Er könne noch nicht viel sagen, sei ja erst der erste Tag gewesen, gab Zacharias zurück.
Vater und er sanken in eine Unterhaltung. Susanne suchte den kleinen Johannes zum Aufessen des letzten Löffels Suppe zu bewegen, Bea begann, den Tisch abzuräumen. Peter und Ingram Plattnase, wie sie den zweiten Knecht bei sich nannte, erhoben sich ebenfalls vom Tisch.
Agnes beschloss, heute Abend nicht mehr zu Baumann zu gehen. Wenn sie es darauf anlegte, würde es ihr zwar gelingen, Vater zu überzeugen, dass sie einen Krankenbesuch machte, auch wenn er ihre Absicht, vielleicht dort Friedgard zu begegnen, durchschauen würde. Doch womöglich war Friedgard zu dieser Stunde gar nicht mehr bei seinem Freund. Und was sollte sie allein bei Baumann? Sicher begegnete sie Friedgard morgen beim sonntäglichen Gottesdienst. Nach dem Kirchgang standen die Leute noch auf einen Schwatz beisammen. Vor der Kirche, auf dem Dorfplatz, beim Friedhof. Dann könnte sie ihn ansprechen. Über den Vorfall mit Baumann sprach man ohnehin. Das war ein guter, unverfänglicher Einstieg. Ihr wurde heiß bei der Vorstellung, wie seine schönen braunen Augen auf ihr ruhen würden. Ihr Herz zog sich zusammen. Mit dieser Sehnsucht wollte sie jetzt alleine sein. Und mit ihrem Jubel. Denn auch wenn ihr Vater die Unterhaltung über Hexenwerk abgebrochen hatte, war Agnes doch sicher, dass es in seinem Kopf arbeitete. Das hatte sie an seinem nachdenklichen Gesicht gesehen. Sie hatte es geschafft. Der Anfang war gemacht.
7
Oswin Gäßler fuhr aus dem Schlaf hoch. Mit einem Ruck saß er aufrecht im Bett. Sein Kopf dröhnte. Sein Hemd war schweißgetränkt. Hatte er überhaupt ein Auge zugetan?
Voll Abscheu zuckte er zurück. Schon wieder die hässlichen Fratzen. Dort, am Fußende des Bettes. Sie lachten ihn aus. Gäßler fasste sich an den brummenden Schädel. »Verschwindet!« Die Stimme brach ihm, der Hals war ausgedörrt. Gäßler war übel. Er suchte den Augspross, wollte dies Gelichter vertreiben, aber er merkte, dass er vergessen hatte, ihn aus dem Umhang zu nehmen und unter’s Kopfkissen zu legen.
In seinen Eingeweiden rumorte es. Keinen Morgen vermochte er durchzuschlafen. Ließen die Fratzen ihn in Ruhe, so war es das Geraschel von allerlei Ungeziefer, das ihn in letzter Zeit um den Verstand brachte. Erhob er sich von seinem Strohsack und suchte es zu fassen, verschwand es in dem Augenblick, da er danach schlug. Woher kam all das Krabbelzeug? Es suchte ihn heim, an Schlaf war kaum zu denken, mit noch so viel Bier nicht. Gäßler ließ sich auf sein Lager zurücksinken. Angst saß auf seiner Brust wie ein dicker Kobold. Er wusste, die Fratzen verschwanden, das taten sie jedes Mal. Aber sie kamen auch immer wieder. Gäßler schluckte, seine Kehle schmerzte. Zahn kam ihm in den Sinn. Der hatte ihn noch am Mittag des Georgi zu sich kommen lassen und ihn zur Sau gemacht, weil er nichts von dem Überfall auf Baumann bemerkt hatte. Sollte er etwa an allen Ecken und Enden gleichzeitig sein? Er konnte noch so viel beteuern, der Baumann habe nicht dagelegen, als er am Ortsausgang nach Reilingen war. Zahn wollte davon nichts wissen. »So oder so glaubt niemand, dass du ihn gefunden hättest! Das kommt nicht mehr vor, Gäßler!«
Um den Zentgrafen abzulenken, hatte er ihm von seinen Beobachtungen hinsichtlich der Heilmännin erzählt. Sein Erlebnis drunten am Bachweg hatte er tunlichst verschwiegen. Brauchte der nicht zu wissen. Die Vorladung bei ihm war auch so misslich genug!
Gäßler strich sich durch den Bart. Aber das mit der Heilmännin, das war gut! Das hatte Zahn hellhörig gemacht. Alles, was mit der zu tun hatte, machte den hellhörig, immer noch. Noch immer juckte sie den Zahn wie ein ganzer Sack Flöhe, er war ja nicht so blöd, das nicht zu merken. Wär der sonst so bereitwillig drauf angesprungen und hätt’ ihm befohlen, auf sie und ihr Haus ein Auge zu haben?
Und dann war da noch die Sache mit Baumann. Er verstand Zahns Eifrigkeit diesbezüglich nicht. War doch keine Seltenheit, dass Leute wegen ein paar Pfennigen niedergemacht wurden. Räubergesindel gab es an allen Ecken und Enden. Aber Zahn tat, als gälte es sein Leben. Wollte wohl beweisen, dass es einen wie ihn vor Ort brauchte, der ein Auge auf das Gesetz hatte. Sah wohl seine Felle davonschwimmen, der Herr Zentgraf! Zehn Fürze würd’ er drauf lassen, wenn’s Zahn nicht allein drum war, seine Macht einmal mehr prahlerisch zur Schau zu stellen.
