Ein Lied in der Nacht. Ingrid Zellner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ingrid Zellner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Kashmir-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347155794
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dass du frierst, Prem uncle«, sagte Salma. »Wo du mir doch dein Halstuch gegeben hast. Und ein neues hast du dir noch nicht gekauft, oder?«

      »Nein«, erwiderte Prem leise. Seine Stimme klang ein wenig erstickt. »Nein, das habe ich noch nicht.«

      »Ich wusste doch, dass du einen Schal brauchst!«, stellte Salma triumphierend fest. »Bei den Fransen hat mir Zooni geholfen, die kann ich noch nicht so gut. Aber die Maschen sind schön regelmäßig – genauso, wie meine ammi mir das beigebracht hat. Gefällt er dir?«

      Prem lächelte. »Aber natürlich gefällt er mir«, antwortete er liebevoll. »Er ist wunderschön, Salma. Ich freu mich sehr, und ich danke dir.«

      Salma kam auf ihn zu, und im nächsten Moment war sie ihm auf den Schoß geklettert, hatte ihm den Schal umgelegt und ihm einen Kuss auf die Wange gedrückt. Seine Arme schlossen sich reflexartig um die Kleine, und sie schmiegte sich für einen Moment an ihn, bevor sie den Rückzug antrat.

      An der Tür blieb sie stehen. »Gute Nacht«, sagte sie. »Schlaft gut!«

      Und damit war sie verschwunden. Prem rührte sich nicht und schien seine Sprache nicht wiederzufinden; Vikram sah, dass er Tränen in den Augen hatte.

      »Siehst du?« Sameeras Stimme war sanft. »Ich wusste, wir tun das Richtige, wenn wir dir dabei helfen, hierzubleiben. Kashmir braucht dich, und es will dich haben. Eindeutiger geht es ja wohl nicht mehr.«

      Sie warf einen prüfenden Blick auf die Flasche.

      »Das sollten wir unbedingt begießen. Kann ich noch ein drittes Glas Wein haben, bitte?«

      Kapitel 7

       Überraschende Neuigkeiten

      »Sag Vikramji auch gute Nacht, Papa!«

      »Gute Nacht, Vikramji!«

      Raja pflanzte dem Plüschlöwen, den Rani ihm auffordernd entgegenhielt, einen Kuss auf die Nasenspitze. Dann strich er seiner Tochter weich über das Haar. »Schlaf gut, mein Schatz.«

      Sie drehte sich auf die Seite, drückte ihr Kuscheltier an sich und schloss die Augen. Raja deckte sie liebevoll zu, dann schaltete er das Licht aus und verließ das Kinderzimmer. Dabei lächelte er in sich hinein. Vikramji. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, als Rani das Plüschtier mit dem sanften, freundlichen Löwengesicht neulich bei einem Einkaufsbummel mit ihrer Mama entdeckt hatte; Sita hatte ihm hinterher lachend erzählt, wie Rani ihren Fund mit einem lauten »Guck mal, Mama, ein Vikram!« kommentiert hatte. Klar, dass der kleine Knuddellöwe daraufhin unbedingt mitmusste, und Rani hatte ihm feierlich den Namen Vikramji gegeben – »damit man ihn nicht mit dem echten Vikram verwechselt«, wie sie ihren Eltern mit ernsthafter Miene erklärt hatte. Raja freute sich schon jetzt diebisch auf das Gesicht seines Bruders, wenn Rani ihn eines schönen Tages mit ihrem neuen Lieblingsbettgefährten bekanntmachen würde.

      Es war still in der Wohnung. Sita saß nebenan im Sharmivar, dem Haus ihrer beiden Söhne, bei einer gemütlichen Plauderstunde mit ihren Schwiegertöchtern, und Raja hatte ihr signalisiert, dass sie sich ruhig Zeit lassen konnte – er war ja da, um auf Rani aufzupassen, und außerdem wollte er die Gelegenheit nutzen, ein paar E-Mails zu beantworten.

      Er holte seinen Laptop aus der Küche und ließ sich in einem der Sessel nieder. Während das Programm hochfuhr, schweiften seine Blicke durch den Raum und blieben an einem Holzbild hängen, das seit Oktober in seinem Wohnzimmer hing. Es war eine Tafel, etwa einen halben Meter hoch und fast genauso breit, aus abgelagertem Kiefernholz geschnitten, das schon etwas nachgedunkelt war und einen sanften Honigton angenommen hatte. Aus dem Holz wuchs als plastisches Relief ein Baumstamm heraus, die Rinde mit der typischen schuppigen Struktur eines Chenarbaumes. Auf halber Höhe teilte sich der Stamm in dicke Äste, die sich üppig verzweigten und voller Blätter hingen – jedes einzelne so detailversessen und liebevoll geschnitzt, dass man die Blattadern sehen konnte; ein unsichtbarer Wind schien hindurchzugehen und das Laub zu bewegen. Über die gesamte Baumkrone verteilt trugen einzelne Blätter die Namen der Kinder im Dar-as-Salam, und in den Stamm waren die Namen von Vikram, Sameera und Mohan eingekerbt.

