»Na komm, ich bitte dich«, entgegnete er in wegwerfendem Tonfall. »Diese Jhumkas sind ja ganz hübsch… aber vielleicht versuchst du es heute doch besser hiermit.«
Er lächelte, als er ihr sein Geschenkpäckchen überreichte, und das Lächeln wurde noch breiter, als sie es gespannt öffnete – und sich angesichts des Inhalts erst einmal setzen musste.
»Mein Gott – Raja!«
Sie hielt einen der beiden Ohrringe hoch und betrachtete ihn atemlos. Von einem fein ziselierten goldenen Bogen hingen fünf schmale, biegsame Goldbänder herab, die wie das Mangalsutra mit winzigen Smaragden und Rubinen besetzt waren.
»Fünfundzwanzig pro Ohrring«, erläuterte Raja mit großer Wärme. »Also insgesamt fünfzig – für die jüngste, schönste und beste fünfzigjährige Ehefrau aller Zeiten.«
»Du… du bist verrückt!«
»Ja«, bestätigte Raja. »Verrückt nach dir.«
Sie bedankte sich mit einem langen, leidenschaftlichen Kuss. Dann ließen sie sich an dem Frühstückstisch nieder, und während sie ihre erste Tasse Chai genossen, ersetzte Sita mit einer geübten, anmutigen Geste ihre schlichten Goldohrringe durch die neuen Schmuckstücke. Liebevoll sah Raja ihr dabei zu. Eigentlich brauchst du ja gar keinen Schmuck, um für mich die schönste und begehrenswerteste Frau der Welt zu sein, dachte er. Aber ich gönne dir diese Freude von Herzen, meri chandni.
Als nächstes öffneten sie Ranis Schachtel; sie enthielt Laddoos, die, wie sie der beiliegenden Karte entnehmen konnten, Rani zusammen mit Pooja für ihre Eltern gemacht hatte. Sofort steckten sie sich gegenseitig feierlich je eine der sündhaft süßen Kugeln in den Mund und beschlossen, dafür nachher noch nach einem extra schönen Souvenir für ihre Tochter zu suchen. Nanda Singh hatte ihnen den Kriminalroman Der Pate von Bombay von Vikram Chandra geschenkt; Raja erinnerte sich, dass sie einmal über diesen Autoren gesprochen hatten und er dabei hatte zugeben müssen, dass er die Geschichte um den Sikh-Kommissar Sartaj Singh noch nicht gelesen hatte. Offenbar betrachtete Nanda, der ja ebenfalls Sikh war, dies als eine Wissenslücke, die es unbedingt zu schließen galt.
Zuletzt war nur noch das Paket aus Srinagar übrig.
»Wollen wir das für später aufheben, wenn wir zurückkommen?«, schlug Sita vor. »Es ist viertel vor sechs, die Parathas werden kalt, und wir sollten uns schon noch ein wenig stärken, bevor wir demnächst stundenlang auf den Beinen sind. Das Paket läuft uns ja nicht weg.«
»Wo du recht hast, hast du recht«, stimmte Raja ihr zu. »Darf ich dir noch etwas Chai einschenken?«
»Gern, danke«, erwiderte sie und hielt ihm ihre Tasse entgegen.
***
Erstaunlich pünktlich erwartete sie an der Rezeption ihr Guide, der sich ihnen als Ashish vorstellte. Das Hotel stellte den Wagen und den Fahrer, der sie zu dem weltberühmten Mausoleum fuhr. Das letzte Stück von dem Ticket-Gebäude bis zu dem Eingang in der hohen Außenmauer, der zum Südlichen Tor führte, legten sie mit einem batteriebetriebenen Kleinbus zurück. »Andere Fahrzeuge sind im näheren Umkreis des Taj Mahal nicht mehr gestattet, weil die Abgase dem Marmor schaden«, erklärte Ashish.
Trotz der frühen Morgenstunde hatte sich schon eine mittlere Menschenschlange eingefunden, die in das Innere der Anlage gelangen wollte. Raja und Sita störte das nicht im Geringsten; zu groß war ihre Vorfreude. Und schließlich hatten sie den ganzen Tag Zeit für diesen Traum, den ihre Kinder und Freunde ihnen ermöglicht hatten.
Stück für Stück arbeiteten sie sich vorwärts, bis sich schließlich vor ihnen das aus rotem Sandstein errichtete Südliche Tor erhob, das für sich allein schon ein Prachtbau war mit seinen kostbaren Intarsienarbeiten, die Tor- und Nischenbögen einrahmten: Kunstvoll in weißen Marmor eingearbeitete Halbedelsteine bildeten farbige Ranken aus Blättern und Blüten und kalligraphische arabische Schriftzüge aus dem Koran.
