»Weiß nicht. War auf dem Weg zu Herwarts, als der Schockelheinz gerannt kommt und sagt, ich soll Euch holen.«
Elli, Tochter des Zollerwirts, war Magd beim Hofbereiter Herwart. Sie hatte wohl gerade ihren Dienst antreten wollen, als der Ortsbüttel sie traf und zu ihr, Barbara, schickte.
»Dann weißt du auch nicht, was ihm fehlt?«
»AchGottachGott, wie denn? Ich hab doch bloß den Schockelheinz gesehen, und der war ganz außer sich!«
»Ist gut. Ich mache mich auf den Weg. Geh zu deiner Arbeit!«
Elli nickte. Dann schlug die Tür mit lautem Krachen hinter ihr zu.
3
»Bea!« Agnes zuckte angewidert zurück und ließ den Reisigbesen fallen. Mit einem Knall schlug der Holzstiel auf den Steinboden der Küche. Sie fasste nach dem Rock und machte einen Satz rückwärts.
Die Magd fuhr erschrocken zusammen und wandte sich zu ihr um.
»Mach den weg! Sofort!«, befahl Agnes ihr ohne sie anzusehen. Sie deutete auf den Boden. Wie sie es hasste!
Bea, wenige Jahre jünger als sie selbst, doch mit dreimal so viel Leibesumfang, wackelte drall herbei. Ihre Miene drückte Gleichgültigkeit aus und Agnes hätte ihr am liebsten den Besen übergezogen. Doch hilflos musste sie zusehen, wie dieser Krautkopf die runden Backen blähte und geräuschvoll Luft ausblies. »Was denn, Fräulein Agnes?«, fragte sie langsam.
»Da hinunter ist er. Tu ihn weg!«, schrie Agnes. Sie wies unter den Küchenschrank, einen breiten, großen Eichenschrank, wie ihn sonst niemand besaß. Er fasste den gesamten Hausrat des Freihofs.
Agnes fühlte die Furcht, sie kribbelte von den Zehen aufwärts, zwickte und zwackte durch die Beine nach oben, gelangte in den Bauch und verursachte unerträgliches Gewimmel darin.
»Wieder so ein harmloser Ohrwurm?«, fragte Bea ungerührt. Teilnahmslos folgte ihr Blick Agnes’ ausgestrecktem Finger.
»Harmlos?!«, keuchte Agnes. Wie konnte diese einfältige Kuh es wagen! »Harmlos, meinst du? Soll ich dir mal einen ins Ohr setzen, du nutzloses Geschöpf? Dann will ich sehen, wie harmlos du ihn findest!« Sie merkte, dass sie zu zittern begann.
Bea zuckte die Schultern, beugte sich vor und fuhr mit ihrem Besen unter dem Schrank entlang. Agnes unterdrückte das Würgen. Der Ekel war unaussprechlich. »Mach ihn tot!«, presste sie zwischen den Zähnen hervor. »Hast du ihn, sag ich?«
»Er wird in eine Ritze gekrabbelt sein, er ist weg«, antwortete die Magd matt und richtete sich wieder auf. »Wenn Ihr weiter so zimperlich seid, werden wir nicht bis Mittag fertig. Eure Mutter sagte …«
»Sie ist nicht meine Mutter!«, fuhr Agnes ihr scharf ins Wort.
»Eure Stiefmutter eben. Sie wollte, dass Ihr mir zur Hand geht beim Frühjahrsputz. Wir sollen nach der Küche in den Kammern weitermachen, ich soll die Wintergewänder nach Löchern und Flecken durchsehen, sie säubern und in den Truhen verstauen, auch wenn ich meine, dass es dafür noch zu früh ist, ich soll zum Fleischer und zum Bäcker gehen, das Mittagsmahl bereiten, ich …«
»Das werde ich übernehmen!«, unterbrach Agnes sie.
»Das Mittagsmahl?«, fragte Bea ungläubig.
»Das Einkaufen!«
»Wie Ihr wollt.«
»Ich hasse dieses Reinemachen! Ich hasse dieses Krabbelzeug, das in allen Ritzen haust!«
Beas Gesichtsausdruck wurde schadenfroh. »Deshalb sollen wir ja auch alles gründlich machen. Aber vielleicht hättet Ihr besser nicht in jener Ecke dort angefangen« – ihr Kopf nickte in Richtung des Holzstapels zwischen Herd und Schrank – »dort hat sich’s Getier über’n Winter wohl sein lassen.«
Agnes Blick ruckte zum Holzstapel und sie betrachtete ihn voll Abscheu. Sie bemerkte das kaum verhohlene Vergnügen, mit dem die Magd sie beobachtete. Sie hasste sie dafür. Sie wagte kleine, vorsichtige Schritte Richtung Tür. »Egal was die Hausfrau meines Vaters sagt: Ich werde nur noch meine eigene Stube säubern. Die halte ich stets rein. Dort nisten keine Ohrwürmer. Und dann gehe ich ins Dorf und erledige die Einkäufe!«
Erleichterung machte sich in ihr breit, als sie die Küchentür erreichte. Sie hatte die Tür kaum hinter sich geschlossen, als die Haustür aufgerissen wurde und der Schockelheinz hereinstürmte. Atemlos verlangte der Ortsbüttel nach ihrem Vater.
