»Es geht um das Kind, darum müssen wir uns jetzt zuerst kümmern.«
»Claudia!«
»Ja, wir müssen sie in ein Heim bringen, Karla.«
»Ich komme mit.«
»Du mutest dir zu viel zu. Es ist besser für dich, wenn du dich nicht sehen lässt.«
»Nein!« Ihr Gesicht wirkte kantig und böse. »Nein, ihr könnt mich nicht davon abhalten. Was wisst ihr denn schon von Claudia und mir?«
Die Beamtin zuckte die Schultern.
»Fahren wir?«
»Einen Augenblick«, sagte Verden. »Gehen Sie schon mal voraus. Ich regele das noch.«
Eindringlich sprach er mit der Dirne, aber sie wollte nicht auf ihn hören. Er konnte ja auch nicht wissen, wie innig ihr Verhältnis zu dem kleinen Mädchen war. Schließlich sah er in ihr nur eine Dirne, wenn auch eine Luxus-Tülle.
Karla ging zur Tür.
»Wenn du es mir verbietest, werde ich mich zu wehren wissen, Humbert.«
»Ich meine es doch nur gut mit dir, Karla.«
Sie stürmte über den Gang davon. Er folgte ihr im Lauftempo. Dann saßen sie im Wagen.
Später konnte sich Karla diese Minuten nicht mehr vorstellen, sie waren einfach nicht da gewesen. Der Schmerz schüttelte sie.
Dann standen sie vor dem Haus. Die Beamtin und der Kommissar stiegen mit ihr aus.
Claudia! Sie hatte dem kleinen Mädchen gesagt: »Ich bringe deine Mutti zurück.«
Sie stürmte die Treppe hinauf. Oben stand Claudia. Die Nachbarin hatte sich rührend um sie gesorgt und ihr die Angst genommen. Jetzt lächelte sie Karla an.
Die beiden Beamten blieben eine Treppe tiefer zurück.
»Hallo,Karla, da bist du ja endlich!«
Sie konnten mit eigenen Augen sehen, wie das kleine Mädchen der Dirne in die Arme flog. Es legte die Ärmchen um ihren Hals und drückte sie ganz fest.
»Wo ist meine Mutti, Karla?«
Sie umfing den federleichten Körper, hob ihn hoch und trug ihn in die Wohnung. Karla hatte alles um sich herum vergessen.
»Komm, mein Mäuschen!«
Sie saßen auf dem Sofa wie auf einer kleinen Insel. Die anderen standen im Hintergrund und zögerten. Karla sah sie mit bösem Blick an. Frau Brand spürte, sie musste jetzt abwarten.
»Wo ist Mami?«
Karla wusste, wenn sie es Claudia nicht erklärte, dann musste diese fremde Person es tun. Die hatte nicht viel Zeit und würde wenig Rücksicht auf das empfindsame Herzchen nehmen.
»Claudia, Liebling, deine Mami kommt nicht mehr.«
»Aber warum denn nicht? Ist sie schon im Büro? Hat sie mich vergessen?«
Karla schossen die Tränen in die Augen.
»Deine Mami ist bei den Engeln, verstehst du?«
»Nein!«
Claudia fing an zu zittern. Plötzlich war ihr alles unheimlich, dazu die fremden Personen in der Wohnung. Was wollten sie von ihr?
»Mami, Mami, wo bist du?«
»Deine Mami ist tot«, sagte Karla gebrochen und schlang in einer wilden Leidenschaft die Arme um das Kind. »Wir zwei sind jetzt ganz allein, Claudia, du und ich.«
»Nein, nein, nein!«
Wehe Schluchzer drangen durch den Raum.
Sie strich ihr über das Haar und drückte sie zärtlich an sich. Wie sehr litt sie mit diesem Kind. Sie spürte das Aufgewühlte und war selbst schwach und elend. Sie bedurfte des Trostes, wie konnte sie in diesem Zustand dieses Kind trösten.
