Wir ließen uns mit dem Aufzug bis zu Penthouse tragen.
Vor der Tür blickten wir in ein Kamera-Auge. Ich betätigte die Klingel.
„Was wollen Sie?“, fragte eine etwas unwirsch klingende Stimme, nachdem ich es zum dritten Mal versucht hatte.
„Jesse Trevellian, FBI. Mein Kollege Agent Tucker und ich haben ein paar Fragen an Sie, Mister Sumner.“
Einige Augenblicke knackte es nur im Lautsprecher. Dann sagte die Stimme: „Halten Sie Ihre Ausweise in die Kamera, damit ich sie sehen kann. Schließlich kann jeder behaupten, was er will.“
Ich hielt ihm also meine ID-Card in die Überwachungskamera. Er wollte auch noch Milos Dienstausweis sehen und so kam mein Kollege der Aufforderung nach und hielt ihn ebenfalls so hin, dass er sich im Erfassungsbereich des Kameraauges befand.
Dann glitt endlich die Tür automatisch zur Seite.
Ich hatte gleich im ersten Moment den Eindruck, dass Sumner ziemlich mitgenommen aussah. Wie jemand, der gerade eine furchtbare Nachricht erhalten hatte, die ihn völlig aus der Fassung brachte.
Vielleicht waren wir ja in seinen Augen die Schreckenboten…
„Ich nehme an, dass Sie gerade einen Anruf erhalten haben“, sagte ich.
Er hob die Augenbrauen. „So?“
„Von Mister Kyle, Ihrem Anwalt.“
„Nein, das stimmt nicht. Aber vielleicht sagen Sie mir zunächst, was Sie eigentlich von mir wollen.“
„In New York City wurde ein Frachter namens JAMAICA BAY von uns aufgebracht, um eine Ladung von Giftmüll sicherzustellen, die illegal entsorgt werden sollte“, erklärte ich.
Unser Gegenüber verzog jedoch nur das Gesicht. „Ach, ja?“, fragte er mit einem ziemlich überheblichen Unterton.
„Sagen Sie bloß, Mister Kyle hat Ihnen nicht abgeraten, mit uns zu sprechen?“, fragte Milo.
„Erstens lassen Sie mir ja wohl ohnehin keine Wahl und zweitens habe ich mit Mister Kyle nicht gesprochen, ob Sie es nun glauben oder nicht.“
„Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie nicht einen anderen Anwalt für sich tätig sein lassen“, erklärte ich.
„Am Besten, Sie kümmern sich um Ihren eigenen Kram und lassen ehrlich arbeitende Geschäftsleute einfach in Ruhe ihren Job machen, G-man!“, knurrte Sumner ziemlich giftig.
Er drehte sich um und ging durch eine zweiflügelige Tür ins Wohnzimmer. Durch ein Handzeichen bedeutete er, dass wir ihm folgen sollten. Vom Wohnzimmer aus hatte man einen traumhaften Blick auf Buffalo und den Erie-See.
Es war ein heller, klarer Tag und dann war es aus dieser Höher sogar möglich, bis zum kanadischen Ufer des Erie-Sees hinüberzublicken.
Sumner deutete auf die klobigen Ledersessel. „Setzen Sie sich und dann verraten Sie mir mal, wieso ich mir einen anderen Anwalt nehmen sollte.“
„Vielleicht deswegen, weil Mister Kyle auch noch jemand anderen vertritt, mit dem sich Interessensgegensätze ergeben könnten.“
„So?“
„Ich spreche von Knowle Brannagan.“
„Am Besten, Sie sagen mir jetzt, was Sie von mir wollen und hören auf, mir die Zeit zu stehlen! Ich habe nämlich viel zu tun!“
„Sie und Brannagan hängen in einer Organisation drin, die mit der illegalen Entsorgung von Müll einen Haufen Geld verdient“, erwiderte ich. „Nur leider ist im New Yorker Hafen kürzlich ein Schiff namens JAMAICA BAY aufgebracht worden – und damit wurde das ganze Ausmaß dieser Machenschaften offenbar. Was glauben Sie, wie lange Ihr Geschäftspartner Mister Mondale noch sein Schweigen aufrecht erhält? Vielleicht ist er jetzt in diesen Moment gerade dabei, mit dem Staatsanwalt einen guten Deal abzuschließen, der es ihm erlaubt in ein paar Jahren wieder draußen zu sein, nur weil er Leute wie Sie ans Messer liefert.“
Schritte waren zu hören. Die Tür zu den Nachbarräumen hatte bis dahin halb offen gestanden. Jetzt öffnete sie sich vollends. Eine junge Frau stand dort. Sie trug einen kurzen Kimono. Das Haar fiel ihr lang über Schultern. Sie war blond. „Du hast Besuch, Darling“, fragte sie und stemmte einen Arm in die Hüfte.
