In all den Jahren. Barbara Leciejewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Barbara Leciejewski
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783862823727
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aufzubäumen und keine Gefahr mehr bestand, dass noch etwas herauskam, legte Finn mir den Arm um die Taille und half mir aufzustehen. Willenlos und auf ihn gestützt ließ ich mich zu meinem Bett führen. Ich legte mich hin und Finn deckte mich zu.

      „Warte“, sagte er und ging weg, die Wohnungstür ließ er offen. Nach wenigen Sekunden kehrte er zurück und ging in die Küche. Ich hörte den Wasserhahn, dann kam er wieder zu mir.

      „Kannst du das trinken?“, fragte er. „Alka Selzer hilft bei mir immer.“

      Er hielt mir das Glas mit der sprudelnden Flüssigkeit hin. Es roch zumindest nicht so, dass es sofort einen neuen Brechreiz auslöste, also stützte ich mich im Bett auf und trank das Zeug.

      Als er mir das leere Glas abnahm, fiel ich wieder zurück auf mein Kissen und schloss die Augen. Er strich mir die Haare aus dem Gesicht. Durch die sanfte Berührung und die völlige Erschöpfung nach stundenlangen Kotzattacken schlief ich ein.

      Als ich wieder wach wurde, bemerkte ich als Erstes, dass die Kopfschmerzen fast verschwunden waren, und auch mein Magen meldete sich nicht. Ich fühlte mich wie gerädert, aber es ging mir deutlich besser. Finn saß in dem Sessel neben meinem Bett und las. Als er merkte, dass ich wach war, ging er nach nebenan in die Küche und brachte mir ein Glas Wasser und eine frische Breze, die er anscheinend zwischendurch besorgt hatte.

      „Geht’s wieder?“, fragte er.

      Da saß er tatsächlich vor mir, nach fast einem halben Jahr, und fragte: Geht’s wieder?

      „Wo kommst du denn her?“, fragte ich.

      „Direkt aus New York“, sagte er. „Iss die Breze.“

      Gehorsam schob ich mir das Laugengebäck in den Mund. Er ging ins Badezimmer und ich hörte, wie er den Hahn aufdrehte und das Wasser in die Wanne plätscherte.

      „Du brauchst ein Bad.“

      „Hilft das auch gegen Kater?“, fragte ich widerstrebend.

      „Nein, aber gegen Körpergeruch“, sagte er unverblümt. Ich schnappte nach Luft.

      Er öffnete meinen Kleiderschrank und zog einen Pulli und eine frische Jeans heraus.

      „Hast du auch so was wie Unterwäsche?“, fragte er. Ohne eine Antwort abzuwarten, sah er in der Kommode nach, wo er Socken, einen Slip und einen BH fand.

      Ich wollte protestieren, immerhin war es unglaublich indiskret von ihm, in meiner Unterwäsche zu wühlen, aber er tat es mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass ich es einfach bleiben ließ. Und außerdem, was war noch indiskret, wenn man erst einmal jemandem beim Kotzen den Kopf gehalten hatte?

      Er brachte meine Kleider ins Badezimmer und drehte den Hahn ab.

      „Fertig! Soll ich hier bleiben oder soll ich lieber gehen und später nochmal kommen?“, fragte er. „Oder soll ich überhaupt nicht mehr kommen?“

      Es fiel mir nicht schwer, mich zu entscheiden. „Kannst du hier bleiben?“

      Er grinste breit, nickte und setzte sich wieder in den Sessel.

      Ich lag eine ganze Weile einfach nur im warmen Wasser und machte mir klar, dass ich mich nicht in irgendeinem wilden Traum verlaufen hatte. Finn war wieder da. Er hatte mir beim Kotzen den Kopf gehalten, mich ins Bett gesteckt, meine Unterhosen durchforstet und mich in die Badewanne geschickt, weil ich stank wie ein Iltis. Und eigentlich war an all dem nichts peinlich gewesen, weil er es nicht peinlich fand.

      Und er war wieder da und wartete draußen auf mich.

      Ich wusch mir die ganze Katerklebe vom Kopf und von meinem Körper, bis ich davon überzeugt war, dass man meinen Duft selbst aus nächster Nähe ertragen konnte. Anschließend putzte ich mir mindestens fünf Minuten lang die Zähne und war dankbar für den Rest Odol aus der kleinen Testflasche. Ich benutzte mein sicherstes Deo, zog mir die Kleider an und kämmte meine Haare glatt über den Kopf. Es war mir zu anstrengend, sie auch noch zu föhnen.

