In all den Jahren. Barbara Leciejewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Leciejewski
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783862823727
Скачать книгу
unter den Nägeln brannte, mitteilen konnte. Jemanden, der einfach zur Stelle war, wenn man ihn brauchte.

      Dachte ich.

      Schon drei Stunden später war ich ernüchtert. Und das, obwohl ich diverse von Jo spendierte Cocktails bei Schumann’s zu mir genommen hatte. Jawohl, Schumann’s, die berühmte Bar, der ultimative Nobelschuppen, darunter machte sie es nicht.

      Sie erzählte ohne Punkt und Komma von ihrem Leben in Australien und von Marc, den sie dort unten kennengelernt hatte. Ein Unternehmer und Selfmade-Millionär, aber wirklich nicht spießig, wie sie mir versicherte. Er finanzierte ihr den Aufenthalt in München und natürlich würde sie schon bald wieder nach Australien zurückkehren. Oder vielleicht würde Marc auch für einige Zeit nach München kommen. Er hatte ja seine Leute, die sich um sein Unternehmen kümmerten. Was für ein Unternehmen das war, wusste sie nicht so genau, irgendwas mit Geldgeschäften, so lange hatte sie nun auch nicht BWL studiert. Hahahahaha.

      Ich begann mich zu fragen, wo meine Freundin war. Jemand hatte sie gekidnappt und eine überdrehte Doppelgängerin zurückgeschickt. Eine schicke, die Mähne zurückwerfende, Kellnern zuzwinkernde Doppelgängerin.

      Natürlich stellte sie auch ein paar Fragen: Wie es so lief mit der Schauspielerei. Oh, und übrigens, apropos Schauspieler, ich würde es ja nicht glauben, wen sie in Sydney getroffen habe: Mel Gibson. Ja, wirklich. Marc sei ja so ein guter Bekannter von Mel und er sei ja so was von witzig, also Mel. Ich fragte mich, wann die verdammten Cocktails endlich ihre Wirkung zeigten. Es war nicht auszuhalten.

      Jo, die unglaubliche, laute, schrille, unangepasste, unabhängige, lustige Jo war verschwunden. Ich hasste Australien. Ich hasste Mel Gibson. Ich hasste Schumann’s. Ich hasste Finn.

      Ich bedankte mich bei Jo für die Drinks und nahm meine Handtasche.

      „ Ich muss gehen. Wir sehen uns, okay?“, sagte ich. Zum ersten Mal an diesem Abend sah ich in ihrer verwirrt gekräuselten Stirn die alte Jo, die Jo, die gleich sagen würde: ‚Hey, was soll denn das? Kannst du mir mal sagen, was los ist?’. Doch dann siegte die Doppelgängerin und die sagte gar nichts, sondern umarmte mich nur und lächelte ihr neues Doppelgängerinnen-Lächeln.

      Ich ging zu Fuß nach Hause, lief durch die Stadt und versuchte durchzuatmen. Gab es irgendetwas in diesem Jahr, das nicht zum Kotzen war?

      Am nächsten Tag besuchte ich Edda. Ich rief vorher kurz an und sie sagte, ich könne gerne vorbeikommen. Wir tranken Tee und sie erzählte wieder ihre Geschichten. Dann sah sie mich an und sagte: „Es gibt immer Zeiten, in denen man unglücklich ist und denkt, das geht nie vorbei. Aber dann ist es das doch irgendwann.“ Sie lächelte, dann überlegte sie kurz und sagte: „Oder vielleicht gewöhnt man sich einfach nur daran.“ Sie lachte und drückte mir die Hand. „Der Sommer kommt, Elsa“, rief sie. „Der Sommer!“

      Der Sommer kam und ging. Jo war wieder in Australien bei ihrem Millionär. Jürgen hatte seine Prüfungen hinter sich, doch wir hatten keinen Kontakt mehr. S. Schulze lebte weiter in Finns Wohnung wie ein Fremdkörper und war weiterhin immer in Eile.

      Ich führte viele tiefgründige Gespräche mit Alfred. Er war ein guter Zuhörer.

      Eines Tages, als ich wieder einmal zu einem meiner kurzen, unbefriedigenden Synchrontermine, mit denen ich mich über Wasser hielt, ins Studio durfte, erlebte ich eine Überraschung. Im Nachbarstudio wurde gerade ein weiterer kommender Blockbuster aufgenommen, der dritte Teil einer bekannten Actionkomödie, der bereits sehnsüchtig von den Fans erwartet wurde und alle Rekorde an den Kinokassen sprengen würde. Hochkarätig besetzt natürlich, was die Schauspieler anging, und demnach auch, was deren Synchronsprecher betraf. Als ich an der Glastür zum Nachbarstudio vorbeiging und kurz einen neugierigen Blick hindurch warf, begegneten meine Augen denen von David. David Aigner, den ich seit über einem Jahr nicht mehr gesehen hatte. Er sprang sofort auf, schoss durch die Tür und umarmte mich so stürmisch, dass ich fast keine Luft bekam.

