In all den Jahren. Barbara Leciejewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Leciejewski
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783862823727
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hatten verschiedene Probesprechen, aber bislang war keine Kandidatin ideal. Ich muss übrigens unbedingt daran denken, der Aufnahmeleiterin den Kopf abzureißen, weil du dabei niemals aufgetaucht bist. Aber gut, ich hätte auch selber daran denken können. Als ich dich heute gesehen hab, wusste ich auf einmal, wer unsere Briggs sein würde. Du bist perfekt. Du hast das richtige Alter, deine Stimme wird passen wie die Faust aufs Auge und du wirst es großartig machen.“

      „Die Hauptfigur?“, fragte ich.

      „Die Hauptfigur!“, sagte David. „Ich mach Regie und übernehme den Polizisten, der immer ein wenig mit Briggs konkurriert, aber eigentlich in sie verknallt ist. Briggs ist übrigens Privatdetektivin. Norbert hier spielt ihren Mentor, den sie immer zu Rate zieht. Ist eine echt coole Serie. Spannend, witzig, … romantisch manchmal.“

      „Die Hauptfigur?“, hauchte ich noch einmal.

      „Hey Elsa!“ Er rüttelte mich ein wenig an der Schulter und bei dieser Berührung brach ich in Tränen aus. Es kam einfach so über mich, ohne dass ich es hätte verhindern können. David zog mich an sich, legte seine Arme um mich und hielt mich fest. Ich machte die ganze Vorderseite seines Hemds nass. Norbert ging an die Bar und holte für uns alle neue Getränke.

      „Oh, Gott“, sagte ich, als ich anfing, mich wieder in den Griff zu kriegen, „es tut mir leid. Ich bin eigentlich gar nicht so hysterisch.“

      „Gute Schauspieler sind alle ein bisschen hysterisch“, sagte Norbert. „Was meinst du, wie viele Nervenzusammenbrüche in dieser Kantine schon stattgefunden haben? Erinnerst du dich an Elfriede Gasskühl?“, fragte er David. Der nickte heftig.

      „Das war ein Auftritt, sag ich dir. Inklusive Gläserwerfen.“

      „Oder Hans-Horst Elversleben“, warf David ein. „Kannst du dich an den erinnern? Als er seine Schreiattacke bekam und Martin Schnell fast eine gelangt hätte.“

      Während ich mich beruhigte, kamen sie abwechselnd mit weiteren Geschichten daher. David behielt mich dabei im Arm und das tat mir gut.

      „Geht’s wieder?“, fragte er schließlich. Ich nickte und nahm einen großen Schluck aus meinem neuen Glas.

      „Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist“, sagte ich. „Es ist nur alles in diesem Jahr so beschissen gelaufen und ich dachte schon, das ändert sich nie.“

      „Na ja, ich kann dir nicht versprechen, dass jetzt alles ganz toll wird. Vielleicht bin ich als Regisseur ja die absolute Niete, aber zumindest wirst du ab nächstem Monat ziemlich viel Kohle machen.“

      „Das klingt gut“, sagte ich und lachte.

      „Und wir drei werden einen Heidenspaß haben“, fügte Norbert hinzu. „Garantiert.“

      So war es. Der trübe November wurde der beste Monat im ganzen Jahr. David entpuppte sich als genialer Regisseur, was sonst, und Norbert, mein Mentor in der Serie, wurde auch in Wirklichkeit zu einem Mentor. Was er mir beibrachte, hatte mir noch niemand beigebracht, es war, als würde ich noch einmal Schauspielunterricht nehmen, nur diesmal intensiver und ganz auf mich zugeschnitten.

      „Du solltest dein Talent nicht beim Synchron verschwenden“, sagte er eines Tages. „Du bist viel zu gut. Dein Gesicht braucht eine Kamera und dein Körper eine Bühne.“

      „Eine Bühne?“, fragte ich lachend, denn ich erinnerte mich an die Theaterwerkstatt.

      „Ja, Elsa“, sagte Norbert ernst und prophetisch. „Eine große Bühne.“

       1992

      „Frau Frank, bitte!“, sagte die freundliche, dunkelhaarige Sekretärin am Empfang und zeigte mit der Hand zu der blauen Tür, neben der ich saß.

      Blaue Tür, roter Sessel, grüner Läufer, gelber Schreibtisch – man konnte nicht behaupten, dass das Vorzimmer der renommierten Theateragentur Kleinholz und Buchner farblos war.

