Eigner selbst kam mit seinem schleifenden Gang in die Stube geeilt, das Wams über einem leinengrauen Hemd falsch geschnürt. »So zeitig, Nachtwächter? Gibt es etwas zu – vermelden?«
Gäßler, der dem Gottesmann selten so nah war, wusste mit einem Mal nicht, wie er beginnen sollte. Des Pfarrers seltsam blauer Blick ruhte auf ihm. Ungeduldig, wie Gäßler zu erkennen meinte, was ihn erst recht wanken machte. Eigner bot ihm nicht einmal den Stuhl an. Aber eben das würde sich ändern. Zum Henker, das würde es! Man achtete ihn nicht genug. So kam er heraus mit der Sache, indem er sagte: »Möglich, dass wir eine Zauberin im Ort haben. Ich trachte danach, ihre schändlichen Umtriebe aufzudecken. Dachte an Eure Hilfe, denn die Visitationsberichte dürften belegen, dass sie der Kirche fern bleibt.« Er war stolz auf sich. Selten hatte er einen so langen Satz so rasch und ohne Stocken gesprochen.
Eigner jedoch, dessen Miene zuvor ausgedrückt hatte, dass er bemüht war, ihn, den Nachtwächter, des göttlichen Segens teilhaftig werden zu lassen, konnte nun nicht verhindern, dass ihm die Abscheu ins Gesicht geschrieben stand. »Zauberei? Dumme Vorwürfe, Gäßler! Ein erneuter Beweis der mangelnden Standhaftigkeit im – Glauben! Ich habe von dem Geschwätz gehört. Es geht ja nicht erst seit gestern um. Ich kann meinen Schutzbefohlenen nur anraten, diese abergläubischen Machenschaften nicht länger für möglich zu – halten.«
Gäßler war verwirrt, weil er die Gewohnheit des Pfarrers, vor dem letzten Wort eine Pause einzulegen bis er es gewichtig aussprach, vergessen hatte. Eckig klang das. Eigners Äußeres unterstützte diesen Eindruck noch. Seine erstaunlich himmelblauen Augen musterten Gäßler missbilligend. Er sah weg. Weil sie am auffälligsten waren, richtete er seinen Blick auf die enormen Ohren des Pfarrers, die in der Düsternis der Stube aussahen wie graurosa Fledermausflügel.
Wie sollte er sein Anliegen vorbringen? Gäßler wusste wohl, dass Zauberglaube für die calvinistische Kirche ein sträfliches Vergehen war. Er dachte an die Fratzen, die gehörnten Ratten. Er dachte an die Weide und war sich ja selbst nicht sicher. Doch hielten sich Hexen nicht gerne in Weiden auf? Der Baum in Pfisterers Garten war zwar nicht hohl, aber eine Weide war er allemal und also ein böser Baum. Der Verräter Judas hatte sich an einer Weide erhängt. Er musste Eigner dazu bringen, ihm Gehör zu schenken. Es war an ihm, das Böse auszumerzen. Zu seinem eigenen Seelenheil, zu dem seiner Mitmenschen.
»Verzeiht«, wagte er daher zu widersprechen, »doch brauche ich Euren christlichen Rat. Unwetter richten so viel Zerstörung an. Andernorts sperrt man sich nicht, den Urhebern dieser Schadzauberei das Handwerk zu legen …«
Eigner unterbrach ihn. »Gott selbst ist es, der die Seinen straft! Die Kälte der Natur folgt aus der Kälte im – Glauben!«, polterte der Gottesmann. »Es gefällt Gott nicht, dass Calvins reine Lehren so schändlich missachtet werden, indem der Aberglaube noch immer in den Köpfen der Leute spukt. Dass er sich so hartnäckig hält, haben wir der papistischen Zauberei zu danken, die jahrhundertelang ihre Schutzbefohlenen mit dummem Firlefanz – umnebelte!«
Dass er dem Eigner nicht damit zu kommen brauchte, dass die Schäden auf den Fluren dem zauberischen Unwesen der Unholdin zuzuschreiben waren, hatte er gewusst. Schadzauber, das stand im Gesetz und im Katechismus, konnte es nicht geben, weil die Macht des Teufels nicht hinreichte, dies zu bewirken. Er selbst war sich dessen nicht so gewiss.
Aber wie für die meisten Theologen zählte auch für Eigner allein der Abfall von Gott. Das bedeutete Ketzerei, das war das Schändlichste und das konnte nur durch den Tod geahndet werden. Damit hoffte er, von Eigner Rückendeckung zu erhalten. Aber unter diesen Augen, kalt wie ein blauer Dezemberhimmel, wusste er nicht, wie er es anpacken sollte, und so hatte er falsch begonnen.
