"Danke!"
"Was willst du damit, Bount?"
Reiniger zuckte mit den Schultern.
"Mal sehen. Ich weiß es noch nicht."
12
Es war bereits ziemlich dunkel und es regnete wieder, als Roy Brady ins Freie trat und sich nach rechts und links umdrehte. Er schlug sich den Mantelkragen hoch und schlang sich den Schal vor den Mund.
Es war hundekalt und dennoch stand Brady der Schweiß auf der Stirn, als er die Straße überquerte. Es war kalter Angstschweiß und sein Gesicht war von nackter Furcht gezeichnet.
"Oh, mein Gott", flüsterte er kaum hörbar in seinen Schal hinein, obwohl er eine Kirche zum letzten Mal von innen gesehen hatte, als seine Mutter ihn zur Taufe getragen hatte. Er schluckte.
Ich hätte mich nie auf diese Dinge einlassen sollen, durchfuhr es ihn.
Aber nun war es zu spät.
Einfach zu spät.
Bis zum Hals steckte er im Sumpf und er sah nicht die geringste Chance, sich selbst wieder herauszuziehen. Brady fühlte seinen Puls bis zum Hals schlagen. Überall konnte er auf ihn lauern.
Er musste auf der Hut sein und aufpassen.
Er musste hinüber zur Telefonzelle auf der anderen Straßenseite.
Er wollte auf jeden Fall ungestört sein, wenn er den Hörer abnahm.
Brady atmete schwer.
Er war derart nervös, dass ihn beinahe ein Auto erwischte, das dann hupend weiterfuhr.
Oh, verdammt!, schoss es ihm durch den Kopf. Ich beginne bereits die Nerven zu verlieren!
Jetzt hieß es kühlen Kopf zu bewahren. Nur dann hatte er noch eine Chance. Kühlen Kopf und stahlharte Nerven. Aber wie es schien, hatte er weder das eine noch das andere. Schließlich hatte er die andere Straßenseite erreicht. Noch einmal blickte er sich nach allen Seiten um. Er sah einen Stadtstreicher mit speckigem Parka, vor Dreck starrenden Jeans und einer schmuddeligen Wollmütze, die er tief ins Gesicht gezogen hatte.
Der Mann hob eine Zeitung vom Boden auf, die irgendjemand achtlos weggeworfen hatte und blätterte darin.
Keine Gefahr, dachte Brady bei diesem Anblick oder besser: Er versuchte, es sich einzureden. Immer wieder: Keine Gefahr!
Außer dem Stadtstreicher sah er niemanden in der Nähe. Er öffnete die Tür des Telefonhäuschens, ließ sie dann hinter sich zuschlagen und fingerte mit zitternden Händen ein paar Münzen aus der Manteltasche heraus.
Dann begann er eine Nummer zu wählen. Wieder und wieder drehte sich die Wählscheibe vor und zurück und schließlich kam das Freizeichen.
Mach schon!, rief es in ihm. Verdammt noch mal, nun nimm doch endlich ab!
Sein Stoßgebet wurde im nächsten Moment erhört. Eine weibliche Stimme meldete sich.
"Ist da das Büro von Bount Reiniger?"
"Ja. Wer spricht dort, bitte?"
"Hier ist Roy Brady. Ich habe Mr. Reiniger etwas Wichtiges mitzuteilen. Ich..."
"Kann ich Mr. Reiniger etwas ausrichten, Mr. Brady? Hallo... Sind sie noch dran?"
Brady war noch dran, aber ihm waren die Worte vor Entsetzen buchstäblich im Halse steckengeblieben, als er sich umgewandt und in das Gesicht des Stadtstreichers geblickt hatte, der urplötzlich vor der Telefonzelle aufgetaucht war. Alles, was dann geschah, dauerte kaum länger als eine Sekunde.
Plötzlich war Brady klar, dass dieser Mann gar kein Stadtstreicher war, sondern sich nur so aufgemacht hatte. Der Kerl hatte hier auf ihn gewartet, ihn wahrscheinlich schon längere Zeit beobachtet und nun war seine Chance gekommen!