»Mami, ich will zu meiner Mami.«
»Sie ist jetzt im Himmel, Claudia. Du musst tapfer sein.«
»Ich will zu meiner Mami, Karla. Du hast gesagt, dass du sie holst.«
»Sie kann nicht mehr kommen.«
Ein Würgen war in ihrer Kehle.
»Karla, Karla!«
Die Beamtin trat hervor.
»Wir sorgen jetzt für dich, Claudia, du brauchst keine Angst zu haben.«
Das verstörte kleine Mädchen hob den Kopf und sah die Beamtin an.
»Wer bist du?«
»Ich bin gekommen, um dich mitzunehmen. Ich bringe dich zu vielen Kindern. Da kannst du spielen und wirst bald alles vergessen haben.«
Der schmale Körper presste sich noch mehr an die Dirne.
»Karla, Karla, ich will nicht fort. Sag ihr, dass ich nicht fort will, Karla, du bist doch meine Freundin. Schick sie weg, schnell, ich mag sie nicht.«
Karla warf dem Kommissar einen beschwörenden Blick zu.
»Lassen Sie mir das Kind. Sehen Sie denn nicht, wie verstört es ist?«
Verden räusperte sich.
Frau Brand mischte sich sofort ein: »Das geht nicht, das ist gegen die Vorschriften. Sie sind nicht mit der Kleinen verwandt, also kann sie nicht bei Ihnen bleiben.«
»Warum müssen Sie immer nach Ihren Vorschriften handeln? Hier geht es doch um ein Kind!«
Karla hatte bisher nicht gewusst, dass sie kämpfen konnte. Es ging ja auch nicht um sie persönlich. All ihre Leidenschaft legte sie in die Bitte, aber es sollte ihr nichts helfen.
»Das Vormundschaftsgericht wird sich um diesen Fall kümmern. Ich habe Order, die Kleine fortzubringen. Verstehen Sie das nicht?«
Verden hatte selbst Kinder daheim. Er konnte die Situation nachempfinden, aber ihm waren auch die Hände gebunden. Wenn er durchdrückte, dass sie die Kleine behielt, und es kam an die Öffentlichkeit, dann konnte er seinen Hut nehmen. Man würde ihm die schlimmsten Vorwürfe machen. Sogar die Kollegen, denn die Frau war eine Dirne und in den Augen der anderen eine verworfene Person. Wie hätte er ihr nur die Kleine überlassen können! Das Kind würde verdorben werden und vieles mehr. Er würde Karla keinen Dienst damit erweisen, so grausam es sich auch darstellen mochte. Wer würde sie vor vielen Angriffen schützen, wenn er es nicht tat?
»Karla, du musst das begreifen. Es geht nicht anders, später vielleicht.«
Claudia schien zu erkennen, dass sich jetzt alles um sie drehte. Ihr verstörtes kleines Herz bäumte sich auf. Es war verständlich, dass sie lieber bei Karla blieb, die sie kannte und liebte. Karla war wie eine Mutti zu ihr. Waren sie doch so oft beisammen gewesen, wenn die Mami keine Zeit hatte.
»Bitte!«
Die Beamtin beugte sich über das Kind und nahm es ihr aus den Armen. Ein Kampf entstand. Claudia gebärdete sich wie wahnsinnig, schrie und tobte.
Karla stand auf und hielt sich die Ohren zu. Die Tränen stürzten über ihr Gesicht.
Man führte Claudia in den Flur. Die Erwachsenen waren nun mal stärker als das Kind.
»Karla, Karla, so hilf mir doch! Sie bringen mich fort.«
Gellend schrie das Kind im Treppenhaus.
Karla stöhnte wild auf und warf sich auf das Sofa. Die Wirklichkeit konnte grausam und gemein sein.
Verden blieb zurück.
Lange blieb es totenstill im Raum.
Gebrochen stand die Dirne auf und sah den Kommissar an.
»Das