World Runner (1). Die Jäger. Thomas Thiemeyer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Thiemeyer
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Детские приключения
Год издания: 0
isbn: 9783401808840
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Lefzen zurückgezogen und seine kleinen Zähnchen entblößend, starrte er Mortimer an und stieß ein bedrohliches Knurren aus.

      5

      Tim starrte fassungslos auf seinen Computerbildschirm. Dreihundertzwanzig Euro und fünfundsiebzig Cent! Die Zahl brannte sich in seine Netzhaut. Irgendwann fing sie an zu flimmern, sodass er seine Augen schließen musste. Auf seinem Patreon-Konto war zum ersten Mal ein wirklich nennenswerter Betrag erschienen. Für ihn, der nur wenig Taschengeld bekam und grundsätzlich pleite war, eine unvorstellbare Summe.

      Farid hatte recht gehabt. Es wäre ein Riesenfehler gewesen, das Video aus dem Netz zu nehmen. Tatsächlich war noch keins ihrer Videos auf solch eine überwältigende Resonanz gestoßen.

      »Woher hast du das viele Geld?« Die helle Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er hatte Emily völlig vergessen. Genau genommen, hatte er alles um sich herum vergessen.

      »Von Sponsoren«, murmelte er. »Von Leuten, die glauben, dass ich zu den besten Spielern des Landes gehöre, und die mich unterstützen wollen.«

      »Gehörst du denn zu den besten?«

      Er lächelte etwas unsicher. »Noch nicht, aber vielleicht bald. Wenn ich etwas Glück habe.«

      »Erklär’s mir«, bat sie.

      »Das kann ich nicht. Jedenfalls nicht auf die Schnelle.«

      »Bitte, versuch’s!«, bettelte sie.

      Er stöhnte. Wie sollte er seiner kleinen Schwester begreiflich machen, was GlobalGames für ihn bedeutete?

      »So schwierig wird das schon nicht sein«, teilte sie ihm mit. »Ich muss es verstehen, wenn ich dir den Rücken freihalten soll.«

      So ganz unrecht hatte sie nicht. Eine Verbündete, die keine Ahnung hatte, worum es ging, war sinnlos. Aber wo sollte er anfangen? Er griff in die Tasche und legte sein Handy auf den Tisch. »Siehst du das hier?«

      »Klar, bin ja nicht blind.«

      »Damit fing alles an. Mitte der Achtzigerjahre kamen die ersten Handys auf den Markt. Riesenapparate, mit denen man nur telefonieren konnte. Später kamen weitere Funktionen dazu. Kamera, Taschenrechner, Musicplayer. Mit der Mikroprozessortechnologie wurden die ehemaligen Telefone aber immer mehr zu kleinen Computern. Im Jahre 2005 fand dann die Revolution statt. Weißt du, was GPS ist?«

      Emily schüttelte den Kopf. »Nicht genau.«

      »Das Global Positioning System ist ein weltweites Navigationssystem, das über Satelliten gesteuert wird und dazu dient, punktgenau deine Position auf der Erde zu bestimmen. Beim Militär wurde es schon lange genutzt, für uns Normalsterbliche war es erst ab 2005 verfügbar. Da kam nämlich das erste Handy mit GPS auf den Markt, das Siemens SXG75.«

      »Ich weiß, was ein Smartphone ist«, unterbrach sie ihn. »Das Technikzeug ist mir egal.«

      Tim schluckte. Emily halt. »Na ja, jedenfalls ist GPS nun in allen Smartphones und Smartwatches fest verbaut. Dadurch dass wir Standorte bis auf einen Meter genau ermitteln können, sind wir in der Lage, Spuren zu legen, Schätze zu verstecken und andere Spieler mit Rätseln in die Irre zu führen. Irgendjemand kam dann auf die Idee, dass man daraus ein Spiel machen könnte. Sie nannten es Geocaching …« Tim lächelte. »Erinnerst du dich, dass Mom früher immer Stress gemacht hat, wenn ich zu lange am Computer saß? Stubenhocker hat sie mich genannt …«

      Emily nickte, doch Tim konnte sehen, wie ihr Lächeln verschwand. »Ich vermisse sie.«

      »Ich doch auch. Was denkst du denn?« Nachdenklich beobachtete Tim seine kleine Schwester. Natürlich tat sie ihm leid, aber sie hatte es ja unbedingt wissen wollen. Und es gab nun mal keinen anderen Weg, ihr seine Leidenschaft für Global-Games zu erklären, als über ihre Mutter. Immerhin hatte sie maßgeblichen Anteil daran gehabt.