      „Elsa!“, rief er und drückte mir einen dicken Schmatz auf die Wange. „Wo hast du dich denn die ganze Zeit versteckt?“

      „David, du bist eingerufen“, sagte eine Frau und streckte den Kopf durch die Tür.

      „Die werden ja wohl mal eine Minute warten können, was?“, entgegnete er unwirsch.

      „Bist du noch länger hier?“, fragte er mich. „Lass uns doch nachher in die Kantine gehen, ja?“

      „Okay“, sagte ich.

      „Wer früher fertig ist, wartet auf den anderen, okay?“

      „Okay“, sagte ich wieder. Er gab mir noch einen Kuss, strahlte mich an und ging ins Studio, nachdem er durch die Sprechanlage noch einmal sehr dringlich dazu aufgefordert worden war.

      Ich war natürlich zuerst fertig. Zwanzig Takes in zwei Stunden. Sechzig DM Komm-Gage, der Take a sechs DM. Mühsam ernährte sich das Eichhörnchen. Vielleicht sollte ich mir auch einen Millionär suchen.

      Ich ging ins Studio nebenan und wartete auf der Couch im Sprecherzimmer. Durch die Anlage in der Regie konnte ich hören, was im Studio gesprochen wurde. David hatte wahrhaftig eine grandiose Stimme. Und er war ein ebenso grandioser Schauspieler, da saß jede Nuance. Mit ihm zusammen im Studio waren noch eine Frau, die ich sofort als Anna Fuchs erkannte – ebenfalls eine Ikone als Sprecherin – und ein Mann mit einer höheren Stimme.

      Es war ein solcher Genuss zuzuhören. Da waren wirkliche Künstler am Werk. Man musste nicht erst das Bild sehen, um der Handlung folgen zu können. Die drei kreierten ihren eigenen akustischen Film und das allein war so spannend, dass man keine Bilder dazu brauchte. Würde ich jemals dahin kommen? Würde ich jemals so gut sein?

      Schließlich sagte der Regisseur: „Danke alle zusammen. Das war’s für heute.“

      Die Tür zum Studio ging auf und als Erste kam Anna Fuchs heraus, die mir einen kurzen, taxierenden Blick zuwarf. Sie kannte mich nicht. Wie auch? Ihr folgten David und ein kleiner, älterer Mann, die herumalberten.

      „Oh, Elsa!“, sagte David sofort, als er mich sah. Dann stellte er mich als vielversprechendste junge Kollegin seit langem vor und erwähnte dabei unseren gemeinsamen Film.

      „Und nein, Anna, nicht was du denkst“, sagte er. „Ganz und gar nicht.“ Anna Fuchs lachte und gab mir freundlich die Hand. Sie hatte mich offensichtlich zuerst für eine von Davids temporären Gespielinnen gehalten. Auch der ältere Schauspieler, Norbert Gernbacher, war sehr freundlich, gesellte sich in der Kantine noch zu uns und bestand darauf, uns einzuladen. David und ich tranken Wein, er selbst ein Weißbier. Sie erzählten von dem neuen Film und lachten sich dabei kaputt. Sie hatten ganz offensichtlich viel Spaß bei den Aufnahmen. Ich war ein wenig neidisch.

      „Ich freu mich schon auf nächsten Monat“, sagte Norbert aufgeregt wie ein kleiner Junge.

      David wiegte bedenklich den Kopf hin und her, aber Norbert sagte: „Was denn? Das wird groß. Und wenn nicht, werden wir zumindest eine gute Zeit haben, was?“ Er hob sein Glas und prostete David zu.

      „Hoffentlich“, sagte David.

      „Übrigens“, er zeigte mit dem Daumen auf mich, „hier sitzt unsere Briggs.“

      Norbert riss verblüfft die Augen auf, dann lachte er schallend und prostete mir ebenfalls zu.

      „Auf Briggs, die alle Ganoven zum Teufel jagt“, rief er laut. „Auf Elsa!“

      Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, wovon die beiden redeten.

      „Ich weiß natürlich nicht, ob sie Lust dazu hat“, sagte David.

      „Wozu denn?“, fragte ich. Norbert feixte.

      „Ich fange nächsten Monat mit einer neuen Serie an“, erklärte David. „Meine erste Regiearbeit. Mir geht der Arsch auf Grundeis. Ziemlich große Sache. In den USA ist die Serie der Hit und läuft dort schon in der dritten Staffel. Wenn alles gut geht …“ Er holte tief Luft und sah mich bedeutungsschwer an.

      „Und was soll ich …?“, fragte ich verständnislos.

      „Die