Mit wildem Gekläffe stürzten sie auf die schwarze Wölfin zu.
Die Wölfin war halb gelähmt, durch den Blutverlust nahezu völlig geschwächt und bot kaum noch Gefahr.
Aber das sah nur so aus. Denn plötzlich sprang der Hund mit den weißen Flecken auf sie los. Er versuchte sie am Hals zu schnappen.
„Zim! Zim! Hierher!“, schrie eine Männerstimme. „Boll, Zim, hierher! Alle beide!“
Boll hörte so wenig wie Zim. Aber Boll zögerte, stutzte, wich einen Schritt zurück. Doch Zim, der weißgefleckte, war wie irr. Er schnappte nach dem Hals der Wölfin. Und da auf einmal nahm sie alle Kraft zusammen. Ihr Kopf kam noch einmal hoch, der Fang öffnete sich, die Zähne leuchteten im Mondlicht, dann schnappte der Fang blitzschnell zu. Und der Weißgefleckte heulte auf, dann gurgelte er, und das schützende Halsband, das solche Fangbisse verhindern sollte, war nach oben gerutscht. Die Wölfin hatte den Weißgefleckten an der Kehle, und ihr Kiefer schloss sich mit einer Unaufhaltsamkeit, der dieser weißgefleckte Bastard nichts entgegenzusetzen hatte. Er bekam keine Luft, mehr, gurgelte, röchelte, und dann lief die aufgerissene Schlagader aus wie ein Schlauch.
Boll, der andere Hund, bellte, wagte sich aber keinen Zoll näher an die schwarze Wölfin und den tödlich verletzten Zim heran.
Doch plötzlich trat ein Mann neben ihn, gab ihm einen Tritt, und Boll machte jaulend, dass er ein Stück davonkam. Kurz danach krachte ein Schuss.
Alles, was die schwarze Wölfin sah, während sie sich in dem Hund festgebissen hatte, war der Blitz, der auf ihre Augen zuschoss und sie blendete. Den Einschlag in den Schädel spürte sie nicht mehr. Aber selbst dann, als sie in sich zusammensackte, löste sich der Krampf ihrer Kiefermuskeln nicht. Im Tode noch hielt sie ihr Opfer fest.
Ein zweiter Schuss erlöste den Hund Zim von seinen Schmerzen.
Der Mann lud das Gewehr wieder auf, drehte sich halb um und rief: „Sie ist es. Verdammt, Ben, jetzt haben wir Ruhe mit den Wölfen. Morgen suchst du am besten nach den Jungen.“
„Die verhungern sowieso, Pa“, rief der junge Bursche von der Weide her.
„Weiß der liebe Kuckuck, wie groß sie schon sind. Such sie und schlag sie tot. Morgen. Jetzt hilf mir, dieses gelbgezähnte Mistvieh wegzuschaffen. Sie hat mir Zim umgebracht. Im Tode noch. Ich sage dir, Ben, das ist fast so ein Teufel wie der Kerl gestern. Aber sie ist eine Wölfin. Sieh sie dir mal an!"
Der Junge kam und starrte auf die beiden toten Tiere.
„Mann, du hast ihr ja beim ersten Schuss den ganzen Rücken aufgerissen.“
Der Alte nickte. „Aber du siehst, man muss sie richtig treffen, sonst sind sie noch zu allem imstande. Na ja, Zim war zwar ganz gut, aber wir ziehen uns einen anderen. Sieh mal nach, wohin Boll gelaufen Ist! Dieses feige Warzenschwein! Aus dem wird nie mehr was Gescheites. Such ihn, Ben!“
Der Alte riss Zim aus den Fängen der Wölfin, packte den schwarzen Räuber und zog ihn aus dem Bach.
*
Sie winselten, duckten sich zusammen und sträubten vor Angst ihr Fell. Vergeblich spähten sie zum Höhleneingang, aber die Mutter, die sie dort erwarteten, tauchte nicht auf. Die Nacht verging, und der Tag kam. Ein heißer, ein schwüler Tag. Drohende schwarze Wolken zogen auf. Im Westen leuchtete der Himmel zwischen den grauschwarzen Vorhängen quittegelb. Aber schließlich verfinsterte sich der Himmel auch im Norden.
Die jungen Wölfe spürten die Gefahr des Unwetters nicht. Ihre Angst um die immer noch verschwundene Mutter war größer.
Der junge Wolf war der stärkste des Wurfs. Wie selbstverständlich, dass er sich vorsichtig zum Höhleneingang wagte. Er steckte den Kopf ins Freie. Eine Hummel näherte sich, umsummte ihn, und er versuchte nach ihr zu schnappen. Doch sie brummte davon.
