Ein Geräusch ließ uns herumfahren.
Die Tür hatte sich in der Zwischenzeit bis auf einen Spalt wieder geschlossen. Etwas stieß dumpf gegen das Holz.
Wir drehten uns um und hoben instinktiv die Dienstwaffen.
„Sind Sie da?“, rief eine heisere Stimme.
Jetzt vergrößerte sich dieser Spalt knarrend wieder. Als die Tür sich weit genug geöffnet hatte, blickte uns ein hagerer alter Mann erschrocken an. Er trug Krücken und mit einer davon hatte er die Tür angestoßen. Jetzt verlor er vor Schreck fast das Gleichgewicht, weil er die Krücke nicht schnell genug wieder auf den Boden setzte.
Mit geweiteten Augen starrte er in die Mündungen unserer Waffen, die wir natürlich sofort senkten.
„Ich tu Ihnen nichts“, sagte er. Ich schätzte sein Alter bei achtzig plus x ein. An seiner etwas schleppenden Art zu sprechen erkannte ich sofort die Stimme aus der Sprechanlage wieder.
„Sie haben uns geöffnet, nicht wahr?“
„Ja, und ich bin mir noch immer nicht sicher, ob ich da nicht einen Fehler gemacht habe!“
Auf seiner Stirnmitte erschien eine ziemlich tiefe Furche. Sein Gesicht hatte eine ovale Form und war abgesehen von einem weißen Kranz so gut wie haarlos.
Ich steckte die Dienstwaffe ein und holte meine ID-Card hervor. Dann trat ich auf ihn zu und hielt ihm das Dokument hin.
„Sehen Sie sich das gut an. Ich bin wirklich vom FBI.“
Er blinzelte. „Wie soll unsereins denn diese Minischrift lesen können? Die drei Buchstaben FBI sind zwar erkennen, aber…“
„Tja, mehr kann ich nicht tun, um Ihnen zu beweisen, wer ich bin, Sir.“
„Sie können mir die Brille aus der Jackentasche nehmen und mir auf die Nase setzen. Wenn ich nämlich die Krücken loslasse, falle ich hin.“
Ich holte ihm also die Brille aus der Tasche und setzte sie ihm auf die Nase. Anschließend sah er sich meinen Ausweis noch mal an. „Sieht echt aus“, meinte er dann.
„Und wenn ich ein Trickbetrüger wäre, hätte ich Ihnen jetzt sowieso schon alles wegnehmen können, was Sie in den Taschen haben“, sagte ich.
Sein Blick streifte interessiert durch das Innere des Apartments. „Ich könnte mich ja mal auf das Sofa da vorne setzen!“, murmelte er und humpelte vorwärts.
„Sie könnten Spuren vernichten“, sagte ich, aber es war schon zu spät.
Er hatte sich auf dem Sofa niedergelassen. Er verlangte jetzt auch Milos Ausweis zusehen. Milo zeigte ihm die ID-Card und meinte dann: „Da Sie jetzt wissen, wer wir sind, wäre es eigentlich ganz höflich, wenn Sie sich auch mal vorstellen würden!“
„Cyrus Norman. Haben Sie das Schild nicht gelesen, auf das Sie gedrückt haben? Wahrscheinlich nicht. Sie wollten nur irgendeinen Idioten dazu bringen, aufzustehen und einen Knopf zu drücken, damit sich unten die Tür öffnen lässt. Und das haben Sie dann ja auch geschafft! Wissen Sie eigentlich, was das für mich bedeutet hat? Ich bräuchte dringend ein neues Knie, aber ich habe leider keine Krankenversicherung, deswegen muss ich mit diesen Dingern hier herumlaufen.“ Er deutete auf seine Krücken, die er rechts und links neben sich an die Sofakante gelehnt hatte.
Milo atmete tief durch.
„Wir wussten ich, dass Sie schlecht zu Fuß sind, Mister Norman“, sagte er.
„Das sage ich doch immer!“ erwiderte er und eine dunkle Röte überzog dabei sein Gesicht. „Genau das sage ich immer! Gedankenlosigkeit ist das Schlimmste! Ich muss mich mit meinen müden Knochen aus dem Sessel quälen, auf dem ich gerade eine Möglichkeit gefunden habe, bequem zu sitzen und Sie machen sich noch nicht einmal Gedanken darum! Oder nehmen Sie den Kerl, der hier wohnte, das war doch auch so einer, der sich über nichts Gedanken machte… Ich meine, wer schon in einer Bar arbeitet! Man kennt das doch! Nachtleben, schnelle Bekanntschaften… Wahrscheinlich Drogen…“
„Kannten Sie Mister Anselmo näher?“, fragte ich.