Der Mann hatte ein kalt glitzerndes Augenpaar, das ihn geschäftsmäßig musterte.
Eine hässliche Narbe, die vermutlich von einer Messerstecherei herrührte, zog sich von der Stirn über das Auge und fast die gesamte rechte Wange.
Der Mann verzog das Gesicht und bleckte die Zähne. Brady sah die Zeitung seines Gegenübers, jene Zeitung, die dieser vom Boden aufgesammelt hatte.
Die Zeitung glitt zur Seite und die Mündung einer Automatic mit Schalldämpfer wurde für den Bruchteil eines Augenblicks sichtbar.
Bradys Augen waren vor Schreck weit aufgerissen.
"Nein", flüsterte er fast tonlos, aber da hatte sein Gegenüber bereits abgedrückt.
Am Ausgang des Schalldämpfers blitzte ein Mündungsfeuer. Es gab ein hässliches, dumpfes Geräusch.
Das Projektil durchschlug die Scheibe der Telefonzelle, ließ das Glas splittern und fuhr Brady dann direkt in die linke Brust. Brady wurde durch die Wucht des Geschosses nach hinten gerissen, ließ den Hörer fallen und ächzte noch einmal unterdrückt.
Der Killer wollte sichergehen.
Ein zweiter Schuss traf Brady mitten in der Stirn, bevor er dann mit starren, weit aufgerissenen Augen zu Boden rutschte. Der Killer steckte die Waffe in die weite Seitentasche seiner Parka, beugte sich nieder, hob den Hörer auf und hängte ihn die Gabel.
13
Das Autotelefon schnurrte und Bount nahm augenblicklich den Hörer ab.
Es war June.
"Was gibt es?", fragte Bount.
"Ein Mann namens Roy Brady hat angerufen. Er ist ein Informant, nicht wahr?"
"Ja, was hat er gesagt?"
"Er ist nicht mehr dazu gekommen, etwas auszupacken. Es sei sehr wichtig hat er gesagt, und dann gab es ein merkwürdiges Geräusch - wie aus einer Schalldämpferpistole. Ich fürchte, er lebt nicht mehr, Bount."
Bount atmete tief durch.
"Das fürchte ich auch, June."
"Er hat aus einer Zelle angerufen."
"Ich kann mir denken, wo das ist", flüsterte Bount, mehr zu sich selbst als zu seiner Gesprächspartnerin an der Strippe. "Hast du die Polizei schon benachrichtigt?"
"Nein. Ich dachte mir, ich sage erst dir Bescheid."
"Okay, dann werde ich das von hier aus erledigen..." Zwei Sekunden später hatte Bount Reiniger aufgelegt. Er suchte eine Seitenstraße, in der er seinen 500 SL drehen konnte. Verdammt!, dachte er.
Brady war umgelegt worden und es gab sicher ein paar Dutzend Leute, die dafür in Frage kamen. Aber einer von ihnen war Tony Maldini!
Bount Reiniger dachte an die Liste, die Captain Rogers ihm gegeben hatte. Brady passte vorzüglich in diese Liste von Leuten hinein, die zwei Dinge gemeinsam hatten: Sie hatten mit Maldini zu tun und sie waren mausetot.
So viele Zufälle kann es nicht geben, dachte Reiniger. Brady hatte ihm etwas Wichtiges zu sagen gehabt, was nur heißen konnte, dass er etwas über Maldini herausgefunden haben musste. Eine andere Möglichkeit gab es kaum.
Endlich hatte Bount eine Möglichkeit zum Drehen gefunden. Es dauerte ein bisschen, bis er sich wieder in den Verkehr diesmal in entgegengesetzte Richtung - einfädeln konnte. Dann wählte er an seinem Autotelefon die Nummer der Polizei.
14
Es war ganz so, wie Bount Reiniger gedacht hatte. Brady war in der Telefonzelle ermordet worden, die der Kaschemme gegenüber lag, in der man ihn sonst immer antreffen konnte.
Wahrscheinlich hat er ungestört mit