Tannenruh. Willi Keller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Willi Keller
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839266007
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Rechtspsychologie.«

      Warum versetzte ihm das einen Stich? »Gehst du weg?«

      »Nein. Das läuft nebenbei, in Heidelberg. Ich pendle hin und her. Das Studium dauert nicht so lange, weil mir die fünf Semester Psychologie angerechnet werden.«

      »Und was ist der Grund dafür, dass du doch weitermachst mit Psychologie?«

      »Irgendwann habe ich mich gefragt, warum ich das Studium aufgegeben habe.«

      Eine Frage, die sich Berger in den letzten Monaten auch gestellt, aber gleich wieder verworfen hatte. Was hätte er mit Germanistik anfangen können?

      »Aber die Entscheidung damals war richtig, denn die Polizeiarbeit fesselt mich nach wie vor. Ich will jedoch mehr über Täter und ihre Motive erfahren. Wichtig ist mir auch die Opferforschung. Und die Beziehung zwischen Opfer und Täter.«

      »Da kommt ja einiges auf dich zu. Wie sieht es denn in Zukunft mit der Freizeit aus? Du wirst sicher auf vieles verzichten müssen.«

      »Am meisten schmerzt mich, dass ich etliche Motorradausflüge streichen muss.«

      »Das glaube ich gerne. Aber sag mal, können wir noch mal auf Firner zurückkommen?« Es brannte ihm unter den Nägeln, mehr über Firner zu erfahren. »Nach Winkers Zusammenbruch ist doch davon auszugehen, dass die Nachfolge rascher geklärt wird, als wir denken. Glaubst du, dass Firner Chancen hat?« Firner als Kripochef – diese Vorstellung konnte Berger nicht ertragen.

      »Noch steht ja nicht fest, wieso Winker zusammengebrochen ist. Aber ein Warnzeichen ist das allemal. Ich glaube, dass er in den Ruhestand geht. Ob Firner Chancen hat? Sein missglückter Auftritt neulich hat sich rumgesprochen. Ich denke, bis nach ganz oben. Da hat er sich keinen Gefallen getan, auch nicht mit seinen Äußerungen über die Cold-Case-Pläne. Die stammen von Winker und werden vom Polizeipräsidenten voll unterstützt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sich Firner als den geborenen Nachfolger von Winker sieht und alles andere ausblendet. Er muss aufpassen, dass ihm nicht einer oder eine von außen vor die Nase gesetzt wird. Von innen hat er wohl keine Konkurrenz zu befürchten. Ich kenne jedenfalls niemanden aus unseren Reihen, der ihm die Nachfolge streitig machen will. Zu seiner Ehrenrettung muss man natürlich sagen, dass er als Soko-Leiter wahnsinnig unter Druck steht. Er ist ohne Zweifel ein sehr guter Kriminalist. Dass die Soko Gifiz keinen Erfolg hat, wird in erster Linie ihm angekreidet. Er und Winker stehen im Blickpunkt der Presse, wenn es um die ChrisTer-Fälle geht. Nicht jeder würde den Druck aushalten.«

      Berger kam ein weiterer Gedanke. »Tammy, mir fällt noch etwas ein. Winker hat mir gesagt, dass es im Gifiz-Fall beziehungsweise in den ChrisTer-Fällen etwas Merkwürdiges gebe, über das er mit mir unter vier Augen reden müsse. In dem Augenblick ist er zusammengesackt. Kannst du dir erklären, was er damit gemeint hat? Ich habe bisher keine Gelegenheit gehabt, die Unterlagen zu den Gifiz-Morden zu studieren. Ich meine, zu den ChrisTer-Fällen, wie ihr sie jetzt nennt. Das Wort will nicht in meinen Schädel. Hast du etwas Auffälliges entdeckt? Ich überlege schon die ganze Zeit, was an den Fällen so merkwürdig sein kann – außer dass wir keinen einzigen Täter gefasst haben.«

      »Ich kann mich an nichts Besonderes erinnern. Abgesehen davon, dass diese Fälle an sich etwas Besonderes sind. Die Unterlagen füllen inzwischen etliche Aktenordner. Und die Datensammlung wächst noch immer. Außerdem kenne ich nicht jedes Detail. Wenn ich an die Felder denke, die ich beackere, fällt mir spontan nichts ein. Das will natürlich nichts heißen. Ich bin nicht bei allen Besprechungen gewesen in den letzten Monaten. Oft haben sie mich im Kriminaldauerdienst eingesetzt, das habe ich dir ja schon erzählt. Alles, was ich mitbekommen habe, wirkt nicht merkwürdig. So, und hier sollten wir einen Punkt machen, Alban. Denn wir wollen eigentlich den Fall hier beleuchten. Wenn es überhaupt einer ist. Was hast du denn bisher herausgefunden?« Jetzt war es Tammy, die eine thematische Kehrtwende vollzog.