Er gedachte seines Talismans in der Falte des Umhangs und wagte einen erneuten Vorstoß: »Barbara Heilmann ist möglicherweise von Gott abgefallen. Ich hab gesehen, wie sie gradewegs zum Schornstein raus ist, um auf der Ofengabel zum Treffen mit ihrem Buhlen zu reiten.«
Dem Eigner blieb das Maul offen stehen.
»Es ist meine christliche Pflicht, sie anzuzeigen«, schob Gäßler nach, der endlich eine Regung auf des Pfarrers Miene sah, die ihm verriet, dass der ihn ernst zu nehmen begann. Gut so. Es ging schließlich um das Wohl der Gemeinde. Er überlegte, wie er nun den Bogen zu seiner Pein schlagen könnte. Dass er glaubte, die Heilmännin habe es auf ihn selbst abgesehen.
Eigner blickte ihn an in einer Mischung aus Ungläubigkeit und Erstaunen. »Ihr seid sicher, dass Ihr nicht teuflischem Blendwerk aufgesessen seid?«
Da hatte er ihn, natürlich. Das war es ja, warum er sich entschlossen hatte, mit dem Pfarrer anzufangen. Gehässige Zwerge huschten nachts um die Häuserecken und foppten ihn. Die gehörnten Ratten verließen seine Stube nicht. Er wurde ihrer Plage nicht mehr alleine Herr. Er träumte von Scharen weißer Mäuse, die den letzten Rest Korn vertilgten. Hunger würden sie leiden, allesamt!
»Das ist genau die Sorge, die mich zu Euch trieb. Ich will sicher sein, ob ich Trugbildern aufsaß oder meinen Beobachtungen trauen kann«, bekannte er ehrlich.
»Macht und Wirken des Höllenfürsten sind grauenerregend, doch nicht unbegrenzt. Was ist es genau, das Ihr – saht?«
Eigner schenkte ihm Beachtung! Gäßler merkte, wie er sicherer wurde. »Ich seh’ sie heimkommen im Morgengrauen. Wie sie rausgeht, seh’ ich nicht. Also stell ich mich vor ihr Haus. Und siehe da: Geradewegs zum Schornstein fliegt sie hinaus.«
Eigner war erschüttert. »Ihr habt das wahrlich gesehen, Gäßler?«
Zum Henker, das war es ja gerade. Konnte er dessen sicher sein, bei all den Trugbildern der letzten Zeit?
Er zögerte mit der Antwort.
Eigner schien es nicht zu bemerken. Er begann, im Kämmerlein auf und ab zu gehen, die Faust auf die Lippen gepresst, versunken in diese Neuigkeit. Schließlich blieb er mit einem Ruck stehen und blickte ihn an. Er sagte: »Es ist gut, dass Ihr so wachsam – seid.«
Gäßler lauerte, aber er hörte keinen doppelschneidigen Unterton. Dem Eigner war es ernst. »Hexen stellen eine widerchristliche Kraft dar. Sie haben das Taufbündnis im Teufelspakt vorsätzlich – gebrochen. Wenn Ihr dies wirklich nachweisen könnt, Gäßler …«
»Herr Pfarrer, ich glaube, es ist ihr Werk, dass mich dämonenhafte Fratzen bis in die Träume verfolgen. Sie … schickt mir Ungeziefer auf die Stube, das mir die Ruhe raubt«, platzte es aus ihm heraus.
»Das ist ja schrecklich, Gäßler! Warum kommt Ihr erst jetzt damit?«
»Ihr glaubt also auch, dass sie dies bewirkt?«
»Nun, ich …«
Die hellblauen Augen des Pfarrers musterten ihn nachdenklich. »Es wäre möglich, dass sie Euch daran hindern will, ihr Treiben weiter zu beobachten.«
Ja, es wäre möglich. Der Pfarrer sagte es auch. Er wurde also nicht närrisch. Es war die Heilmännin, die ihm all dies antat.
»Eure bedrängte Seele braucht Erlösung. Ihr tatet recht, mit Eurer Beobachtung zu mir zu kommen. Ich werde mich mit den Presbytern besprechen, Gäßler. Dieser Sache muss nachgegangen werden. In den Protokollen der Kirchenältesten ist die Heilmännin keine – Unbekannte. Sie kommt kaum zum Gottesdienst. Die Unglückselige! Ach, die verkommene Schar der Unholde hat allenfalls Hoffnung auf Gottes Erbarmen nach ihrem verdienten Tod durch den irdischen – Henker. Betet für Euer, betet für unser aller Seelenheil, Gäßler. Betet!«
Tiefe Befriedigung machte sich in Gäßler breit. Ihm war so wohl wie lange nicht mehr. Der Anfang war gemacht. Das schrie nach