In der Bar gab es an den Wänden viele Spiegel. Sie konnte sich immer wieder betrachten. Ja, sie war rassig und schön, und während sie über Peters Worte nachsann, noch die Küsse spürte, dachte sie: Vielleicht bin ich gar keine Dirne, vielleicht gibt es noch eine zweite Stufe in diesem Beruf? Waren die Mätressen früher so gewesen? Leidenschaftlich und klug beeinflussten sie sogar die Politik.
5
Karla hatte lange überlegt, was sie Veras Tochter mitbringen sollte. Sie war in die Stadt gefahren und in ein Spielzeuggeschäft gegangen. Das war ein Genuss für sie. Sie hatte sich für eine Käthe-Kruse-Puppe entschieden, obschon diese sündhaft teuer war als kleines Geschenk. Sie konnte einfach nicht widerstehen. Wollte sie damit Freundschaft erkaufen?
Seit Langem nicht mehr war sie so aufgeregt wie an diesem Samstagnachmittag. Sie machte sich zeitig auf den Weg und kam pünktlich in der kleinen Straße an. Claudia stand am Fenster. Sie musste es sein, denn als Karla aus dem Wagen stieg, lief sie gleich zurück. Karla hörte die hohe, helle Kinderstimme: »Mutti, ich glaube, sie ist da.«
Dann sah sie auch Vera Celler.
Karla betrat die kleine Wohnung. Sie war bei Weitem nicht so groß und elegant wie ihre und doch gemütlich. Zwei Kinderaugen strahlten sie an. Sie musste Claudia einfach gern haben. Sie war ein hübsches Kind mit wirren, blonden Locken und einem herzlichen Lachen, unkompliziert und anschmiegsam.
Wie freute sie sich über die Puppe. Sie wollte sie Karla nennen. Kaffee und Kuchen standen noch nicht auf dem Tisch, da waren sie schon dicke Freunde. Karla hatte vor Glück Tränen in den Augen.
Etwas später erschien eine Freundin von Claudia. Sie gingen fürs erste ins Kinderzimmer. Die neue Puppe musste bewundert werden.
Vera sagte lachend: »So, jetzt sind wir endlich unter uns. Nun erzähl mal, wie es dir ergangen ist. Vor allem möchte ich wissen, was du jetzt so treibst. Bin ich froh, dass ich dich getroffen habe. Sag mal, Karla, können wir nicht wieder wie früher gute Freundinnen sein? Claudia mag dich auch recht gern. Das ist herrlich, wir haben weder Verwandte noch Familie. Sie möchte so gern Bekannte und Spielkameraden haben und ich eine Freundin. Das braucht man im Leben. Ich glaube, ich dränge mich viel zu sehr auf. Vielleicht willst du gar nicht, Karla, denn du bist so still. Ich quatsche die ganze Zeit, und dabei ist das für dich nur ein Höflichkeitsbesuch. Du hast bestimmt Menschen um dich.«
Karla wusste, jetzt war der große Augenblick gekommen. Sie musste Vera die Wahrheit sagen, oder sie würde von Anfang an alles vergiften.
Um des Kindes willen schon war sie gezwungen, mit Vera über ihren Beruf zu sprechen.
Vorsichtig begann sie: »Nun, ich kenne in der Tat eine Menge Leute, das streite ich nicht ab. Doch ich bin genauso allein wie du, Vera.«
»Geh, das kann ich nicht glauben. Du siehst wahnsinnig gut aus, Geld scheinst du auch im Überfluss zu haben, und dann bist du noch frei. Ich verstehe nicht, warum du allein sein sollst. Ich kann mir denken, dass die Männer bei dir Schlange stehen.«
»Damit hast du vollkommen recht.«
Vera zündete sich eine Zigarette an.
»Das ist mein einziger Luxus, den ich mir im Augenblick leisten kann. Das Kind kostet eine ganze Menge. Nun mal Spaß beiseite, Karla. Sprich endlich über dich.«
»Ich bin schon mitten drin.«
Sie stand auf. Es war nicht so einfach, zumal sie sich danach sehnte, bei Vera bleiben zu dürfen. Karla wusste, dass dann in der Zukunft die Dinge besser liefen.
»Ich muss dir etwas sagen, Vera. Ich finde, ich sollte ehrlich zu dir sein. Du musst es wissen, und dann kannst du entscheiden.«
»Warum denn so feierlich?«
Karla drehte sich mit einem Ruck zu der Freundin herum.
