F&%K THE CRISIS. Fox Hardegger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fox Hardegger
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783347138711
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den Unterschied machte und dazu beitrug, dass ich mein Leben später in den Griff bekommen habe. Es war das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, vollständig und bedingungslos akzeptiert zu werden. Mein Grossvater sprach mir sein bedingungsloses Vertrauen aus. Er glaubte an mich. Er war sicher, dass aus mir etwas wird. Er sprach keine Warnungen aus und drohte keine Konsequenzen an. Ich spürte Vertrauen und Respekt. Wie könnte ich ihm je wieder in die Augen blicken, wenn ich dieses Vertrauen nicht würdige? Ich liebe und bewundere ihn, bis zum heutigen Tag. Was für ein Mann. Spektakulär anders und klug genug, um zu wissen, wo die Prioritäten gesetzt werden müssen.

      Seinem unerschütterlichen Glauben an mich verdanke ich viel. Er hat verhindert, dass ich in den folgenden Jahren abgestürzt bin. Viele meiner damaligen Freunde erlebten ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag nicht. Ich lebte auch exzessiv und manchmal balancierte ich noch immer am Abgrund, doch im Unterschied zu jenen Kollegen, die nicht überlebten, respektierte ich von nun an auch die Gefährlichkeit von Situationen und Entscheidungen. Risiken nahm ich noch immer auf mich, Grenzen überschritt ich ebenfalls. Doch Fatalismus war für mich nach diesem Abend kein Thema mehr. Ich wollte meine Jugendjahre lebendig überstehen, wusste nun, dass mir das gelingen wird und: noch viel mehr.

      Himmlisch gute Unterhaltung

      Als 20-Jähriger stand ich vor der Frage, was ich beruflich machen will. Mein Grossvater war mittlerweile verstorben. Während seiner schweren Krankheit war ich zu unreif gewesen, um ihn zu begleiten. Ich erinnere mich an einen Besuch im Spital. Es ging dem Ende entgegen, das wusste ich und wollte ihn unbedingt noch einmal sehen. Er war ein Schatten seiner selbst. Ich versuchte ihm zu erklären, wer ich bin und dass ich nicht Matthias heisse. Er war vollgepumpt mit Opiaten, erkannte mich nicht.

      Ich besuchte ihn nicht mehr, weil ich seine Hilflosigkeit und seine Verzweiflung nicht ertrug. Ich wollte ihn so in Erinnerung behalten, wie er gewesen war. Monate später lag er aufgebahrt in seinem Haus. Wir waren allein und ich erinnere mich an eine tiefgehende Begegnung, die mit dem intensiven Gefühl verbunden war, dass von uns allen wenig bleibt. Und: Irgendwann gibt es nichts mehr nachzuholen. Später realisierte ich, dass ich etwas verpasst hatte, als ich ihn nicht mehr besuchte. Dass wir uns verpasst haben. Eine schmerzhafte Erkenntnis. Eine andere Gewissheit vermittelte mir jedoch ein wenig Trost: Mein Grossvater war ein Lebemann gewesen, er konnte seine Neigungen, seine Extravaganz ausleben, hatte selbst wohl nichts verpasst, war auf seine Art glücklich gewesen.

      Heute lasse ich mich bewusst im romantischen Glauben, dass mein Grossvater da oben auf einer Wolke sitzt, zusammen mit meinem Vater. Im Glauben an mich werden sie sich kolossal amüsieren, wenn ich wieder einmal scheitere, und gross ist ihre Freude, wenn ich erfolgreich bin, eine glückliche und gute Phase folgt. Es muss eine himmlisch gute Unterhaltung sein. In der Gewissheit, dass auch ich das Leben voll auszuschöpfen weiss, Niederlagen keine allzu grosse Wichtigkeit beimesse und den buddhistischen Rat verinnerlicht habe, dass man das Leben mit einem Lächeln meistert oder dann gar nicht, sind sie vermutlich zufrieden mit mir.

      Die Erfahrungen mit meinem Grossvater, seine Krankheit und sein Tod, sollten meinen weiteren Lebensweg beeinflussen. Zum ersten Mal tat ich, was ich in den folgenden Jahrzehnten so oft tat. Interessierte mich eine Thematik übermässig, machte ich einen Beruf aus ihr. Nun wollte ich mich vertieft mit dem Alter und der Endlichkeit auseinandersetzen und hochbetagte Menschen in der letzten Lebensphase begleiten. Mit anderen Worten: Ich absolvierte ein Praktikum als Altenpfleger. Trotz vieler positiver Aussagen aus meinem beruflichen Umfeld gab es in den folgenden Jahren immer neue Ausreden, warum ich die Ausbildung an einer Schule für Krankenpflege nicht absolvieren darf. In der Hoffnung, dass es doch noch klappen wird, absolvierte ich ein zweites und ein drittes Praktikum.

      Nun war ich also Hilfspfleger, trug einen weissen Kittel und die Menschen, die ich betreute, waren meine Patienten. Ich liebte meine Schützlinge, die mich an ihren Lebenserfahrungen teilnehmen liessen. Nicht nur klug, sondern auch abgeklärt und sogar ein wenig kaltschnäuzig, rechneten viele in fast amüsanter Weise mit ihrem Dasein ab. Ich lernte von ihnen Langmut, Tapferkeit und Toleranz. Probleme wussten sie oft zu relativieren. Sich selbst nahmen sie nicht wahnsinnig wichtig oder ernst und vieles beurteilten sie weniger engstirnig als meine jugendliche Peergroup.