      Draußen war es inzwischen schon wieder dunkel, Finn hatte das Licht angemacht. Als ich hereinkam, sagte er anerkennend: „Wie neu!“ Ich lachte verlegen und sagte: „Danke!“

      „Du hast längere Haare“, stellte er fest.

      „Ich bin nur nicht zum Friseur gekommen.“

      „Steht dir gut.“

      Ich war nicht gut darin, Komplimente anzunehmen, besonders nicht, wenn sie von jemandem kamen, der mir etwas bedeutete. Und Finn bedeutete mir etwas. Ich wusste nur nicht so genau was.

      An Stelle einer Reaktion begann ich, mein Bett abzuräumen, ließ Decke und Kissen im Bettkasten verschwinden und verwandelte das Ganze in ein Sofa.

      „Praktisch“, sagte er.

      „Tja, ich hab nicht so viel Platz wie du“, meinte ich. „Deine Pflanzen leben übrigens alle noch. Wie durch ein Wunder.“

      „Hab ich gesehen. Danke.“

      „Gern geschehen.“

      „Tja, in Zukunft musst du das dann nicht mehr machen“, sagte er zögernd.

      „Gut“, sagte ich, „die sind bestimmt froh, wenn ihr Herrchen wieder da ist.“

      Er schaute mich nachdenklich an, dann seufzte er und sagte: „Bin ich aber nicht. Die Wohnung wird weitervermietet.“

      „Was?“, entfuhr es mir. Ich war froh, dass ich sowieso schon so blass war, denn ich fühlte wie mir buchstäblich die Farbe aus dem Gesicht wich.

      „Ich gehe nach Weihnachten wieder nach New York zurück. Ich hab einen Lehrauftrag bekommen.“

      „Was?“, sagte ich wieder und begann dann erst, mich zusammenzureißen. „Das ist ja toll“, behauptete ich.

      „Ja, das stimmt.“ Er klang genauso begeistert wie ich. „Es ist eine einmalige Gelegenheit.“ Wie eine Rechtfertigung hörte sich das an.

      „Ich konnte es selbst nicht glauben, eigentlich wollte ich nur ein Gaststudium dort absolvieren und dann das.“

      Mein Herz klopfte.

      „Ich hab keine Ahnung, wie lange ich bleibe“, nahm er die Antwort auf die Frage, die mir auf der Zunge brannte, vorweg. „Aber mindestens ein Jahr. Deshalb wird die Wohnung auch weitervermietet.“

      „Ja, klar“, sagte ich hohl und unter Aufbietung meiner ganzen schauspielerischen Fähigkeiten munterer: „Dann bekomme ich also einen neuen Nachbarn?“

      „Nachbarin“, korrigierte Finn. „Mein Bruder hat schon alles arrangiert. Sie zieht im neuen Jahr ein. Übernimmt die Möbel und kümmert sich um die Pflanzen. Ich muss praktisch nichts ausräumen. Zumindest nur den Kleinkram, Kleider, persönliche Sachen und so was.“

      „Das ist gut“, sagte ich.

      Er nickte zustimmend, aber ohne jeden Enthusiasmus.

      „Kann ich den Farn haben?“, fragte ich plötzlich, ohne darüber nachzudenken. „Ich glaube, den würde ich vermissen.“

      „Den Farn?“

      „Ja, wir hatten so unsere Startschwierigkeiten, aber dann haben wir uns angefreundet. Ich weiß, was er braucht, und ich würde ihn ungern in fremden Händen lassen.“

      Finn sah mich lange an.

      „Bist du über Weihnachten da?“, fragte er dann.

      „Nein“, antwortete ich spontan. „Ich fahre zu meinen Eltern nach Mannheim.“

      Das hatte ich zwar nicht vorgehabt, denn es machte weder ihnen noch mir etwas aus, Weihnachten alleine zu feiern, aber ich hatte das plötzliche Bedürfnis, aus München zu verschwinden.

      „Okay, dann …“ Er dachte nach.

      „Ich fliege am Freitag. Bist du bis dahin wieder zurück?“

      „Nein“, sagte