„Willst du damit etwa andeuten, es könnte Dinge von entscheidender Bedeutung geben, die mir nicht bekannt sind?“
„Nein, nein!“ Johann winkte mit beiden Händen ab. „Das war damit keineswegs gemeint. Ich wollte lediglich an deine Erinnerung appellieren, was dies betrifft. Also, wenn Gordula ihrem Vater in entsprechender Weise beibringt, dass sie in mir den möglichen Vater ihrer zukünftigen Kinder sieht, wird er höchstwahrscheinlich nicht völlig abgeneigt sein.“
„Eine Vermutung, mehr nicht!“, trumpfte sein Vater auf. „Deine Vermutung vor allem, weil es dir gerade mal wieder in den Kram passen würde.“
„Andererseits“, beeilte sich Johann noch zu ergänzen: „Der Lieblingssohn von Hieronymus Schopenbrink ist ja Christian Schopenbrink. Es heißt, sein Vater würde ihn schon seit Jahren auf die Nachfolgeschaft vorbereiten, gerade so wie du es mit mir getan hast.“
„Und was soll das jetzt mit deiner Rolle als möglicher Ehegatte seiner Schwester zu tun haben?“
„Ziemlich viel, wie ich meine, denn Gordula und ihr Bruder sind das, was man gern ein Herz und eine Seele nennt. Es ist Gordulas unnachahmliches, um nicht zu sagen einmaliges Gemüt. Sie ist wahrlich eine junge Frau, die man einfach gern haben muss. Auch als Bruder.“
„Du bist also überzeugt davon, dass nicht nur ihr Vater, sondern auch ihr Bruder dich als ihren künftigen Ehemann akzeptieren würde?“
„Nicht auf Anhieb“, schränkte Johann jetzt geschickt ein. „Dazu ist noch einiges an Arbeit nötig, wie ich zugeben muss. Ich stehe ja, wie schon erwähnt, erst am Anfang. Nun habe ich an diesem Fest teilgenommen, ihrer Einladung folgend, und habe mich mehrmals mit ihr in der Zwischenzeit heimlich getroffen. Weiter ging das leider noch nicht.“
„Ja, das ist in der Tat als eher zaghafter Anfang zu werten“, gab jetzt Georg Wetken für seinen Sohn sehr überraschend zu. „Andererseits sehe ich da auch eine Art Testlauf für dich. Soll heißen: Falls es dir wirklich gelingen sollte, gewissermaßen das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, auch und vor allem zum Wohle der Gilde, würde dir das durchaus Pluspunkte verschaffen. Nicht nur bei mir, sondern bei allen Hansekaufleuten, die sich innerhalb unserer Gilde zusammengeschlossen haben.
Doch was mache ich mit dir, wenn du versagst?“
„Würde ich versagen“, antwortete Johann überzeugt und nach außen hin völlig ruhig und beherrscht, obwohl es nach wie vor in seinem Innern mächtig brodelte, „wäre ich eindeutig nicht ausreichend geeignet, dein würdiger Nachfolger zu werden!“
Jetzt lachte Georg Wetken sogar. Ebenfalls eine absolute Seltenheit bei ihm. Er trat sogar vor und hieb mit seiner fleischigen Hand kräftig auf Johanns Schulter.
Der junge Mann war gottlob stabil genug gebaut, um dabei nicht in die Knie zu gehen wie es mach anderem wohl widerfahren wäre.
„Also gut, überredet, aber noch längst nicht völlig überzeugt: Nimm wieder Kontakt auf mit dieser Gordula Schopenbrink. Ich werde das allerdings stets und ständig im Auge behalten: Ich werden DICH stets und ständig im Auge behalten. Du wirst keinen Schritt ohne mich gehen. Betrachte mich als Schatten, der dir auf Schritt und Tritt folgt.“
Nun, das war nicht ganz so neu für Johann, obwohl die Überwachung, die Georg Wetken seinem Sohn anheim fallen ließ, durchaus verschärft worden war seit dem Mittag. Aber er war damit jahrelang zurecht gekommen, also würde er sich auch in Zukunft damit arrangieren können.
Zwar würde es vorerst unmöglich bleiben, auch noch zusätzlich wieder Kontakt zu Adele aufzunehmen, aber dies würde ja dennoch das eigentliche Fernziel bleiben.