Mühsam richtete er sich ein weiteres Mal auf. Jäh zuckte er zurück. Die Fratzenköpfe, gehörnt und runzelig, hockten am Fußende auf dem hölzernen Bettgestell, sabberten und spritzen ihm ihren Seim entgegen. Zischelten giftig. Ssssie hat’s nicht vergessen, rächt sich. Zahlt’s heim.
»Weg, zum Henker, verzieht euch!«, krächzte er und wischte mit dem Arm über die hässlichen Gesichter. Doch da war nur Luft.
Und dann dämmerte es ihm. Sie war es, die ihm diese widernatürlichen Kreaturen schickte? Die gehörnten Ratten? Den Dämon in der Weide? Aus Rache? Er schlug sich vor die Stirn. Braute sie nicht allerhand üble Tränke? Diese Teufelsbuhle und Giftmischerin! Sie wollte ihn irr machen im Kopf, ihn vernichten.
Er überlegte. Morgen tagte das Ortsgericht. Ob er seine Beobachtungen melden sollte? Es wäre seine Pflicht. Aber er fühlte sich nicht sicher genug. Zahn hatte ihm nur aufgetragen, die Heilmännin zu beobachten. Das würde er tun. Es war seine Aufgabe, Schaden abzuwenden! Er war von Amts wegen dazu ausersehen, Dienst zum Wohle der Gemeinschaft zu versehen. Und bei Gott, das würde er tun! Nicht noch einmal würde er dem Leibhaftigen angstvoll den Rücken kehren. Er würde ihm die Stirn bieten! Und die Ausgeburten der Hölle, die sie ihm schickte, würden ihn nicht daran hindern! Es würde ihm zu Ansehen und Ehre gereichen. Wenn sie begriffen, welchen Gefahren er sich Nacht für Nacht für sie aussetzte, würden sie endlich erkennen, wer er wirklich war.
Er stapfte zur Hauptstraße hinauf. Es war nach acht, schätzte er. Übernächtigt wie er war, hatte er vergessen, auf die Rathausuhr zu sehen. Außerdem brummte ihm noch immer der Schädel. Aber er war froh, dass ihm dieser rettende Einfall gekommen war! Das war gut, genau so würde er vorgehen. Also hatte er sich vom Strohsack gewälzt, den Rest Branntwein mit einem Schluck Wasser vermengt und das Gemisch gegen die Übelkeit und die zittrige Unruhe, die ihn morgens befiel, hinuntergespült. Jetzt fühlte er sich leidlich gewappnet, wenn auch etwas steif und ungelenk. Er warf einen Blick zum Himmel empor, bleigrau und tief hingen die Wolken über dem Dorf. Zum Henker, wollte es denn überhaupt nicht Frühjahr werden? Er bog in die Hauptstraße ein. Menschenleer. In mehreren Dutzend Schritt Entfernung ragte der Holzturm der Georgskirche aus dem morgendlichen Dunst. Ein gespenstisches Knurren ließ ihn jählings innehalten. Setzten sie ihm schon am helllichten Tag zu? Gäßler fasste nach dem Augspross.
Dann sah er sie. Hingekauert an eine halb eingefallene Bretterwand saßen sich zwei Kater mit angelegten Ohren gegenüber und raunten sich bösartig an. Er starrte die Kater an, zwei große Viecher, grau getigert der eine, schwarz der andere. Sie scherten sich nicht um ihn. Sie ließen sich nicht aus den Augen und fauchten sich ihre Warnungen entgegen. Gäßler atmete erleichtert aus. Kater. Keine Dämonen. Aber … das Hexenvolk konnte sich in Tiere verwandeln. Vornehmlich Katzen trugen den Teufel im Leib. Er starrte die Bestien an. Furcht lähmte ihn. Doch er zwang sich zum Weitergehen. Einen Tritt hätt’ ich ihnen verpassen sollen, dachte er und schalt sich einen Dummkopf, während er die Hauptstraße überquerte. Dumpf klangen seine Stiefelschritte auf dem Pflaster. Ja, er musste handeln. So ging es nicht mehr weiter.
Er hatte darüber nachgedacht. Nicht dass er besonders viel mit dem calvinistischen Bekenntnis anfangen konnte. Aber der Pfarrer war nun einmal der einzige Beistand im Ort, wer sonst gab einem verwirrten Menschen Halt und Rat, wem sonst sollte man sich anvertrauen? Gäßler nahm es mehr als dumpfes Drängen wahr denn als bewusste Entscheidung, aber er wusste, er musste mit dem Pfarrer reden und seine Gedanken offenbaren. Eigner würde ihm die rechten Worte finden. Die Unterstützung Gottes mit auf den Weg geben. Darauf hoffte er, auch wenn er das Gefühl hatte, dass Eigner ihn nicht leiden konnte. Er begegnete dem Gottesmann nicht oft und wenn, hatte der kaum mehr als ein flüchtiges Nicken für ihn übrig. Aber das war er gewohnt. Viele verhielten sich ähnlich. Es lag an seiner Arbeit. Als Nachtwächter wurde man eben scheel angesehen, weil man seine Pflicht nachts erfüllte. Sei’s drum. Auch das würde sich ändern. Als er an des Pfarrers Haus schräg gegenüber der Georgskirche ankam, wusste Gäßler, dass er gekommen war, um Eigners Segen für seine Mission zu erbitten. Zudem: Hatte er den Pfarrer auf seiner Seite,