      Berger zog sein Notizbuch, das er immer bei sich hatte, aus der Jacke, die über der Rückenlehne des Stuhls hing, und blätterte darin. »Viel ist es nicht. Die Bergwacht und der zuständige Polizeiposten gehen von einem Unglück aus. Eine Fremdeinwirkung halten sie für nahezu unmöglich. Aber sie wundern sich, dass man an der Unglücksstelle abstürzen kann. Das hast du sicher auch auf deinem Tablet. Was mich etwas stutzig macht, ist die Tatsache, dass weder im Zimmer des Argentiniers noch in seiner Kleidung, die er zum Zeitpunkt des Unglücks getragen hat, ein Smartphone zu finden ist.«

      »Und Notebook oder Tablet? Du hast doch sicher sein Zimmer gründlich untersucht.«

      »Auch nichts. Aber ein hochwertiges Abspielgerät für CDs. Er hat anscheinend ein Faible für Musik gehabt. Mindestens 40 CDs sind auf seinem Schreibtisch gestapelt. Darunter viel Tangomusik, zum Beispiel Werke von Astor Piazzolla. Zu seinen Hinterlassenschaften zählen außerdem teure Zigarren. Er ist nicht der Ärmste gewesen. Das sieht man auch an seiner Kleidung. Die anderen Gäste machen ebenfalls den Eindruck, dass sie nicht am Hungertuch nagen, eher am Hummertuch.«

      »Sehr witzig, Alban. Mich interessieren nicht die anderen Gäste, sondern das Zimmer von diesem Borges. Was ist dir noch aufgefallen?«

      »Alles ist sauber aufgeräumt. Ich würde mal sagen: zu sauber. Was auch sehr komisch ist: Die Angestellten sind sehr zurückhaltend. Die sagen nur das Nötigste, wenn überhaupt. Feststeht, dass der Argentinier zu anderen Gästen so gut wie keinen Kontakt gehabt hat. Einmal hat ihn angeblich ein anderer Gast bedrängt. Behauptet eine der Bedienungen. Herr Borges habe sich bei der Hotelleitung beschwert, sagt sie. Dieser Gast sei nicht mehr aufgetaucht. Ihre Aussage hat mir niemand sonst bestätigt. Außerdem habe er sich immer an einen Einzeltisch im hintersten Eck gesetzt mit Blick auf Tür und Buffet. Das hat mir die Bedienung auch noch erzählt. Sie heißt Orsolja und ist die Gesprächigste von allen. Heute Morgen habe ich nach ihr gefragt. Da hat es geheißen, sie habe Urlaub genommen. Möglicherweise hat sie mir zu viel gesagt. Das Personal macht den Eindruck, als stehe es unter besonderem Druck. Ich habe auch versucht, Gäste zu befragen. Alle haben gesagt, sie wüssten nichts. Möglicherweise sind sie von der Hotelleitung aufgefordert worden, den Mund zu halten. Es sind zurzeit überwiegend ausländische Gäste hier, viele aus Südamerika. Ich habe mir die Gästeliste zeigen lassen. Ich wundere mich, wie das hier mit der Werbung läuft. Offenbar legt die Leitung des Hotels keinen Wert auf einheimische Gäste. Es sind nur wenige Deutsche darunter. Das Hotel macht seinen Gästen ein umfangreiches Angebot an Kultur, Fahrten zum Festspielhaus Baden-Baden, Ausflüge. Und viele Vorträge. Religiöse und politische Themen sind der Schwerpunkt. Die Referenten sind ebenfalls international.«

      »Ich habe gestern Abend noch die Homepage des Hotels aufgerufen. Da steht, dass sie im Aufbau ist. Sonst nichts.«

      »Das ist mir auch passiert. Das passt nicht zu einem internationalen Hotel. Aus dem Prospekt wird man auch nicht schlau. Es geht nicht daraus hervor, wer das Haus führt. Ein Familienbetrieb scheint es nicht zu sein. Und es gehört vermutlich auch nicht zu einer Hotelkette. Dafür ist es zu individuell gestaltet. Was hat den Argentinier nur bewogen, in dieses abgelegene Hotel zu kommen? Wie hat er von ihm erfahren? Vielleicht durch einen Bekannten aus Südamerika, der ihm das Programmheft zukommen ließ? Selbst wenn, ich kann mir nicht vorstellen, dass ihn das Programm gereizt hat. Eines ist übrigens interessant. Das hätte ich jetzt fast übergangen. Borges hat sich aller Wahrscheinlichkeit nach mit jemandem von außerhalb getroffen.«

      »Hier im Hotel? Weißt du schon, mit wem?«

      »Ja. Der Polizeiposten, der den Absturz untersucht hat, hat mir heute Morgen mitgeteilt, dass in der rechten Manteltasche des Argentiniers eine zerknüllte Visitenkarte gefunden worden ist. Die haben sie erst jetzt entdeckt. Er hat sich entschuldigt, dass sie die Visitenkarte übersehen haben. Hoffen wir, dass das der einzige Fehler in diesem Fall ist. Es handelt sich um einen Dr. Falco Gmeiner. Falco mit ›c‹. Und das ›c‹ sei unterstrichen. Dieser Dr. Falco Gmeiner wohnt in Oppenau. Die Visitenkarte sei etwas abgerieben und aufgeweicht, aber gerade noch leserlich. Die muss der Argentinier also schon vor längerer Zeit in seine Manteltasche gesteckt haben. Wo und ob überhaupt die zwei sich getroffen haben, kann ich nicht sagen. Als Beruf gibt dieser Falco Gmeiner auf der Visitenkarte ›Dozent für Volkskunde‹ an. Die Handynummer habe ich. Den müssen wir noch anrufen.«

      »Das können