Er sah sich nach allen Seiten um. Einige der Gefahren, die da lauerten, kannte er schon. Da gab es in der Gegend einen Wolverine, der ebenfalls mit seinem Weibchen Junge hatte und nach allem suchte, was fressbar war. Dieser fast bärengroße Vielfraß hatte so manches Huhn geraubt, das die Farmer den Wölfen andichteten. Vielleicht, weil sie den Vielfraß noch nicht gesehen hatten und seine Spuren nicht fanden.
Es gab auch noch den Adler, der oft genug oben am Himmel schwebte und vielleicht auch einen jungen Wolf angreifen würde. Aber schlimmer noch waren die Wespen, auf deren Nest Ser einmal gestoßen war, als er und seine Geschwister von der Mutter auf Streifzug mitgenommen worden waren. Wespen, das wusste er, konnten einem das Leben ganz schön vermiesen.
Die Sorge um die Mutter ließ ihn seine Angst vergessen. Er machte einen Schritt ins Freie, noch einen, dann einen kleinen Sprung bis zu dem Podest vor der Höhle; er sah sich um, und außer der Hummel, die wieder über ihm brummte, war keine Gefahr.
Als er nach vorn blickte, schlängelte sich eine Eidechse davon, und weiter unten im Tal flog kreischend ein Häher von einer Birke. Auf sein Geschrei hin, das den jungen Wolf der Mitwelt ankündigte, schwiegen alle anderen Vögel.
Er begann weiterzugehen. Eine heiße, stechende Sonne strahlte vom hohen Himmel, und der junge Wolf sah nicht, dass diese Sonne in wenigen Minuten von pechschwarzen, gelbumrandeten Wolken verdeckt sein würde.
Seine Mutter hätte ihn jetzt schleunigst zur sicheren Höhle zurückgeführt. Aber da war keine Mutter. Da waren nur die Geschwister, die sich ängstlich am Höhleneingang zusammendrängten und dem mutigen Bruder zusahen, der mittlerweile ganze zwanzig Meter weit allein in die wilde Freiheit gekommen war.
Er schien selbst überrascht von seinem Heldenmut, dass er sich nach den Geschwistern und der trauten Höhle umsah, wieder nach vorn in die drohende Ungewissheit blickte, sich dann aber doch entschied, weiterzugehen.
Ein paar Schritte kam er, als vor ihm voller Entsetzen ein Kaninchen aufsprang. Er war so erschrocken, dass er zusammenzuckte, als sei er geschlagen worden. Dann aber kam sofort der Jagdinstinkt. Das Kaninchen floh. Flucht, das bedeutete Feind.
Der junge Wolf sprang dem Kaninchen nach. Er war langsam, viel zu ungeschickt. Dann stolperte er auch noch über einen morschen Ast, überschlug sich, rannte weiter talwärts, und das Kaninchen schlug einen Haken, tauchte irgendwo unter, und er raste den Hang hinunter, hatte zuviel Fahrt, konnte sich nicht mehr halten, überschlug sich wieder und kollerte, während er jämmerlich winselte, den Steilhang hinab bis zu dem Bach, in den er mit einem Klatschen stürzte.
Der Bach war nicht sehr reißend, aber er nahm das Wollknäuel doch ein gutes Stück mit, schwemmte es gegen herabhängendes Dornengestrüpp, und hier erfuhr der junge Wolf, dass nicht nur Wespen Stacheln haben.
Quiekend versuchte er, an Land zu kommen, strampelte, planschte, und hatte endlich Grund unter den Füßen. Aufgeregt und mit bis zum Halse pochendem Herzen strampelte er ans sichere Ufer.
Dort hockte er sich mit eingeklemmter Rute hin, schüttelte sich, schnaubte und zwinkerte verdutzt. Denn da bewegte sich etwas vor ihm, das er noch nie gesehen hatte. Aber er empfand sofort Angst und Wut zugleich beim Anblick dieses sich schlängelnden, schillernden Körpers.
Er wusste nicht, dass es ein Reptil war. Er hatte auch noch nie von einer Waldklapperschlange gehört. Und dass sie sehr giftig war, ahnte er vielleicht.
Möglich, dass er sein Heil in der Flucht gesucht hätte, wäre da hinter ihm nicht der Bach gewesen. Und dieser Bach mitsamt dem Dornenbusch gehörte zu einer sehr frischen, höchst unangenehmen Erinnerung für ihn. Also blieb nur Abwarten.
Es ringelte, glitt, schob da vor ihm, und ein leises, sehr eigenartiges Rasseln ertönte. Der Kopf des Reptils näherte sich Sam. Er sah eine zuckende, tanzende Zunge aus dem Rachen des merkwürdigen Tieres kommen, und er entdeckte zwei riesige Zähne.
Und jetzt kam sein Instinkt ins Spiel, der ihm einen angeborenen Zorn und einen Todesmut allen Schlangen gegenüber einflößte.