      Mit der Zeit ergaben sich persönliche Beziehungen. Zum Beispiel mit Berta. Stark übergewichtig setzte sie das Motto «chill your life» sehr konsequent um. Die Tage verbrachte sie, die Decke bis zum Kinn hochgezogen, am liebsten im Bett. Wenn wir sie zu einer Aktivität animieren wollten, stellte sie sich schlafend. Oder gab vor, von einem anderen Pfleger bereits bettfertig gemacht worden zu sein, was quasi als Absolution galt, sich ungestört dem Faulenzertum widmen zu dürfen. Da die Decke zu kurz war, mussten wir nur einen Blick in Richtung Bettende werfen, um den Schwindel zu entlarven: Ihre Füsse steckten in Schuhen! Sie genoss die provozierte Aufmerksamkeit, wie ihr diebisches Lächeln verriet. Gemäss Pflegeverordnung sollen Patienten nicht den ganzen Tag im Bett liegen und so kam es, wie es kommen musste. An Bertas Bett wurde tagsüber ein Gitter angebracht.

      Nun war es vorbei mit den spontanen Nickerchen. Doch nach einige Tagen zeigte ich ihr heimlich, wie das Gitter entfernt werden kann. Vor allem am Stationsrapport gab es nun lange Diskussionen und unterschwellig war Bewunderung zu spüren: Wie hatte es Berta bloss geschafft, das Hindernis zu demontieren?

      Fortan war ich Bertas Liebling und auch die übrigen alten Menschen brachten mir viel Wertschätzung und Zuneigung entgegen. Ein anderer positiver Aspekt meiner Tätigkeit war, dass ich einer der wenigen heterosexuellen Pfleger auf der Station war.

      Nach der Arbeit ging ich selten allein nach Hause. Dieser Vorteil setzte sich fort, als ich doch noch eine Chance erhielt, um die reguläre Ausbildung zu absolvieren. Als einziger Mann der Klasse war sogar die Lehrerin in mich vernarrt. In vielen Fächern war ich unter den Klassenbesten und den Zwischenabschluss schaffte ich mit Bravour. Dies verhinderte nicht, dass ich bald glaubte, alles erlebt und ausgeschöpft zu haben, was mit diesem interessanten Beruf zusammenhängt und die Einsicht festigte sich, dass ich bald zu neuen Ufern aufbrechen will.

      Ohne genauen Plan, was ich machen will, stand ich vor der Frage, wie es weitergehen soll. Taxifahren kann jeder und spült als Tätigkeit sofort Bares in die Tasche. Leider wusste ich nicht, dass man als Taxifahrer eine Ausbildung machen muss. So landete ich als Kurierfahrer beim Paket- und Brief-Express-Dienst, DHL. Die junge Firma befand sich damals in amerikanischen Händen. Ich liebte meinen Job sofort, denn die Anforderungen waren hoch, dass Tempo schnell und: Bis in die Chefetagen hinauf waren alle miteinander per «Du».

      Je mehr die anderen stöhnten, desto grösser war mein Elan. Egal, wie viele Pakete an einem Tag auf mich warteten, ich würde sie alle zustellen. DHL war damals noch ein Start-up, sehr chaotisch, undiszipliniert, jedoch auch offen, dynamisch und unbürokratisch. Heute ist DHL Teil der deutschen Post. Einige Menschen, die damals an mich glaubten, sind noch heute in der Firma beschäftigt.

      Der Kurierdienst machte Spass, doch ich wusste, dass es keine Aufgabe ist, die mich bis ans Ende meiner Tage herausfordern wird. Ich wollte an die Front, dorthin wo die Post wirklich abgeht.

      Ich sah meine Kollegen, die als Verkaufsmanager teure Anzüge trugen und spannende Aufgaben zu bewältigen hatten. Das wollte ich auch. Doch es gab keine offenen Stellen in diesem Bereich. Für einmal kam nun meine Mutter ins Spiel. Sie kannte ein Generalagent bei der ältesten, grössten und wohl auch konservativsten Lebensversicherungs-gesellschaft der Schweiz und vermittelte mir den Kontakt.

      Beim ersten Vorstellungsgespräch liess man mich wissen, es gäbe keinen objektiven Grund, um mich einzustellen. Ich solle selbst einen Grund nennen, der für eine Anstellung spreche. Ich war jung, wild und hatte, aus welchen Gründen auch immer, sehr viel Selbstvertrauen. Meine Antwort lautete: «Weil ich mehr Umsatz machen werde als der Rest des Verkaufsteams.» Dieses umfasste immerhin 75 Kollegen. Ich versprach: Sollte es mir nicht gelingen dauerhaft unter den Top-10 zu bleiben, werde ich wieder kündigen. So viel Kaltschnäuzigkeit beeindruckte sogar den Direktor der Region. Ich verliess das Gebäude beschwingt, denn bald würde ich in Anzug und Krawatte durch die Gegend spazieren und mit dem Verkauf von Lebensversicherungen viel Geld verdienen.

      Die Anstellung war der einfachere Teil gewesen. Nun musste ich liefern und zuvor vor allem sehr viel lernen: Das Sozialversicherungswesen mit all seinen