»Das geht Euch nichts an«, erwiderte Clary kurz angebunden, aber sie konnte sehen, dass die Königin sie aus messerscharfen Augen musterte.
»Du willst ihn mehr, als du jemals etwas in deinem Leben gewollt hast. Aber empfindet er für dich dasselbe?« Die honigsüße Stimme der Königin war unerbittlich. »Er könnte alles oder jede haben, ganz wie es ihm gefällt. Fragst du dich, warum er dich erwählt hat? Fragst du dich, ob er seine Entscheidung bereut? Hat er sich dir gegenüber verändert?«
Clary spürte, wie ihr die aufsteigenden Tränen in den Augen brannten. »Nein, das hat er nicht«, widersprach sie, doch sie erinnerte sich an den Ausdruck auf seinem Gesicht im Aufzug des Instituts und wie er sie nach Hause geschickt hatte, als sie zu bleiben angeboten hatte.
»Du hast mir damals gesagt, dass du keinen Pakt mit mir einzugehen wünschst, denn es gäbe nichts, was ich dir geben könnte. Du sagtest, du hättest alles, was du dir nur wünschen könntest.« Die Augen der Königin glitzerten. »Wenn du dir dein Leben ohne ihn ausmalst, bist du dann noch immer derselben Ansicht?«
Warum tut Ihr mir das an?, hätte Clary am liebsten gebrüllt, doch sie schwieg, weil die Elbenkönigin in diesem Moment an ihr vorbeischaute und dann lächelnd säuselte: »Wisch deine Tränen, denn er kehrt hierher zurück. Und du erweist dir keinen Gefallen, wenn er dich weinen sieht.«
Hastig wischte Clary sich mit dem Handrücken über die Augen und drehte sich um. Jace kam mit gerunzelter Stirn direkt auf sie zu. »Maryse ist auf dem Weg zum Lichten Hof«, verkündete er und fragte dann: »Wohin ist die Königin verschwunden?«
Verwirrt musterte Clary ihn. »Sie steht direkt hinter mir…«, setzte sie an, drehte sich um und verstummte. Jace hatte recht: Die Königin war verschwunden – nur ein Strudel aus wirbelnden Blättern neben Clarys Füßen ließ noch ahnen, wo sie gestanden hatte.
Simon lag auf dem Rücken, seine Jacke als Kissen unter den Kopf gestopft, die Reisetasche zu seinen Füßen, und starrte mit einem Gefühl trostloser Unabwendbarkeit an die löchrige Decke von Erics Garage. Er presste sich das Handy ans Ohr und die Vertrautheit von Clarys Stimme am anderen Ende der Leitung war das Einzige, was ihn noch davon abhielt, vollends zusammenzubrechen.
»Simon, das tut mir so leid.«
Er konnte hören, dass sie sich irgendwo in der Innenstadt befinden musste: Der laute Verkehrslärm im Hintergrund dämpfte ihre Stimme.
»Bist du wirklich in Erics Garage? Weiß er denn, dass du da bist?«
»Nein«, räumte Simon ein. »Im Moment ist niemand zu Hause, aber ich hab einen Schlüssel. Es schien mir ein guter Unterschlupf zu sein. Und wo bist du?«
»In der Stadt.« Für die Einwohner Brooklyns blieb Manhattan immer »die Stadt«. In ihren Augen existierte keine andere Metropole. »Ich war mit Jace trainieren, aber dann musste er zum Institut zurück, in einer Art Ratsangelegenheit. Ich bin gerade auf dem Weg zu Luke.« Im Hintergrund ertönte eine laute Autohupe. »Hör mal, möchtest du vielleicht bei uns übernachten? Du könntest auf Lukes Couch schlafen.«
Simon zögerte. Er hatte gute Erinnerungen an Lukes Haus. Seit er Clary kannte, und das waren nun schon einige Jahre, hatte Luke immer in denselben leicht schäbigen, aber heimeligen Räumen über seiner Buchhandlung gewohnt. Clary besaß einen Schlüssel zu seinem Haus und sie beide hatten viele angenehme Stunden dort verbracht – mit der Lektüre von Büchern, die sie unten im Buchladen »ausgeliehen« hatten, oder gemeinsam vor dem Fernseher.
Aber inzwischen hatten sich die Zeiten geändert.