      Ich stand mit zitternden Knien auf, klopfte an die Tür und lauschte auf eine Antwort. Da ich nichts hörte, sah ich die Sekretärin fragend an.

      „Sie können ruhig hineingehen“, munterte sie mich lächelnd auf.

      Ich öffnete die Tür und war erstaunt, dass gleich dahinter eine zweite war. Eine Doppeltür, damit auch ja kein Laut nach außen drang.

      Ich öffnete auch diese Tür und stand in einem hellen, vorwiegend beigen Raum, was nach dem Farbschock aus dem Vorzimmer ein wenig verblüffend war.

      Ein Mann saß lässig auf einem Schreibtisch, ein zweiter korrekt und geschäftsmäßig dahinter.

      „Grüß Gott“, sagte ich und hörte selbst, wie schüchtern das klang. Ich hatte eigentlich vorgehabt, selbstbewusst und offen aufzutreten, das hatte wohl noch nicht so ganz geklappt.

      „Hallo“, sagte der Mann auf dem Schreibtisch mit einem Lächeln. Er kam auf mich zu und gab mir die Hand. Der Mann hinter dem Schreibtisch blieb, wo er war, doch zumindest stand er auf und streckte die Hand aus, sodass ich hinlaufen musste, um sie zu schütteln.

      „Sie sind also Elsa Frank, die uns so sehr ans Herz gelegt wurde“, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch. „Ich bin Andreas Kleinholz“, stellte er sich dann vor.

      „Andreas Buchner“, sagte der andere, der etwas lockerer war, und bot mir mit einer Geste einen Platz an.

      „Zwei Andreasse“, rutschte es mir heraus. Oh, Gott, Elsa! Sofort wurde ich rot ob der Peinlichkeit dieser überflüssigen Bemerkung.

      „Ja“, sagte Buchner. „Wir wollten uns zuerst auch Andreas und Andreas nennen, aber dann dachten wir, das andere klänge seriöser.“ Er lächelte entwaffnend.

      „Stimmt“, bestätigte ich kleinlaut.

      „Also“, kam Kleinholz zum Punkt. „Sie wurden uns von Herrn Gernbacher wärmstens empfohlen. Sie haben eine Schauspielausbildung?“

      „Ja“, ich kramte meine Mappe hervor und reichte sie ihm. „In Stuttgart an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst.“

      Er warf einen kurzen Blick auf mein Diplom.

      „Bühnenreifeprüfung“, sagte er und sah mich an. „Sind Sie bühnenreif?“

      Ich war ein wenig überrumpelt von der Frage, immerhin hatte er den Beweis dafür vor sich liegen.

      „Ich denke schon“, sagte ich verunsichert.

      „Sie haben nicht viel Erfahrung“, stellte Kleinholz fest. „Wenige Engagements an kleinen Privattheatern, ein paar kleine Mini-Rollen im Fernsehen, Synchron , das ist nicht viel“, resümierte er knallhart.

      „Nein, das ist nicht viel“, gab ich zu und weil ich sowieso schon alle Felle davon schwimmen sah, fügte ich hinzu: „Und das soll sich jetzt ändern, deswegen bin ich ja hier.“

      Buchner lachte.

      „1:0 für Frau Frank“, sagte er.

      Kleinholz verzog keine Miene. Ich auch nicht.

      Nach einem kurzen, stummen Kampf der Blicke schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch und sagte: „Also gut, dann legen Sie mal los. Was haben Sie uns denn mitgebracht?“

      „Hamlet“, sagte ich, ohne nachzudenken.

      „Bitte?“, Kleinholz runzelte die Stirn.

      „Ich bin letztes Jahr einem“, ich verzog unwillkürlich das Gesicht, als ob ich plötzlich unter Schmerzen litt, „einem Regisseur“, ich riss mich wieder zusammen, „begegnet, der Hamlet inszenieren wollte und beabsichtigte, alle Männerrollen mit Frauen und alle Frauenrollen mit Männern zu besetzen. Der große Monolog sollte ganz wegfallen. Zu abgedroschen, meinte er.“ Ich machte eine kleine Pause, doch keiner der beiden fiel mir ins Wort. „Seitdem hab ich den Monolog studiert. Nur den Monolog, nicht die ganze Rolle. Also, das ist der Hintergrund. Wenn Sie den Monolog hören wollen, kein Problem,