Ein Lied in der Nacht. Ingrid Zellner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ingrid Zellner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Kashmir-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347155794
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sehr froh, dass du hier bist. Willkommen im Dar-as-Salam.«

      Und damit zog sie ihn ins Haus und schloss die Tür.

      ***

      Acht Tage später saß Prem mit Vikram und Sameera in der Küche zusammen. Zobeida war vor einer knappen Stunde nach Hause gegangen und hatte eine Schüssel voll frischgebackener, würziger Knabbereien zurückgelassen, die die drei sich jetzt in aller Ruhe zu Gemüte führten. Vikram hatte angesichts der unverhofften Köstlichkeiten eine Flasche Rotwein aus dem Keller beigesteuert, und er lächelte über den seligen Gesichtsausdruck von Sameera. Sie hatte Mohan endgültig abgestillt und sich diesen Abend ausgesucht, um zum ersten Mal seit ihrer Schwangerschaft wieder etwas zu trinken, das stärker war als Lassi oder Obstsaft, und sie zelebrierte jeden Schluck wie ein Fest.

      Obendrein gab es auch tatsächlich etwas zu feiern. Gestern hatte Vikram ein offizielles Schreiben von der Staatsanwaltschaft erhalten, in dem man ihm mitteilte, dass die Ermittlungen gegen ihn eingestellt worden waren; man verdächtigte ihn nicht länger, für den gewaltsamen Tod des ehemaligen Polizeichefs Avan Gupta verantwortlich zu sein. Das bedeutete: Er bekam seinen Pass wieder, und die quälende Zeit der Ungewissheit, in der er sich regelmäßig bei der Polizei melden und dabei permanent befürchten musste, dass man seine Kaution widerrief und ihn wieder in Untersuchungshaft steckte, war vorüber. Sie hatten ihn endgültig vom Haken gelassen.

      Vikram verzog das Gesicht zu einem schrägen Grinsen. Vermutlich schäumte Narendra Nikam, der schamlos korrupte Nachfolger Guptas, jetzt ebenso vor Wut wie damals, als Vikram dank der wagemutigen Aussagen von Raja, Surya, Resul und Vishal auf Kaution freigelassen worden war. Schließlich war es auch Nikam gewesen, der ihn im letzten Sommer unter Mordverdacht hatte verhaften lassen, ohne sich darum zu scheren, dass es gar keine echten Beweise gegen ihn gab.

      Der Gedanke an die traumatische Zeit, als er in Srinagar in einer Einzelzelle gesessen und nicht gewusst hatte, ob er die Menschen, die er liebte, je wiedersehen würde, sorgte dafür, dass Vikram unwillkürlich die Zähne zusammenbiss. Er nahm einen kräftigen Zug aus seinem Glas und schluckte die Erinnerung entschlossen mitsamt dem Rotwein hinunter.

      »Wie geht’s mit der Stellensuche vorwärts?«, fragte er Prem und zündete eine Kerze in dem Leuchter an, der auf dem Tisch stand.

      »Hundsmiserabel«, erwiderte Prem unverblümt. »Meine ausgezeichneten Zeugnisse und Empfehlungen nützen mir überhaupt nichts. Sobald die Verwaltungschefs mitkriegen, wo ich die letzten vier Jahre verbracht habe, gefriert ihnen das erfreute Lächeln auf dem Gesicht und die freie Stelle ist ganz plötzlich nicht mehr frei.«

      »Das war zu erwarten.« Vikram goss Prem etwas Wein nach. »Du wusstest, dass es schwierig wird, oder?«

      »Ja, das wusste ich.« Prem seufzte und nippte an seinem Glas. »Allerdings nicht so schwierig.«

      »Und wenn du dich selbstständig machst?« Sameera schaute ihn an; ihre Augen glänzten im Kerzenschein aufmerksam. »Wenn du eine eigene Beratungspraxis eröffnest?«

      »So groß sind meine Rücklagen nun auch nicht.« Prem senkte frustriert den Kopf. »Ich müsste Räume anmieten und einrichten, ich müsste Werbung machen. Ich hätte einiges an laufenden Kosten… und Ersparnisse hab ich so gut wie keine.«

      »Jedenfalls nicht, solange deine Mutter ihre Schatztruhen sorgsam verschlossen hält«, meinte Vikram sarkastisch. »Was sie zweifellos auch weiterhin tun wird, solange du nicht nach ihrer Pfeife tanzt.«

      »Wenn ich mich entscheiden würde, nach ihrer Pfeife zu tanzen, dann müsste ich das Tal verlassen und nach Delhi fliegen.« Prem sprach mit stillem Zorn. »Geradewegs hinein in das altvertraute Spinnennetz. Dorthin, wo meine Mutter jeden meiner Schritte kontrolliert, weil sie ihre Leute hat, die mich beobachten. Dorthin, wo ich nur das tun kann und tun darf, was sie zulässt. Als ich damals nach Kashmir gekommen bin, war es nicht deswegen, weil ich dachte, es würde sich irgendwann gut in meinen Bewerbungsunterlagen machen.« Er warf Sameera einen kurzen Blick zu. »Das hast du damals zu mir gesagt, und ich hab es nie vergessen. Ich wollte etwas Nützliches tun, und das so weit entfernt von meiner Mutter wie irgend möglich. Sie manipuliert und vergiftet jeden in ihrer Umgebung. Aber ich habe mir geschworen, dass ich nie wieder unter ihrem Einfluss stehen will.«