      »Sie fehlt mir. Ganz schrecklich sogar«, sagte er. »Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass sie es gehasst hat, wenn ich stundenlang vorm PC oder Handy gehockt habe.«

      »Oder wir zusammen vor dem Fernseher …«

      Er nickte. »Sie wollte, dass wir raus vor die Tür gehen und Spaß haben, weißt du noch?« Tim machte eine Pause. »Einen Satz von ihr werde ich nie vergessen …«

      Emily schniefte und rieb ihren Ärmel an der Nase. Ein dünner Schmierfilm entstand. Tim reichte ihr ein Papiertaschentuch.

      »Holt euch die Sterne vom Himmel, erinnerst du dich? Das hat sie gesagt.«

      Emily nickte.

      »Anfangs wusste ich gar nicht, was sie damit meinte«, gab er etwas widerwillig zu. »Aber dann … dann hab ich es begriffen. Sie wollte uns damit Mut machen. Sie wollte, dass wir rausgehen und die Welt entdecken. Wusstest du, dass sie selbst eine Geocacherin war?«

      Emily riss die Augen auf. »Echt?«

      »Ja. Sie hat mir gezeigt, wie das funktioniert – lange bevor es GlobalGames gab. Sie hat mich ermahnt, es bloß nicht Dad zu erzählen. Sie wusste genau, dass er kein Verständnis dafür haben würde.«

      »Und was macht man da so?« Sie kramte ein Taschentuch hervor und schnäuzte sich kräftig. Tim hatte selbst einen Kloß im Hals.

      »Na ja, es ist ein Spiel, das man draußen in der Natur spielt. In den Parks und Gärten, auf Friedhöfen und anderen Orten, an denen Geheimnisse verborgen sein könnten. Verstecke, die andere Spieler dort hinterlegt haben.«

      »Auf Friedhöfen?« Emily verzog das Gesicht. »Ist das nicht verboten?«

      Tim knabberte an seiner Unterlippe. Er musste vorsichtig sein, wie viel er ihr erzählte. Klar war das verboten. Und wie. Über die Hälfte aller Claims befand sich auf Privatgelände oder an Orten, die zu erreichen eine Gefahr darstellte. Aber das musste er ihr ja nicht auf die Nase binden.

      »Wir haben so eine Art Kodex«, sagte er. »Das heilige Regelbuch der Runner. Darin stehen die zehn goldenen Regeln. Solange du dich daran hältst, ist alles in Ordnung.«

      »Und was sind das für Regeln?«

      »Mal sehen, ob ich sie noch zusammenbekomme. Die ersten drei lauten: Beachte die örtlichen Gesetze und Warnschilder. Betritt kein Privatgelände. Hinterlasse keinen Müll und schütze die Umwelt.«

      »Finde ich gut«, sagte Emily. Sie zählte die Regeln an ihren Fingern ab.

      »Regel vier lautet: Benütze nur ausgeschilderte oder vorhandene Wege und Pfade. Fünf: Claims sollten nie vergraben oder an einem Ort versteckt sein, bei dem das Erreichen eine Gefahr darstellt.« Er verschwieg, dass Sakuras Rätsel ganz klar dagegen verstieß. Wie die meisten wirklich spannenden Claims.

      »Was sind Claims?«

      »So nennen wir unsere Schätze. Meist stecken sie in wetterfesten Boxen, die für das bloße Auge unsichtbar versteckt sind. Selbst wenn man weiß, wo sie sind, muss man manchmal höllisch lange suchen, um sie zu finden. Manche von ihnen sind so groß wie eine Butterbrotbox, andere hingegen so klein wie eine Streichholzschachtel. In den Beschreibungen findet man meistens Hinweise und Tipps, die einem weiterhelfen. Notfalls muss man in den Userkommentaren nachlesen.«

      »Und was sind das für Schätze? Gold, Edelsteine, Diamanten?« Emily sah ihn mit großen Augen an.

      »Quatsch, nur Kleinigkeiten. Ein Glücksanhänger, eine kleine Taschenlampe, ein Radiergummi – irgendetwas, das dem Besitzer was bedeutet hat. Man kann es rausnehmen, aber dann muss man etwas von gleichem oder höherem Wert zurücklassen. Das ist übrigens Regel sechs.«

      »Auch Kaugummis?«

      Tim schüttelte den Kopf. »Regel sieben: keine Lebensmittel. Keine Sprengkörper, Messer, Drogen, Alkohol oder ähnliche Gegenstände. Claims dürfen nur familienfreundliche Gegenstände enthalten.«

      »Wie langweilig.« Emily blickte enttäuscht. »Was ist Regel acht?« Sie hob drei Finger. So viele Regeln fehlten noch.

      »Log dich