F&%K THE CRISIS. Fox Hardegger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fox Hardegger
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783347138711
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verkorksten Situation zu machen und seine zweifelhafte Persönlichkeit irgendwie bei Laune zu halten. Mein Tief versuchte ich auszugleichen und zu überwinden. Je übler sich mein Meister gebärdete, desto mehr bemühte ich mich, die hochkomplizierten Vorgänge schnell zu begreifen und die manuellen Fertigkeiten zu verinnerlichen. Irgendwann schien er meiner Drohung Glauben zu schenken, dass ein Misserfolg auch für ihn finanzielle Einbussen bedeuten wird. Von unflätigen Flüchen begleitet, die mit jedem anderen in einer Schlägerei geendet hätten, machte er sich nun selbst ans Werk.

      Wenig später standen acht Sorten feinste Gelato auf dem Tisch. Die Konsistenz: cremig und glänzend. Die Aromen: betörend. Die Farben: von zartem Pfirsich bis pastellfarbenem Pistaziengrün war alles dabei. Die exklusive Speiseeis-Herstellung ist eine Kunst. Natürliche Ingredienzen, keine Zusatzstoffe: Sie in dieser Qualität konstant gewährleisten zu können, erfordert viel Wissen und handwerkliches Können. Im Stillen nannte ich Mario jetzt nicht mehr «Idiot», sondern «van Gogh».

      Wenig später klingelte die Türglocke. Ausgestattet mit frischen weissen Schürzen und einem einvernehmlichen Lächeln auf den Lippen begrüssten wir die illustre Gästeschar und zogen eine perfekte Show ab. Mario war wie ausgewechselt, charmant, eloquent, gewinnend, kurz: das CapitalLand-Team zeigte sich begeistert von diesen fähigen und fröhlichen Gelato-Meistern, die sich so gut zu verstehen schienen und das beste Eis produzierten, das sie jemals gegessen hatten, wie sie uns wissen liessen. Nach einer Stunde war die Degustation beendet und ich komplett geschafft. Ich klemmte mir einen Karton mit Eiscrème für meine Tochter unter den Arm und verliess den Ort des Geschehens grusslos. Zuhause schilderte ich die Geschehnisse meiner Frau, die das Erlebte mit den Worten quittierte: «Welcome Singapur – endlich wir sind angekommen.»

      Boom!

      Nachdem wir in Singapur eine Zeit lang in einem Service Apartment, einer hotelartigen Wohnung gelebt hatten, mietete ich beim Neustart eine Vier-Zimmer Wohnung im Tanglin Park an. Möbel besassen wir keine mehr. Unser Hab und Gut hatten wir in Australien zurückgelassen. Wir waren teuer und sehr aufwendig eingerichtet gewesen. Vom schönen Korkenzieher bis zum vollen Weinregal, vom massangefertigten Sofa bis zum Bett samt passender Bettwäsche: Der Liquidator hat sicher ein gutes Geschäft gemacht. Nur weg aus down under: Zu diesem Zeitpunkt war ich unendlich müde, mochte nicht mehr, wollte Australien und die dortigen Erfahrungen so schnell als möglich hinter mir lassen. Eineinhalb Jahre lang hatten wir daraufhin praktisch aus dem Koffer gelebt. Gewohnt sehr viel Geld zu verdienen, war jetzt Sparkurs angesagt, da ich unsere Ersparnisse für die Firmengründung verwenden wollte. Also statteten wir dem schwedischen Einrichtungshaus einen Besuch ab und innert weniger Stunden war ein kompletter Haushalt zusammengestellt.

      In Sachen Umzug bin ich ein Profi: In meinem Leben wechselte ich mehr als fünfzig Mal das Domizil. Es kostete mich keine Mühe und auch die Neuanfänge in neuen und bisweilen exotischen Ländern fielen mir stets leicht. Lange Zeit spürte ich beim Weiterziehen ein Gefühl der Befreiung oder um es in den Worten von Janis Joplin zu sagen: «freedom is just another word for nothing left to lose». Freiheit ist nur ein anderes Wort für den Umstand, dass man nichts mehr zu verlieren hat. Ebenfalls empfinde ich es als befreiend, Materielles – manchmal freiwillig, manchmal erzwungen – hinter mir zu lassen, um zu neuen Ufern aufzubrechen: In der Zwischenzeit zusammen mit meiner kleinen Familie, die ähnlich denkt und fühlt wie ich, was mich mit Stolz und Dankbarkeit erfüllt.

      Reichtum bewegt mich nicht, war nie die Hauptmotivation für meine Aktivitäten. Viel Geld bringt nicht mehr Glück. Allerdings und das ist sicher ein nicht zu unterschätzender Aspekt, lässt sich mit Geld eine gewisse Unabhängigkeit erkaufen: Die Freiheit tun und lassen zu können, was man will. Viel zu verdienen, heisst auch, dass man sich Gedanken zum verantwortungsvollen Umgang mit Geld macht und sich nicht einzig und allein darüber definiert, wie viel man besitzt. Nur dumme Leute bilden sich etwas auf ihren Reichtum ein und Dummheit ist der Boden auf dem Arroganz und Leichtsinn wachsen. Am Geld hielt ich nie fest, aus diesem Grund kam es mir vielleicht auch immer wieder abhanden, waren viele Neuanfänge nötig und natürlich haben mich die damit gemachten Erfahrungen als Mensch und Unternehmer geprägt.

