Er ging in die Hocke und stellte den Ascher zwischen Theresa und sich.
»Sie sehen unglücklich aus, Barry.« Theresa sah ihn mitleidig an. »Ihr...« Sie suchte nach einem Wort. »Ihr Kollege macht Ihnen Druck wegen des Mantels, nicht wahr?«
»Es... es ist nicht deswegen.«
Sie wartete geduldig. Er würde reden, das spürte sie.
»Ich war ungefähr so alt wie Ihre Tochter, als meine Mutter starb.« Seine Stimme klang heiser. Er leerte das halbvolle Glas mit einem Zug. »Auf eine Art war’s dann vorbei.« Er lachte unsicher auf, »mein Leben meine ich, Sie verstehen?«
»Hat Ihr Vater Sie erzogen?«
»Erzogen?« Wieder das trockene Lachen. Diesmal höhnisch. Er sprach nicht weiter.
»Sind Sie hier in New York zur Schule gegangen?«
»Nur sieben Klassen. In der achten habe ich meinen Lehrer krankenhausreif geschlagen.«
Theresa dachte an David und Henry, ihre Zwillinge, und versuchte sich vorzustellen, sie hätten sich mit ihren Lehrern geschlagen. Das gelang ihr nicht. Dieser rothaarige Mann da, ihr gegenüber, lebte in einer anderen Welt.
Das Gespräch stockte. Barry stand auf und holte ein zweites Glas aus dem Zimmer.
»Hier, das wird Ihnen gut tun.« Er füllte das Glas mit dem Whisky und reichte es ihr.
Theresa nahm einen kräftigen Schluck. Bei ihren Freundinnen war sie für ihre Trinkfestigkeit bekannt.
»Ich will Ihnen sagen...« Er kam ins Stammeln, »... ich meine... ich muss das hier machen, verstehen Sie?« Theresa sah ihn an. Er wich ihrem Blick aus. »Sorry, Ma’am, ich muss.« Nach ein paar Minuten stand er auf und verließ das Bad.
Theresa starrte in die Dunkelheit und nippte ab und zu an dem Whisky. Er war erstaunlich gut und schmeckte nach schottischem Malt.
Der Mann tat ihr Leid. Und sie mochte ihn. Vor allem aber schien er ihr eine Tür in die Freiheit zu sein. Wenn es ihr gelingen würde, ihn auf ihre Seite zu ziehen. ..? Man hatte von solchen Fällen ja schon gehört. Ein Anfang war jedenfalls gemacht.
Obwohl der Whisky seine Wirkung tat, wurde sie immer unruhiger. Ein Gedanke schälte sich aus dem Wirrwarr der Ängste und Hoffnungen unter ihrer Schädeldecke. Ein Gedanke, der ihren Herzschlag beschleunigte.
Sie hatte sich schon von Anfang an gewundert, dass Barry sich ihr unmaskiert zeigte. Und heute auch der andere. Hatten diese Männer denn gar keine Angst, dass sie der Polizei später eine genaue Personenbeschreibung geben würde?
Die Erklärung lag nahe. Es war, als würde eine gefrorene Hand nach ihrem Herzen greifen, als sie langsam zu begreifen begann, dass für sie kein Später vorgesehen war.
14
Adonis schnarchte. Marilyn zog behutsam ihre Beine unter seinem nackten Körper weg. Er war irgendwann einfach eingeschlafen.
Sie grinste. Der wilde Tanz mit ihr hatte ihn vollkommen geschafft. Aber er war gut gewesen. Schade, dass er Pilot war. So schnell würde sie ihn nicht wieder sehen.
Sie warf einen Blick auf den Wecker, der auf dem Nachttisch stand: Kurz nach sieben. Vor dem großen Fenster der Hotelsuite färbte sich der Himmel zwischen den Wolkenkratzern rötlich. Der Tag neigte sich.
Sie ging unter die Dusche. Tropfnass sprang sie zum Telefon, als es klingelte.
»Es ist soweit, Kindchen. Merchand erwartet dich um acht.« Die rauchige Stimme der Chefin.
Marilyn schminkte sich und stieg in ein hoch geschlitztes, weit ausgeschnittenes Kleid aus rotem Leder. Mit dem Lippenstift schrieb sie eine Nachricht für Adonis auf den Badezimmerspiegel. Die Rezeption bestellte ihr ein Taxi.