Und dann war es so weit: Hand in Hand traten Raja und Sita durch den großen Torbogen in den Innenbereich. Hatten sie zuvor noch leichtes Bedauern über den Nebel empfunden, der ganz Agra an diesem Morgen einhüllte und die Sonne verdeckte, so war das in diesem Augenblick vergessen, als das Taj Mahal vor ihnen auftauchte – wie eine Erscheinung, ein Mysterium aus einer anderen, geheimnisvollen Welt jenseits der silbrigzarten Nebelschwaden.
Minutenlang standen sie einfach nur wie verzaubert da, um den Anblick in sich aufzunehmen und zu bewahren. Ashish ließ ihnen alle Zeit der Welt. Erst als sie sich nach ihm umsahen, war er wieder zur Stelle und führte sie durch die gesamte Anlage, verwies auf die seitlich gelegenen Gästehäuser und die Moschee und erzählte ihnen die Geschichte des Großmoguls Shah Jahan, der Mitte des 17. Jahrhunderts dieses einzigartige Grabmal für seine Lieblingsfrau, die persische Prinzessin Mumtaz Mahal hatte erbauen lassen, die bei der Geburt ihres vierzehnten Kindes gestorben war. Mindestens siebzehn Jahre lang, so erläuterte Ashish, wurde an dem Mausoleum gearbeitet; aus ganz Asien wurde das Material mit Elefanten an den Jamuna-Fluss gebracht, und gut zwanzigtausend Arbeiter errichteten aus schimmernd weißem Marmor das Symbol von Shah Jahans unsterblicher Liebe.
Nachdem sie noch das Innere des Grabmals mit den Sarkophagen von Mumtaz Mahal und Shah Jahan besichtigt hatten, verneigte Ashish sich leicht vor ihnen.
»Ich lasse Sie jetzt allein. Nehmen Sie sich so viel Zeit, sich umzusehen und das Taj Mahal zu genießen, wie Sie möchten. Dort hinten bei den Bäumen sind Bänke, dort werden Sie mich finden, wenn Sie Fragen haben oder zurück ins Hotel wollen. Ich wünsche Ihnen beiden noch einen wunderschönen Tag.«
Raja nickte zustimmend, und Ashish ging mit schnellen Schritten in die Richtung des Südlichen Tores davon. Der Nebel hatte sich mittlerweile etwas gelichtet; erste Sonnenstrahlen drangen durch die Silberschwaden und ließen die Wasserspiele in der Gartenanlage vor dem Grabmal aufglitzern.
»Möchtest du eine Pause machen, meri chandni?«, fragte Raja.
»Nein.« Energisch schüttelte Sita den Kopf. »Ich möchte mir diese wunderbaren Reliefs und Intarsienarbeiten noch etwas genauer ansehen.«
Langsam umrundeten sie den zentralen Kuppelbau des Taj Mahal, dessen weiße Marmorwände fast überall in irgendeiner Form verziert waren. An manchen Stellen wuchsen als plastisches Relief gestaltete blühende Sträucher aus dem Marmor heraus, anderswo zart gemusterte schmale Säulen, und überall waren – ähnlich wie im Südlichen Tor, nur noch unendlich reicher und kostbarer – farbige Steine zu kunstvollen Intarsienarbeiten in den Marmor eingearbeitet worden. Ashish hatte ihnen erzählt, dass dafür achtundzwanzig verschiedene Edel- und Halbedelsteinsorten verwendet worden waren, darunter Jade, Saphire, Lapislazuli und sogar Diamanten.
»Unfassbar schön«, flüsterte Sita. »Wenn man Fotos sieht, stellt man sich immer einen Bau aus schlichten, glatten Marmorwänden vor. Und dann steht man plötzlich vor so einer Pracht. Es ist einfach überwältigend.«
Sie sah Raja an, und ihre Hand fand die seine.
»Ich bin so glücklich, dass ich das zusammen mit dir erleben darf.«
»Ich auch, meri chandni«, erwiderte Raja mit einem sanften Lächeln. »Ich auch.«
Sie entfernten sich einige Meter von dem Kuppelbau und ließen sich auf den Stufen nieder, die zu einem der Seitengebäude führten. Fasziniert betrachteten sie das vor ihnen hoch aufragende Grabmal, das nun, da die Nebelschwaden sich endgültig aufgelöst hatten, im Licht der Sonne strahlend hell schimmerte und sie beinahe blendete. Dennoch konnten sie ihren Blick nicht abwenden; Raja hatte den Arm um Sita gelegt, und beide gaben sich ganz dem Zauber dieses Augenblicks hin.
»Es ist so schön, Raja… so schön…«
Ihre Stimme klang belegt, und Raja sah, dass ihre Augen verdächtig glänzten.
»Ich liebe dich, Raja.«
»Ich liebe dich, meri chandni. Shah Jahan kann seine Mumtaz Mahal nicht mehr geliebt haben als ich dich.«