„Verschwinde, Janice!“, knurrte Sumner. „Das hier ist geschäftlich.“
Sie musterte uns kurz und knapp. Dann drehte sich um und schloss hinter sich die Tür.
Sumner wandte sich mir zu. Er fuhr seinen Zeigefinger aus wie ein Klappmesser und sein Gesicht war zur Maske erstarrt. „Entweder Sie sagen mir jetzt ganz schnell, was Sie von mir wollen, oder ich weise den Sicherheitsdienst des Hauses an, Sie vor die Tür zu setzen. Solange Sie keine Vorladung oder einen richterlichen Durchsuchungsbefehl haben, schützt Sir nämlich keine FBI-Marke davor!“
„Arbeiten Sie mit uns zusammen, Mister Sumner! Die Leute, für die Sie den Kopf hinhalten, sind es nicht wert! Die würden Sie doch auch nicht schützen! Reden Sie mit uns. Und dann ist da übrigens noch etwas.“
Ich zeigte ihm auf dem PDA ein Bild von Roxanne Brady. Es war eines der Tatortfotos und daher entsprechend hart. Auch wenn Sumner so tat, die Sache ließ ihn nicht kalt. Vielleicht war es doch für etwas gut gewesen, dass so viel darüber in den Zeitungen und anderen Medien breitgetreten worden war.
„Was habe ich mit diesem Kerl zu tun, der Rothaarige umbringt?“, fragte er. „Ich habe davon in der Zeitung gelesen“, fügte er noch hinzu, um einer entsprechenden Nachfrage zuvor zu kommen.
„Packen Sie jetzt aus, Sumner. Dann komme Sie günstig dabei weg. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir Ihre Organisation das Wasser abgraben!“
„Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß dabei, G-man!“ Er lachte heiser. „Und kommen Sie meinetwegen wieder, wenn Sie Beweise haben!“
23
Am frühen Abend fuhren wir noch einmal zu Mac’s Bar.
„Hat es irgendeinen bestimmten Grund, dass du unbedingt noch einmal dort hin möchtest?“, fragte Milo.
„Ich weiß nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, dort etwas übersehen zu haben. Aber das kann auch nur Einbildung sein.“
„Naja, bevor wir uns bei Captain Josephson sehen lassen kann eine kleine Erholungspause vielleicht nicht schaden“, meinte Milo.
Keiner von uns sprach es offen aus, aber wir traten auf der Stelle. Und zwar sowohl bei der Suche nach dem Red Hair Killer als auch was die Hintermänner der JAMAICA BAY-Affäre betraf. Es war wie so häufig im Kampf gegen das organisierte Verbrechen: Man wusste mehr, als sich gerichtlich verwerten ließ. Sumner war momentan noch nicht angreifbar.
Auf der Fahrt zu Mac’s Bar rief Milo im Field Office an, um sich zu erkundigen, wie weit unserer Kollege Nat Norton mit der Analyse der Geldströme dieses Müll-Syndikates bereits war. Aber es wurde schnell klar, dass da so schnell keine Wunderdinge zu erwarten waren.
Vor allem nicht schnell.
Und was den Fall des Frauenmörders anbetraf, der es auf rothaarige Opfer abgesehen hatte, tappten wir noch immer völlig im Dunkeln. Ein Mann war verhaftet worden, der vielleicht Hilfe brauchte und wahrscheinlich auch um einen längeren Aufenthalt in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung nicht herumkam, den man aber als Täter wohl inzwischen mit ziemlich großer Sicherheit ausschließen konnte.
Kurz nachdem Milo das Gespräch mit unserem Field Office beendet hatte, klingelte es.
Am Apparat war das Buffalo Police Departement.
Captain Josephson persönlich war am Apparat.
„Was gibt es, Captain?“