      Ob ich gerade viel oder weniger Geld verdiente, änderte nichts an meiner Reiselust. Doch nun war ich froh in Singapur eine feste Bleibe gefunden zu haben, die auch meiner Frau und Jenny, meiner damals 2-jährigen Tochter, entsprach. Beim Tanglin Park handelte es sich um eine gemütliche Wohnanlage, zu der auch ein Swimmingpool und ein Tennisplatz gehörte. Diese von Ausländern bewohnten Gelände sind im Vergleich mit jenen Wohnungen, die die Einheimischen anmieten dürfen, teuer. Mit einer Miete von 6’500 Singapur-Dollar – knapp 6’000 Franken – hatten wir ein eigentliches Schnäppchen gemacht.

      Am Abend sass ich auf der Veranda und dachte nach: Obwohl unser Auftritt vor der CapitalLand-Belegschaft Oscar-würdig ausgefallen war und die Produkte, die wir präsentierten als erstklassig beurteilt wurden, konnte ich nicht absolut sicher sein, wie sich die Herren entscheiden werden und in schwachen Minuten fragte ich mich, ob die hohen Kosten und meine ganze Kraft, die ich bereits in dieses Projekt investiert hatte, vielleicht doch vergeblich gewesen sind. Doch nach einiger Zeit lag eine Nachricht vor: Es handelte sich um ein Angebot für eine 16 m2 grosse Lokalität, die im zweiten Untergeschoss neben der Rolltreppe lag: «Plaza Singapora» ist eine sehr gut frequentierte Mall mit einer eigenen U-Bahn-Station und mein zukünftiger Shop war mit 8’000 Singapur-Dollar Miete pro Monat auch noch bezahlbar. Endlich! Meine Freude war grenzenlos. Nach vielen Monaten harter Arbeit und vielen Kämpfen würde ich bald mein erstes Geschäft eröffnen.

      Wochen später folgte der Umbau des Lokals nach meinen Plänen. In Singapur geht ein solches Unterfangen in Windeseile über die Bühne, da alles andere umsatzschädigende Auswirkungen hat. Die Arbeiter fielen wie ein Heuschreckenschwarm auf Kommando über die Baustelle her und innert weniger Tage war der Spuk vorüber, die Verschalung wurde entfernt und vor uns lag ein wunderschönes und perfekt eingerichtetes Ladengeschäft. Anfänglich produzierte ich mithilfe von Mario in seiner Schulungsküche und transportierte die verschiedenen Sorten in Styroporkisten verpackt mit meinem Privatauto. Diese Art der Lieferung war verboten, aber erst Jahre später realisierte ich, dass solche Aktionen mit drakonischen Strafen geahndet werden. Am Tag der Eröffnung türmten sich pastellfarbene Eisberge in den Auslagen. Traditionelle Sorten wechselten sich mit experimentellen Geschmackskombinationen ab. Zweiunddreissig verschiedene Aromen – also über zweihundert Kilogramm Eis – mussten im Vorfeld produziert werden. Mit Nüssen, kandierten Früchten und anderen kulinarischen Leckereien verziert, erinnerte meine Eisdiele an die Toskana, an Rimini, an Italien. An Leichtigkeit, Genuss und Glück.

      Noch vor der offiziellen Öffnungszeit näherte sich die erste Kundin. Sie blieb vor der Vitrine stehen. Während sie telefonierte, zeigte sie mit dem Finger auf zwei Sorten. Als hätte ich in meinem Leben noch nie etwas anderes gemacht, griff ich zum Eiskugelmacher und Sekunden später lag die Köstlichkeit in einem Becher. Sie bezahlte mit einem 10-Dollar Schein. So gemächlich der erste Tag gestartet war, so schnell nahm er an Fahrt auf. Kurz nach der Lunch-Zeit gab es einen ersten Ansturm und gegen Abend – Gelato verkauft man übrigens am Abend und nicht am Nachmittag – standen die Kundinnen und Kunden in drei Reihen auf der ganzen Breite des Ladens Schlange. Boooom! Das hat eingeschlagen. Am ersten Tag erwirtschafteten wir in unserem winzigen Kiosk zu dritt – mehr Angestellte fanden beim besten Willen keinen Platz hinter dem Tresen – einen Tagesumsatz von 2’580 Singapur-Dollar.

      Spätnachts drehte und wendete ich den ersten 10-Dollarschein, den ich Stunden zuvor mit meiner Eisdiele erwirtschaftet hatte. Ich versah ihn mit Datum und dem Firmenstempel, würde ihn einrahmen lassen und als Erinnerung an die Anfänge auf meinen Schreibtisch stellen, der sich zu diesem Zeitpunkt in unserem Schlafzimmer befand.

      An diesem Abend dachte an die Höhen und Tiefen der vergangenen Jahre und nahm – wie so oft – das wunderbare Buch der australischen Sterbebegleiterin Bronnie Ware zur Hand und gelangte schnell zu jenem Kapitel, das Auskunft gibt, was sterbende Menschen am meisten bereuen. Die grosse Mehrheit antwortete: Dinge nicht getan und Chancen nicht genutzt zu haben. Die Angst vor dem Risiko lässt Menschen zu wenig erleben. Sie erleben manches, aber zu vieles nicht, weil sie auf jene Sicherheiten nicht verzichten wollen, die der Existenz auch Halt bieten. Doch das Leben besteht in meinen Augen nicht aus dem Erreichten,