Obwohl Johann selbst noch nicht wusste, wie er über Gordula und einer Vertiefung seiner Freundschaft mit dieser jungen Frau aus dem Hansehaus Schopenbrink letztlich seinen Weg zu Adele zurück finden konnte. Aber darüber durfte er sich sowieso erst zu einem späteren Zeitpunkt Gedanken machen. Er musste umsichtig und gezielt Schritt für Schritt vorgehen und durfte es niemals wagen, einen Schritt schon vor dem nächsten zu tun. Selbst wenn die brennende Sehnsucht nach seiner Adele ihn noch so sehr dazu drängen wollte, den Vorgang leichtsinnigerweise zu beschleunigen.
Denn wenn er dabei wirklich versagte, war es für alle Zeiten aus. Das war es, was er sich stets und ständig vor Augen führen musste, sobald der Leichtsinn versuchte, in ihm die Oberhand zu gewinnen.
7
Gordula staunte nicht schlecht, als ihr berichtet wurde von ihrer Zofe, dass vor dem Haus, auch noch am Dienstboteneingang, Johann Wetken nach ihr gefragt hätte.
Sie musterte das hübsche Gesicht ihrer Zofe, um sicher zu gehen, ob sie dies nur ihr persönlich mitgeteilt hatte.
Ja, sie hatte ganz offensichtlich. Wie immer war auf sie Verlass.
Sie nickte ihr wohlwollend lächelnd zu und beeilte sich, das Haus durch diesen Dienstboteneingang zu verlassen. Wobei sie natürlich nicht jegliche Vorsicht außer Acht lassen durfte, um dabei nicht aufzufallen. Eine junge Dame ihres Standes, die nach Einbruch der Dunkelheit das Haus verließ? Das war offiziell völlig undenkbar, wenngleich nicht für die geschickt und umsichtig vorgehende Gordula Schopenbrink...
Sie hatte sich ja schon vor dem kleinen Fest mit Johann mehrmals nach Einbruch der Dunkelheit heimlich getroffen, gewissermaßen auf neutralem Boden. Ins Haus hätte sie ihn nie zu lassen gewagt. Sie wusste ja, wie ihr Vater darauf reagieren würde.
Ihr Bruder Christian würde das zwar eher gelassen sehen, denn er war ja auch beteiligt gewesen an dem kleinen Fest, aber Hieronymus Schopenbrink durfte das niemals erfahren. Er hasste zwar die Wetkens nicht, weil er niemanden hasste, aber er wollte auch nicht offiziell mit ihnen verkehren. Genauso wenig wie mit den Brinkmanns.
Wenn er sich auf ein Treffen mit irgendjemandem einließ, dann nur auf höchster Ebene. Und dann musste es dafür auch einen triftigen Grund geben. Zum Beispiel, wenn ihre trotz aller Gegensätze gemeinsam betriebenen Geschäfte in Gefahr zu geraten drohten.
Denn sie waren ja in erster Linie Hansekaufleute und keine Streithanseln, die über alle Zwistigkeiten hinaus vergaßen, was gut war für die gemeinsamen Geschäfte.
Johann Wetken war die Erleichterung jedenfalls deutlich anzusehen, als Gordula wie hoffnungsvoll erwartet bei ihm auftauchte.
Sie verließen den Bereich des Dienstboteneingangs und drückten sich beide tief in eine dunklere Ecke in der Nähe, wo kaum Licht von den vorhin erst angezündeten Petroleumlampen fiel, die sowieso die Straße nicht besonders gut erhellten. Sie gaben zwar ein wenig das Gefühl von Sicherheit, aber für viel mehr taugten sie eben nicht. Sowieso sollte eine junge Dame aus vornehmem Hansehaus um diese Zeit möglichst nicht mehr auf offener Straße erscheinen.
Und Johann unterstrich auch noch seine Erleichterung mit den Worten:
„Ach, Gott sei es gedankt, dass du doch noch die Zeit hattest zu kommen!“
„Seltsame Worte zur Begrüßung“, wunderte sich Gordula indessen. „Ich dachte eigentlich, wir wären Freunde?“
Ihr spitzbübisches Lächeln nahm diesen Worten dabei die Wirkung.
Er versuchte ebenfalls zu lächeln, doch es misslang kläglich. Gordula konnte es trotz des wenigen Lichtes sehen.