»Vielleicht könnte meine Mom ja mit deiner Mutter reden«, schlug Clary vor, da sein Schweigen am anderen Ende der Leitung ihr offenbar Sorgen bereitete. »Und ihr alles erklären…«
»Ihr erklären, dass ich ein Vampir bin? Clary, ich glaube, sie weiß das längst, auf eine ganz eigentümliche Art und Weise. Aber das bedeutet nicht, dass sie es auch akzeptiert oder sich jemals damit arrangieren wird.«
»Mag sein. Andererseits kannst du aber auch nicht ständig ihr Gedächtnis löschen, damit sie es vergisst, Simon«, gab Clary zu bedenken. »Das funktioniert nicht ewig.«
»Warum denn nicht?« Er wusste, dass er unvernünftig reagierte. Aber während er auf dem harten Betonboden lag, umgeben von Benzingeruch und dem Wispern der Spinnen, die in den Garagenecken ihre Netze webten, fühlte er sich einsamer als je zuvor und so etwas wie Vernunft schien meilenweit entfernt.
»Weil dann deine ganze Beziehung zu ihr auf einer Lüge basieren würde. Du würdest niemals nach Hause zurückkehren können…«
»Na und?«, unterbrach Simon Clary schroff. »Schließlich ist das doch Teil des Fluchs, oder? ›Unstet und flüchtig sollst du sein!‹«
Trotz des Verkehrslärms und Stimmengewirrs irgendwelcher Passanten im Hintergrund konnte er hören, wie Clary bei seinen Worten scharf die Luft einzog.
»Meinst du, dass ich ihr davon auch erzählen sollte?«, fragte er. »Wie du mich mit dem Kainsmal versehen hast? Dass ich im Grunde ein wandelnder Fluch auf zwei Beinen bin? Glaubst du ernsthaft, dass sie so was gern im Haus hätte?«
Die Hintergrundgeräusche verstummten – Clary musste sich in eine Toreinfahrt zurückgezogen haben. Simon konnte hören, wie sie mit den Tränen kämpfte, als sie erwiderte: »Simon, es tut mir so leid. Du weißt, dass es mir leidtut…«
»Es ist nicht deine Schuld.« Plötzlich fühlte er sich unendlich müde. So ist es recht: Versetz deine Mutter in Angst und Schrecken und bring dann deine beste Freundin zum Weinen. Echt tolle Leistung, Simon. »Hör mal, Clary, ganz offensichtlich sollte ich im Moment besser nicht unter Leuten sein. Ich werd einfach hierbleiben, bis Eric zurück ist, und dann auf seinem Gästesofa übernachten.«
Clary stieß ein schniefendes Geräusch aus, eine Mischung aus Lachen und Weinen. »Ach, fällt Eric denn nicht unter ›Leute‹?«
»Das klären wir besser ein anderes Mal«, erwiderte Simon und fügte dann zögernd hinzu: »Ich ruf dich morgen an, okay?«
»Nein, wir treffen uns morgen. Du hast versprochen, mit mir zu dieser Kleiderprobe zu kommen. Schon vergessen?«
»Wow, ich muss dich echt lieben«, schnaubte Simon.
»Ich weiß«, grinste Clary. »Und ich liebe dich auch. Also, bis morgen.«
Simon beendete die Verbindung und ließ sich wieder auf den Boden sinken, das Handy an seine Brust gepresst. Irgendwie seltsam, dachte er. Jetzt konnte er gegenüber Clary mühelos »Ich liebe dich« sagen, während er jahrelang mit diesen Worten gekämpft und sie einfach nicht über die Lippen gebracht hatte. Jetzt, wo er diese Worte nicht mehr auf dieselbe Weise meinte wie früher, fiel es ihm leicht.
Manchmal fragte er sich noch, was wohl passiert wäre, wenn es einen Jace Wayland nie gegeben hätte, wenn Clary niemals von ihrer Schattenjäger-Natur erfahren hätte. Aber diesen Gedanken schob er beiseite – es war sinnlos, darüber nachzudenken. Man konnte die Vergangenheit nicht ändern; man konnte nur nach vorne schauen. Nicht dass er auch nur irgendeine Vorstellung davon gehabt hätte, was dieses »Nach-Vorne-Schauen« mit sich brachte. Schließlich konnte er nicht ewig in Erics Garage bleiben. Selbst in seinem gegenwärtigen Gemütszustand musste er sich eingestehen, dass dieser Raum nicht gerade einladend war. Simon fror zwar nicht – im Grunde war er nicht mehr in der Lage, so etwas wie Kälte oder Wärme überhaupt noch zu spüren –, aber der Betonboden war hart und er hatte größte Mühe einzuschlafen. Er wünschte, er könnte seine Sinne irgendwie dämpfen. Der laute Verkehrslärm von der Straße vor dem Haus hinderte ihn daran einzunicken – genau wie der stechende Benzingeruch in der Garage. Aber das Schlimmste war die quälende Sorge darüber, was er als Nächstes tun sollte.
Von seinen Blutvorräten hatte er den größten Teil entsorgt und den verbleibenden Rest in seinen Rucksack gestopft – das würde für die nächsten Tage reichen, aber danach musste er schleunigst für Abhilfe sorgen. Eric würde ihn