»Was ist?«, sagte Friedgard und schob die leere Schale von sich.
»Was soll sein?«, entgegnete sie.
»Woher rühren Eure rosigen Wangen?«
»Schau dir deine an, du Poet! Vom heißen Brei, woher sonst!«
Friedgard lehnte sich auf dem Stuhl zurück und stöhnte satt und zufrieden. Und schon landete Schreihals auf seinem Schoß. Sie blinzelte ihn an und rollte sich umständlich zusammen. Friedgard lächelte auf das Fellbündel hinab.
Barbara wurde behaglich und warm ums Herz. Sie mochte ungewöhnlich sein, diese Freundschaft zu dem jungen Mann. Doch seit er ein Knabe war, gab es eine Verbindung zwischen ihnen, die jenseits des Erklärbaren lag. So war es einfach. Sie sah zu, wie er die Katze streichelte. Schreihals schnurrte.
6
Das letzte Haus in den Wiesen der Stöcket vor der steinernen Brücke, die über den Kraichbach führte, war das des Schmieds Urban Eisinger. Barbara hielt einen Augenblick inne, bevor sie dorthin abbog. Jetzt, am späten Nachmittag, hatte es endlich aufgehört zu regnen. Von Westen her klarte es auf, der Himmel Richtung Speyer leuchtete in einem trägen, kupfernen Rot, durchzogen von schwarzen Schlieren.
Sie dachte daran, dass man Friedgard und ihr eine Liebschaft nachsagte. Das war ungeheuerlich! Nie wäre ihr etwas Derartiges in den Sinn gekommen. Sie kannte ihn seit er ein Knabe war, ein hübscher blonder Junge, der ihr auf moosigen Pfaden im Wald aufgeweckt und lernwillig nachhopste wie ein kleiner beschützender Zwerg. Später, wenn Friedgard in den Ferien oder an den Feiertagen heimkehrte, hatte er noch immer den Weg zu ihr gefunden. Doch dann hatte das aufgehört, denn sie war frisch verheiratet, hatte eine kleine Tochter, und er kam ohnehin in jenes Alter, in welchem ihm anderes wichtiger war.
Sie wandte sich entschlossen Eisingers Anwesen zu. Aber Friedgard ging ihr nicht aus dem Kopf. Als er schließlich nach Hockenheim zurückkehrte, hatte er seine Besuche bei ihr wieder aufgenommen, wenn er sie auch nicht mehr in den Wald begleitete wie einst. Sie sah ihn vor sich, schmuck wie ein junger Mann nur sein konnte. Er schaffte es, sie aus ihrem Kummer um den Verlust von Leonhard und Elisabeth zu reißen mit seiner goldenen Lockenfülle, dem schönen Gesicht und seiner heiteren, unbekümmerten Art. Für sie war er wie Sonnenschein. Ja, das war er. Er wärmte sie und holte sie für Augenblicke aus ihrer Betrübnis, die seit damals nicht weichen wollte. Es war ein guter Grund, ihn zu lieben, wenn es denn überhaupt eines Grundes bedurfte. Sie waren sich zugeneigt und woher das rührte, war müßig, zu ergründen.
Sie erreichte die hohe Mauer, die Eisingers Hof umschloss, und näherte sich dem offenen Hoftor. Sie hörte die tiefe Stimme des Schmieds sagen: »Wenn Euch der Preis nicht passt, so lasst Eure Sachen künftig bei einem anderen fertigen!«
Offenbar ein Streitgespräch. Keinesfalls wollte sie Zeugin dessen werden. Doch dazu war es zu spät. Sie trat in dem Augenblick in den Hof, da Agnes Zahn, den Rücken ihr zugewandt, aufgebracht entgegnete: »Sechs Gulden für ein einfaches Stück Handwerk? Ihr lasst Euch Euren Schweiß wahrlich etwas kosten!«
Eisinger, ein großer Mann mit einem quadratisch-kantigen Gesicht und kleinen wachen Augen, hielt das Streitobjekt in seiner Rechten, wies mit der Linken auf seine Arbeit und entgegnete: »Ihr wolltet einen so ausgefallenen Dolch, den mit Eurem Wappen verzierten Griff. Das ist aufwendig. Nun feilscht nicht. Er kostet, was er kostet«, sagte er bestimmt und abschließend und bedeutete Barbara mit einem Nicken, dass er sofort für sie bereit wäre.
Agnes fuhr herum. Als sie Barbara gewahrte, wandelte sich die Wut in ihrem Gesicht zu Abscheu. Sogleich kehrte die junge Frau ihr wieder den Rücken zu, zurrte am Beutel an ihrem Gürtel und begann, die Münzen herauszuzählen.
