiderte sie zustimmend.
Katharinas Blicke wanderten zum Sofa, auf dem drei junge Frauen saßen, die krampfhaft ihre knappen Negligés zuhielten. Dann sah sie Helmut Bente, der, nur mit einem Kimono bekleidet, wie ein Häufchen Elend in einem Sessel am anderen Ende des Zimmers zusammengesunken war. Schließlich richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die drei leicht bekleideten Frauen.
„Offenbar verbringen nicht alle Leute den Weihnachtsabend auf so unerfreuliche Weise wie wir“, meinte sie. „Herr Bente hat einen recht gepflegten Geschmack.“
Katharina musterte die Drei. Die Frau, die rechts saß, hatte große dunkle Augen. Das klare, ebenmäßige Gesicht strahlte eine fast kindliche Unschuld aus. Das Haar war streng nach hinten gekämmt und in der Mitte gescheitelt. Der zweiten Frau, die in der Mitte saß, gelang es kaum, ihre üppigen Formen zu verbergen. Sie sah anziehend aus, aber in wenigen Jahren würde sie wahrscheinlich, wie viele Frauen ihres Typs, in die Breite gehen. Die dritte Frau, die links von ihr saß, war eine Asiatin.
„Die Anwesenheit der drei Frauen ist überhaupt nicht außergewöhnlich“, bemerkte Reese. „Sie wohnen hier.“
„Donnerwetter“, erwiderte Katharina. „Ich nehme an, sie müssen unter diesen Umständen eine ganz besondere Diät einhalten.“
Bente fuhr sich mit seiner schmalen, gepflegten Hand durch das weiße Haar, und die Falte auf seiner Stirn vertiefte sich noch.
„Ich hoffe, Herr Stollberg wird nicht erfahren, dass ...“ Er unterbrach sich plötzlich und stieß er einen Ruf der Überraschung aus. „Aber Sie sprechen ja Deutsch. Sie sind also gar keine Italienerin?“
„Ich bin Deutsche“, klärte sie ihn auf. „Ich heiße Katharina Ledermacher.“
Bente schüttelte den Kopf.
„Ich verstehe gar nicht, wie sie Sie hierherkommen, und warum der Kommissar ...“
„Frau Ledermacher ist Privatdetektivin“, fiel ihm Reese ins Wort.
Der Ingenieur sah sie verblüfft an.
„Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Was ...“
„Es gibt gar nichts zu verstehen“, beruhigte sie ihn. „Zudem ist jetzt nicht die Zeit für lange Erklärungen. Wir sollten längst in unseren Betten liegen. Sagen Sie uns einfach, was diese Schreibmaschine im Kofferraum ihres Wagens zu suchen hatte, dann überlassen wir Sie wieder Ihrem Harem.“
Bente breitete die Arme aus und zuckte mit den Schultern.
„Ich habe keine Ahnung, Frau Ledermacher, ehrlich nicht. Ich habe die Maschine vorher noch nie gesehen, und außerdem begreife ich die ganze Geschichte überhaupt nicht. Der Kommissar hat mir erzählt, dass ein gewisser Zerban ermordet und Dietrich ins Landeskriminalamt gebracht worden ist. Mir ist das alles schleierhaft. Was ist denn nun eigentlich passiert?“
Katharina seufzte.
„Gerade das möchten wir ja wissen.“ Mit einer plötzlichen Bewegung drehte sie sich um und blickte den drei Frauen in die Gesichter. „Um wieviel Uhr ist denn Ihr Herr und Meister heute nach Hause gekommen?“
Da alle drei gleichzeitig antworteten, konnte sie keinen Ton verstehen, deshalb musste Katharina sie bitten, ihr schön der Reihe nach Auskunft zu geben.
„Ich habe vorhin schon die gleiche Frage gestellt“, bemerkte Reese. „Offenbar ist Herr Bente gegen einundzwanzig Uhr dreißig hier angekommen.“
„Das bedeutet, dass er eine gute halbe Stunde nach der Besprechung irgendwo anders verbracht hat. Denn der Weg von der Firma hierher beträgt kaum zwanzig Minuten.“ Katharina dachte angestrengt nach.
„Er wollte uns nicht sagen, woher er kam“, warf die Asiatin ein. Plötzlich schien ihr eine Idee zu kommen. Sie wandte sich an die Frau in der Mitte. „Sonja, meinst du, er hintergeht uns?“
Beinahe hätte Katharina laut losgelacht. Reese verdrehte die Augen und blickte fassungslos zur Zimmerdecke empor.
„Ich