Der Schriftsteller wohnte in Chelsea. Er hatte ein Apartment im Parterre eines 14-stöckigen Hauses aus den 20er Jahren. Die Krankheit hatte ihm die Kontrolle über seine Beine genommen. Alles andere an ihm war noch sehr beweglich. Einschließlich seines wichtigsten Körperteils. Und das, obwohl er weit über 60 war.
»Ich habe einen verdammt schlechten Tag hinter mir, Baby«, begrüßte er sie. »Fast hätte mich gestern so ein Wichser von Trucker platt gemacht. Ich sag dir, im Rollstuhl leb' ich gefährlicher als auf meiner Harley früher. Ich brauch was Weiches und Warmes zur Entspannung. Komm her.«
Sie zog sich aus und gab ihm so viel Warmes und Weiches, wie sie hatte. Und das war weiß Gott nicht wenig.
Hinterher lächelte er sie an wie ein Säugling nach der Brust. Sie steckte ihm eine brennende Zigarette zwischen die Lippen.
»Soll ich dir ein paar Eier in die Pfanne hauen?«
»Sakrament, das wäre geil! Ist das im Preis mit inbegriffen?« Er lachte meckernd. Marilyn musste an einen Ziegenbock denken. »Aber ohne Klamotten, hörst du? Und lass die Küchentür auf, dass ich was von dir sehe.«
Marilyn tat ihm den Gefallen. Sie kam sich fast großmütig vor dabei. Zu sterben mit dem Bild ihrer üppigen Rundungen auf den Netzhäuten kann man sich einen schöneren Tod wünschen?'
Das Insulin stand in der Kühlschranktür unter dem Eierfach. Wie die Chefin ihr gesagt hatte.
Merchand war nämlich zusätzlich auch noch zuckerkrank. Das Schicksal hatte ihn hart getroffen. Zumindest gesundheitlich. Aber Marilyn wusste, dass er mit Drehbüchern ein Vermögen gemacht hatte. Die Chefin hatte durch blicken lassen, dass seine Schwester - sie war Köchin in einem Kinderheim - das irgendwie ungerecht fand. Und dass sie Alleinerbin war.
Während die Eier in der Pfanne brutzelten, holte Marilyn die Ampulle mit dem Insulin aus dem Kühlschrank. Außerhalb seines Blickfeldes zog sie die gesamte Ampulle in einer Zehnmilliliterspritze auf vierhundert Einheiten. Das würde dem Kerl auch das letzte Zuckermolekül aus dem Blut holen. Und ohne Zucker konnte auch das Hirn eines Schriftstellers nun mal nicht leben.
Sie brachte ihm die Eier ans Bett und spähte nach seinen Füßen. Auf der alten Haut des Fußrückens wölbten sich einige dicke Venen.
»Toller Service«, krähte er. »Du musst öfter kommen, Baby.« Er schob sich eine Ladung Eier in den Mund.
Marilyn, die Hand mit der Spritze hinter ihrem Schenkel versteckt, rückte langsam zum Fußende des Bettes vor.
»Wie heißt du?«, fragte er mit vollem Mund.
»Maria Magdalena«, sagte sie. »Du kennst doch die Geschichte von der Frau, die Jesus die Füße gesalbt hat das ging so...« Er lachte meckernd, als sie sich über seine Füße warf. Aber nicht lange.
»He! Bist du übergeschnappt?« Er spürte den Stich kaum, war aber irritiert, weil sie seinen linken Fuß fest umklammert hielt, während sie langsam das Insulin in die Vene drückte. »Was machst du da, verflucht?«
Sie sprang auf, die leere Spritze hinter ihrem Rücken verbergend.
»Was soll das, du Miststück?«
Mit offenem Mund und großen, staunenden Kinderaugen starrte er die blutende Einstichstelle auf seinem Fußrücken an.
Marilyn präsentierte ihm die Spritze. »Ich hab dir dein Insulin verpasst, du lahmer Ziegenbock!«
Er begriff erst, als er anfing zu zittern. Marilyn kam ihm zuvor, als er nach dem Telefon greifen wollte. Seine Bewegungen waren schon so langsam wie die Barrys, wenn er die zweite Flasche Whisky aufmachte.
Bald trat ihm der Schweiß aus allen Poren. Ein Teppich feiner, durchsichtiger Perlen bedeckte seinen nackten Körper, und ein feuchter Fleck breitete sich um ihn herum auf dem Laken aus.
Nach zehn Minuten lag er apathisch im Bett und starrte an die Decke.
Marilyn begann ihre Spuren zu beseitigen. Er zitterte so heftig, dass