Barbara schalt sich innerlich. Hätte sie nicht warten können bis die streitbare Kundschaft ihrer Wege gegangen war? Agnes’ Rücken war anzusehen, was in ihr vorging. Es war, als flirre und zittere die Luft um sie herum. Sie ließ die Münzen in die ausgestreckte Hand des Schmieds fallen und sagte: »Nun, Herr Eisinger, bittet Euren Schutzpatron heute um Fürsorge. Am Georgstag haben die Hexen die größte Gewalt!« Bösartige Häme lag in ihrer Stimme. Sie nahm ihren Dolch und schritt erhobenen Hauptes vom Hof, würdigte Barbara keines weiteren Blickes.
Barbara spürte ihrerseits Wut auf dieses dumme Mädchen. Und etwas, das sich nach Scham und Schuld anfühlte, was sie sofort beiseite drängte. Es lag nicht an mir, und wenn du es hundert Mal denkst, dachte sie und merkte, wie sich ihre Hände zu Fäusten ballten. Da kam Eisinger ihr auch schon entgegen. »Eure Sichel, Heilmännin?«
Sie folgte ihm ins Innere der Werkstatt, wo es warm war und Gestank von glühendem Eisen in der Luft lag. Eisinger machte eine Handbewegung in Richtung Hoftor und sagte: »So war sie und so ist sie. Macht Euch keine Gedanken.«
Agnes wusste nicht, wohin mit ihrer Wut. Sie presste die Lippen aufeinander und schlug die Fersen gegen den Steinblock, auf dem sie hockte. Ausgerechnet der noch einmal zu begegnen! Als ob einmal am Tag nicht reichen würde! Mistweib!
Sie stierte auf die Backsteinmauer der Zehntscheuer, ohne das zweigeschossige Doppelgebäude wirklich wahrzunehmen. Sie war versucht, den Dolch hervorzuziehen und focht einen Kampf mit sich, der ihr den Magen zusammenzog. Nein, jetzt ging es nicht. Elli konnte jeden Augenblick kommen. Das halbe Dutzend behauener Steinblöcke am nördlichen Ende der eingefriedeten Fläche vor der Scheuer war ihr Treffpunkt. Von ihrem Sitzplatz aus hatte sie sowohl die Längsseite der Zehntscheuer als auch das Ende des Zugangspfades im Blick. Ein Steinwurf von ihrem Platz entfernt murmelte der Kraichbach leise vor sich hin. Agnes mochte den Platz. Er war übersichtlich. Geordnete Begrenzung, die Schutz bot vor Durcheinander. Karren voll Roggen, Hafer, Welschkorn, Erbsen und Rüben fuhren an den Zehnttagen hier vor, doch an Nachmittagen wie dem heutigen gab es für niemanden einen Grund, sich an diesem Ort aufzuhalten.
Agnes’ Blick heftete sich auf den Zugangspfad. Hoffentlich kam Elli bald! Da sie bei Herwarts arbeitete, wusste sie vielleicht, was mit Friedgard war.
Friedgard. Ihr schöner Engel. Sie wusste, wie Engel aussahen. Als Kind hatte sie welche gesehen, in dem kostbaren Buch ihrer Mutter über die Heiligen. Heimlich hatten sie zusammen die Bilder betrachtet, weil man derlei Bücher nicht mehr besitzen durfte, denn der Katechismus sagte, Heilige zu verehren verstoße gegen das Gebot Gottes, es sei abergläubisch und schlimm wie zauberische Dämonenanrufung. Aber die Heiligen waren erhoben zu Gott, und Engel umschwebten sie und den Allmächtigen auf seinem Himmelsthron. Ihre Locken strahlten so hell, dass Agnes ganz entflammt davon war. Nie hatte sie Haar derart Licht aussenden sehen. Bis sie Friedgards sah. Goldgewellt fiel es ihm auf die Schultern wie eine Vielzahl leuchtender Engelszungen. Ein Engel war er, vom Himmel gefallen geradewegs in ihr Dorf. Damals. So zart und so wunderschön. Wie konnte sie ihn nicht lieben? Vom ersten Augenblick an, da sie ihn sah! Sie hatten einander über die Fluren gejagt und sie hatte ihm die Locken aus den Augen gestrichen, wenn er ihr sein vor Aufregung und Spielfreude gerötetes Gesicht zuwandte. »Ach mein Engel«, seufzte sie leise. »Warum erklärst du dich mir nicht?« Die Sehnsucht nach ihm brachte sie fast um den Verstand. Nichts wollte sie so sehr, als mit ihm zu sein. Außer vielleicht, dass Mutter noch lebte. Der Gedanke an Mutter rief ihr wieder die Heilmännin ins Gedächtnis und sie fühlte den Grimm auf dieses Weib in sich