„Er sah meinen Sohn ähnlich“, sagte Norman. „Also meinem zweiten Sohn von meiner ersten Frau. Mit meiner zweiten hatte ich keine Kinder. Sie starb im vergangenen Jahr. Wo meine erste Frau jetzt lebt, weiß ich nicht. Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit unsere Tochter geheiratet hat. Übrigens einen Schwarzen. Meine Frau war deswegen dagegen, aber ich habe ihr immer gesagt, wenn die beiden...“
Er redete einfach immer weiter und Milo warf mir einen hilflosen Blick zu, der nichts anderes zu sagen schien als: Wie bekommen wir den Mann hier wieder weg?
Ich unterbrach schließlich höflich, aber bestimmt seinen Redefluss.
„Mister Norman, wir haben noch einiges zu tun. Nachdem Sie nun hoffentlich überzeugt sind, dass wir rechtmäßig hier unsere Arbeit machen, wäre es vielleicht besser, wenn Sie zurück in Ihre Wohnung gehen. Ist Ihre Wohnung hier auf dem Flur?“
„Eine Tür weiter. Ich habe Sie reden hören und da dachte ich mir, ich schaue mal nach, was das los ist. Die Wände sind nämlich ziemlich hellhörig, müssen Sie wissen.“ Er kratzte sich am Kinn. „Was ist denn hier eigentlich passiert?“
„Mister Norman…“
„Ich meine, wenn Sie Anselmo suchen, verstehe ich nicht, was Sie hier noch wollen!“
„Das lassen Sie mal unsere Sorge sein.“
„Ich habe ihn heute Morgen getroffen, als er das Haus verließ und seine Sachen nach draußen getragen hat. Viel war das nicht. Einen Umzug würde ich das nicht nennen, aber ich glaube, er ist ganz schön herumgekommen, wie er mir mal sagte. Deshalb hat er wohl nie viel Hausrat angehäuft.“
Ich sah ihn verwundert an. „Ich dachte, Sie sind so schlecht zu Fuß? Und dann laufen Sie im Flur herum?“
„Nur in diesem Stockwerk. Man muss doch etwas fit bleiben. Außerdem habe ich meinen Kumpel Artie erwartet, der zum Schachspielen vorbeischauen wollte und sich verspätet hat.“
Jetzt mischte sich Milo ein. „Sie haben gesagt, die Wand wäre sehr hellhörig. Haben Sie mal mitbekommen, was hier so vor sich ging?“
„Sie meinen, wenn er Besuch hatte?“, schloss Norman.
Milo nickte. „Zum Beispiel.“
„Das war ein ziemlicher Casanova, würde ich sagen. Ich habe ihn nicht einmal mit derselben Frau angetroffen, auch wenn wer seinem Typ eigentlich immer treu geblieben ist.“
„Seinem Typ?“, echote ich.
„Rote Haare. Ja, schauen Sie mich nicht so an, das ist mir schon aufgefallen. Alle Frauen, mit denen ich ihn gesehen habe, hatten rote Haare. Manchmal kürzer, manchmal länger, manchmal glatt, manchmal gelockt…“ Er beugte sich vor und sprach in einem leiseren, verschwörerisch klingenden Tonfall weiter. „Ich wette, dass der Kerl eine ganz üble Masche hatte. Er hat die Frauen betrunken gemacht und dann hier hin abgeschleppt. Eine konnte nicht mal mehr richtig gehen. Er musste sie fast tragen…“
„Wann war das?“, hakte ich nach.
„Ist noch nicht so lange her. Vor vier Wochen vielleicht…“
„Sie haben das mit eigenen Augen gesehen?“
„Ja, das war mitten in der Nacht! Vier Uhr, kann auch halb fünf gewesen sein. Ich meine, Anselmo hatte ja einen Job, bei dem er nachts arbeiten musste, aber wie ich schon sagte, das Haus ist sehr hellhörig. Das hat mich jedes Mal aus dem Schlaf gebracht. Und dieses eine Mal war der Krach besonders groß, weil er mit dem Schlüssel so im Schloss herumgestochert hat. Dabei muss man die Wohnungstüren etwas anziehen, damit sie geöffnet werden können. Das ist bei meiner auch so. Weil das für mich so schwierig ist, lege ich immer einen Keil dazwischen, wenn ich die Wohnung verlasse. Ich gehe ja auch nur ein paar Schritt auf dem Flur…“