      »Vielleicht kann ich dir helfen.« Sameera hielt Vikram auffordernd ihr leeres Glas hin. »Es wird sicher nicht schwierig sein, in Baramulla Räumlichkeiten zu finden, die sich nutzen lassen – vielleicht treibe ich sogar ein Haus auf, das ich kaufen kann. Es muss ja nicht groß sein. Ich würde es dir überlassen und dir erst mal keine Miete abknöpfen. Sobald du auf eigenen Füßen stehst, zahlst du… gerade so viel, dass dir noch genügend zum Leben bleibt. Was hältst du davon?«

      Prem starrte sie an. »Das… das kann ich nicht annehmen.«

      »Natürlich kannst du«, versetzte Vikram. »Es ist ja nicht so, dass wir dich damit auf Rosen betten, Mann. Aber es wäre ein Anfang. Kashmir hat gute Therapeuten so nötig wie die Wüste den Regen, und du bekommst auf diese Weise die reelle Chance, noch einmal neu Fuß zu fassen.«

      Er schenkte Sameera nach und musste plötzlich grinsen.

      »Du solltest das Angebot lieber akzeptieren, solange es gilt. Wein macht meine Liebste übermütig. Wenn sie nüchtern ist, überlegt sie sich die Sache vielleicht noch einmal.«

      »Also bitte – das ist erst mein zweites Glas, und ganz voll ist es auch nicht!«

      Sameera funkelte ihn an, nahm eine mit Sesam bestreute Gebäckstange aus der Schüssel und zielte damit auf seine Nase. Vikram fing die Stange auf, bevor sie ihn traf, und steckte sie sich in den Mund.

      »Aber du bist nichts mehr gewohnt, meri jaan«, versetzte er gelassen und hielt ihre Hand fest, als sie erneut in die Schüssel langen wollte. »Wenn ich dir noch mehr Wein gebe, muss ich dich nachher nach oben tragen. Nicht dass es mir etwas ausmachen würde.« Er zwinkerte Prem gut gelaunt zu.

      Prem lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Vikram konnte buchstäblich sehen, wie die Gedanken sich hinter seiner Stirn überschlugen und sein Gesichtsausdruck sich langsam veränderte – von Zweifel und Verlegenheit zu einer großen, fast ungläubigen Erleichterung.

      »Also gut, ich mach’s«, sagte er. »Aber die ersten Mieten zahle ich nach, sobald ich etwas mehr Geld verdiene.«

      »Falls du denn jemals mehr verdienst als das Allernötigste«, versetzte Vikram. »Reichtümer wirst du hier vermutlich niemals ansammeln. Viele deiner potenziellen Patienten können sich wahrscheinlich gar kein Honorar leisten.«

      Prem lächelte grimmig.

      »Nun… wie ich meine Mutter kenne, wird sie mich, wenn sie von diesem Plan erfährt, höchstwahrscheinlich enterben. Versteh mich richtig: Ich bin nicht scharf auf ihre Reichtümer. Von mir aus soll sie daran ersticken. Aber ich hätte gern wenigstens einen Bruchteil davon, damit ich euch das Geld für Praxisräume oder ein Haus eines Tages zurückzahlen kann.« Er schnaubte leise in sich hinein. »Dieses Haus für mich müsst ihr natürlich erst einmal finden.«

      »Dieses Haus für dich werde ich finden«, sagte Sameera entschlossen. Sie nahm einen kräftigen Schluck. »Worauf du dich verlassen kannst.«

      »Prem uncle

      Die leise Stimme kam von der Tür her, und die drei wandten sich um. Vor ihnen stand Salma, im Schlafanzug und barfuß. Sie hielt etwas gegen die Brust gedrückt.

      »Was machst du denn hier, Kleines?«, fragte Vikram. »Du solltest längst schlafen… und ohne Hausschuhe bist du auch noch unterwegs. Willst du etwa genauso schlimm husten wie Sinan?«

      »Ich geh gleich wieder ins Bett«, versicherte Salma. »Aber ich hab was gemacht, für Prem uncle. Ich dachte, ich werd schneller fertig, aber das mit dem Maschenabketteln hab ich erst heute Abend richtig hingekriegt, und dann musste ich noch alle Fäden vernähen.«

      Sie streckte die Hände aus, und jetzt war zu erkennen, was sie bei sich trug. Es war ein Schal, aus dicker Wolle gestrickt, in einem fröhlichen Ringelmuster aus Rot-, Braun-