      Er hatte gar nicht erst nach dem Schnitzkünstler fragen müssen, als man ihm dieses Baumrelief in Srinagar feierlich überreicht hatte – die Arbeit trug eindeutig die Handschrift Ibrahims. Der war es auch, der (mit vor Aufregung geröteten Wangen) Raja erklärt hatte, womit er sich dieses Geschenk verdient hatte. Sameera ammi hat uns doch im Mai das Märchen vom tapferen Ritter erzählt, hatte er gesagt. Und da haben wir erfahren, was du getan hast, als Vikram baba damals im Krankenhaus gelegen hat und so lange nicht aufgewacht ist. Wenn du da nicht so aufgepasst hättest, dann wäre er jetzt tot. Und ich dachte, dafür verdienst du genauso ein besonderes Geschenk wie den tollen Wandteppich, den ihr für Vikram baba gemacht habt, dafür, dass er dich aus diesem Lager befreit hat. Er hatte tief Luft geholt und mit einem scheuen Lächeln hinzugefügt: Ich habe dieses Motiv ausgewählt, weil ammi immer sagt, dass du sie an einen Baum erinnerst – einen, der Schatten gibt, wenn es heiß ist, und in dem Vögel ihre Nester bauen. Wir haben auch unser Nest bei dir gebaut, im Frühjahr, als der Sturm unser Dach weggerissen hat. Und wir haben uns immer wohlgefühlt bei dir. Immer.

      Ein liebevolles Lächeln umspielte Rajas Lippen. Es war für ihn und seine Familie eine Selbstverständlichkeit gewesen, Vikrams und Sameeras Pflegekinder bei sich in Shivapur aufzunehmen, während das von einem heftigen Februarsturm halb zerstörte Waisenhaus wieder aufgebaut wurde. Dass er im Jahr davor einen Mordanschlag auf Vikram vereitelt hatte, war zu dem Zeitpunkt noch ein aus mehreren Gründen wohlgehütetes Geheimnis gewesen. Doch nun wussten die Kinder Bescheid, und das Ergebnis der »labour of love«, die Ibrahim daraufhin für ihn geleistet hatte, war nach Rajas Einschätzung die beste Arbeit, die er bislang von dem talentierten jungen Künstler gesehen hatte.

      Das Mailprogramm war inzwischen geöffnet. Im Posteingang fand Raja mehrere E-Mails aus dem Dar-as-Salam; die Kinder liebten es, ihn und Sita über ihren Alltag auf dem Laufenden zu halten, und er pflegte jede einzelne Mail gewissenhaft zu beantworten. So schrieb er nun ein paar Zeilen an Firouzé, die sich gerade sehr für den Film We Are Family mit ihrer heißgeliebten Kajol begeisterte und davon träumte, bei der nächstbesten Gelegenheit zusammen mit Anjali und ihm den Song Dil Khol Ke Let’s Rock aufzuführen; er gelobte feierlich, den Text dieser indischen Jailhouse-Rock-Version zu lernen und das Video genau zu studieren. Maryam, die sich schon lange für Kalligraphie begeisterte, erzählte ihm von ihrer jüngst erwachten Faszination für Japan, was ihn ehrlich beeindruckte. Und der kleine Schlingel Yussuf schilderte lebhaft ein unlängst geschehenes »Geflügel-Desaster« im Hühnerstall:

      Wir wollten Omeletts machen, zum Frühstück. Ameera ist zum Stall, die Eier holen – und plötzlich gibt’s ein Riesengeschrei, als wäre der Shaitan mitten unter die Hühner gefahren. Stattdessen war es ein Wiesel! Es hat nachts irgendwie die Stalltür aufgebracht, ist hineingeschlüpft und hat unter Zobeidas besten Legehennen ein fürchterliches Gemetzel angerichtet. Zwanzig tote Hühner!! Aber wenigstens hat es nicht alle gefressen. (Ahmad behauptet, ich hab den Riegel nicht richtig vorgeschoben, aber ich war am Abend davor gar nicht mit dem Füttern dran. Ich kann diesmal ganz bestimmt nichts dafür. Ehrlich!)

       Also gab es zum Abendessen einen Riesentopf Chicken Korma. Zobeida sagt, man muss das Beste aus dem machen, was man hat – jedenfalls, als sie damit fertig war, in ihre Schürze zu weinen und das Wiesel zu verfluchen. Nächste Woche fährt Sameera ammi mit ihr zu Alefs Hof, neue Hennen holen. (Und das Hühnercurry war unheimlich lecker.)

       Vikram baba hat jetzt eine stärkere Tür für den Stall gebaut, und Hamid hat einen Eisenriegel mitgebracht; er meint, an dem beißt sich bestimmt auch ein Bergleopard die Zähne aus. Ich wollte mich ein paar Nächte auf die Lauer legen, um zu schauen, ob es vielleicht wirklich ein Leopard war und nicht bloß ein Wiesel, aber ammi hat es verboten. Sie sagt, Leoparden sind gefährlich, aber ich glaube, sie hat bloß Angst, dass ich in der Schule einschlafe. (Dabei sind meine Noten dieses Jahr viel besser geworden. Das musst du unbedingt Rangnekar sahab erzählen; als wir bei euch waren, hat er immer gesagt, dass ich sein »schwerster Fall« bin.)

      Raja