»Ich bin eine Dirne!«
Vera saß ganz ruhig da.
»Verstehst du! Ich sage dir die Wahrheit, ich arbeite in einer Bar. Damit allein verdiene ich nicht mein Geld. Bei mir stehen die Männer tatsächlich Schlange.«
Vera blickte die Freundin groß an.
Karla knetete ihre Hände. Sie dachte verzweifelt, ich habe es ja gewusst, sie ist wie die anderen. Jetzt wird sie mich vor die Tür setzen und sagen: Von wegen Freundschaft und so, ich will das nicht mehr. Nein danke, eine Tülle, die kann ich ganz und gar nicht brauchen.
Karla nahm ihre Tasche und sagte leise: »Du brauchst mir nichts zu sagen. Ich habe schon verstanden.«
Sie wollte das Zimmer verlassen.
Da hörte sie Vera sagen: »Bitte, erzähle mir alles.«
»Hast du denn nicht gehört?«
»Natürlich, setz dich und erzähle mir deine Geschichte.«
»Vera, ich muss dich auf etwas vorbereiten, das dir fremd ist.«
Sie hatte einen Kloß in der Kehle. Wie sollte sie es denn erklären?
»Erzähle mir, wie es angefangen hat, Karla.«
Sie nahm die Zigarette an, obschon sie sonst nicht rauchte.
Dann begann sie, von Hanko zu sprechen. Sie sagte es gleichgültig und monoton, sie ließ aber auch nicht aus, dass sie jetzt nicht mehr gezwungen wurde und aufhören konnte, wenn sie nur wollte. Doch nicht schon jetzt. Sie hatte sich vorgenommen, eine Menge Geld zu machen, um selbständig zu werden. Erst dann wollte sie diesen Job an den Nagel hängen. Seltsamerweise begann sie plötzlich auch davon zu reden, dass die Männer sie dringend brauchten. Wie wichtig sie doch im Grunde sei und ihren Beruf auch sehr ernst nähme.
Karla wusste selbst nicht, warum sie Vera das alles erzählte. Sie sprudelte es einfach heraus. Sie fühlte tiefe Erleichterung und Frieden in sich, als sie es ihr gesagt hatte. Klein und gedemütigt kam sie sich dennoch vor, denn sie war jetzt auf das Urteil der Freundin angewiesen.
Vera hatte stumm in ihrem Sessel gesessen und sich die Beichte angehört, die über eine Stunde dauerte. Sie war eine junge, moderne Frau. Manche Stürme waren über sie hinweggebraust. Sie dachte auch zurück an den Augenblick, als der Mann sie im Stich gelassen hatte, als sie schwanger war. Vielleicht konnte sie deswegen die Freundin besser verstehen.
Endlich hatte sie geendet.
Vera sagte leise: »Was du über deinen Job gesagt hast, fand ich wichtig und gut. Es zeigt mir, dass du noch immer die alte Karla bist.«
»Was willst du damit ausdrücken?«
»Du hast immer zu dir gestanden. Wenn du etwas tatest, dann hast du dich dazu bekannt. Deswegen habe ich dich in der Schule immer gut leiden können. Weißt du, Karla, ich finde es wahnsinnig nett von dir, dass du mir alles erzählt hast.«
»Vera, ich glaube, du siehst das nicht richtig.«
»Doch, du hättest mir nichts sagen müssen. Es wäre sicher lange gegangen, bis ich es erfahren hätte.«
»Ich weiß.«
»Ich finde es stark von dir.«
Karla blickte sie unsicher an.
Vera lächelte: »Ich bin nicht so blöde, um nicht zu erkennen, dass du für mich weiter nichts als meine Freundin bist. Das warst du und bist es auch jetzt noch. Du hast diesen Beruf, na und? Ich bewundere dich, weil du dazu stehst. Wäre es nicht so, dann müsste ich dich verachten.«
»Soll das heißen, du verstößt mich nicht?«
»Hör mal, hast du dich denn in der letzten halben Stunde irgendwie verändert?«
»Nein, wieso«, stotterte sie.
»Wir haben uns zufällig wiedergetroffen, und ich habe mich wahnsinnig gefreut. Wir sitzen hier zusammen und fühlen, dass wir