»Der ist im Stall, denke ich«, sagte Agnes. »Warum?«
»Die haben den Magister Baumann erschlagen! An der Straße nach Reilingen liegt er in seinem Blut! Der Zentgraf muss her!«
4
Barbara kniete neben Hartmann Baumann im feuchten Straßengraben und hob seine Augenlider an. Der junge Lehrer war nicht bei Bewusstsein, aber er lebte. Ein schwacher Hauch Bierdunst umgab ihn.
»Und, wie lange gebt Ihr ihm noch?«, hörte sie Margarete Herwart, die mit einigen anderen nahebei stand, höhnisch fragen.
Es hatte wohl rasch die Runde gemacht, dass ein Verletzter am Ortsrand gefunden worden war. Da ließen die Maulaffen nicht lange auf sich warten. Barbara ärgerte sich über die Herwartin, achtete indes nicht auf sie. Vorsichtig drehte sie den Kopf des Lehrers zur Seite, um die Wunde zu betrachten. In seinem Nacken klebte eingetrocknetes Blut. Unterhalb des linken Ohres zog sich ein fingerlanger Schnitt oder Riss waagrecht bis unter die hellbraunen Haare.
»Ihr braucht jemandem doch nur in die Augen zu sehen und wisst, wie lange er noch zu leben hat«, setzte Margarete nach. Es klang, als gäbe sie keinen Pfennig auf diese Gabe, fürchte sie insgeheim aber doch.
Barbara blickte über die Schulter zu ihr empor und sagte kühl: »Es nimmt mich wunder, dass Ihr so kaltschnäuzig daherredet. Kümmert es Euch gar nicht, ob der Freund Eures Sohnes sein Leben aushaucht?«
Die Fünfzigjährige zog die Mundwinkel nach unten. Auf ihren Wangen zeigten sich rote Flecken, sie fasste sich in einer nutzlosen Geste an das schwarze Barett, das eine rote Perlenschnur schmückte, der einzige Zierrat, den die Bürgerfrau sich zugestand, und fauchte: »Lasst meinen Sohn aus dem Spiel! Und hört auf, mich so anzusehen. Mir jagt Ihr damit keine Angst ein!«
»Ihr könnt mich mal!«, entgegnete Barbara und wandte sich wieder dem Verletzten zu. Ihr Herz klopfte, sie war wütend. Giftmaul!, dachte sie.
»Man sollte besser einen Arzt rufen«, bemerkte Margarete spitz.
Barbara erhob sich. Die Herwartin trat einen Schritt zurück, straffte die Schultern.
»Frau Herwart«, sagte Barbara, »was ich tue, tue ich nach bestem Wissen. Wenn Ihr den Arzt für den Lehrer bezahlen wollt, so lasst nach ihm schicken.« Sie bemühte sich, mit fester Stimme zu sprechen, doch sie wusste, ihr Ärger war nicht zu überhören.
»Frau Herwart, bis wir den Studierten aus Schwetzingen geholt hätten – wer weiß, was da mit Baumann wäre.«
Gemurmel und Kopfnicken zeigte an, dass man Bauer Reinhardt zustimmte. Margarete Herwart kniff die Lippen zusammen und erwiderte nichts. Wie wenig Friedgard von dir hat, dachte Barbara. Sie musste immer an den Sohn denken, wenn sie die Mutter sah. Sie wandte sich von Margarete ab und fragte Reinhardt: »Ist jemand unterwegs, eine Trage beizuschaffen? Wir müssen ihn in seine Wohnung bringen.«
»Was denkt Ihr, Heilmännin, er ist überfallen worden, nicht wahr?«, fragte Kaufmann Gundt.
Barbara fuhr sich mit dem Handrücken unter der Nase lang. Das war genau das, was sie vermutete. Eine solche Wunde zog man sich nicht bei einem Sturz zu. Aber wer sollte den harmlosen Lehrer derart verletzen? Und warum? Der junge Mann besaß doch nichts. Freilich, Diebsgesindel mordete auch schon wegen ein paar Kreuzern. Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht kann er uns Aufschluss geben, wenn er wieder zu sich kommt.« Und zu einem Knaben, der mit offenem Maul dastand, sagte sie: »Lauf und schick