Tannenruh. Willi Keller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Willi Keller
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839266007
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eine Weile, bis sich jemand meldete.

      Eine sympathische Stimme sagte: »Dr. Falco Gmeiner, Falco mit ›c‹. Wer ist da, bitte?«

      »Berger. Alban Berger. Kriminalpolizei Offenburg.«

      Noch bevor Berger sein Anliegen vorbringen konnte, fragte Gmeiner: »Habe ich etwas verbrochen?« Er klang nicht erschrocken, eher neugierig.

      »Nein. Es geht um einen Gast im Hotel Schatzhauser, einen argentinischen Staatsbürger. Wir haben in seinen Unterlagen eine Visitenkarte von Ihnen gefunden. Haben Sie mit ihm Kontakt gehabt?«

      »Ich habe mit einem Argentinier Kontakt gehabt, stimmt. Mit Señor Borges. Was ist mit ihm?«

      »Er ist vermutlich tödlich verunglückt. Mehr kann ich nicht sagen.«

      Gmeiner ließ Berger wieder nicht weiterreden. »Das Wort ›vermutlich‹ lässt einiges offen. Das heißt, Sie sind nicht hundertprozentig davon überzeugt, dass er verunglückt ist.«

      »Ich spreche vermutlich mit einem Sprachwissenschaftler oder Semantiker. Die Sache ist ganz einfach. Der Fall ist überschaubar, aber wir müssen routinemäßig Fragen klären. Das ist unser Job. Zu Ihrer Beruhigung: Zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir nicht von Fremdeinwirkung aus. Wir wollen das allerdings mit Ihnen nicht am Handy besprechen. Können wir uns heute Nachmittag treffen?«

      »Bin ich zu einem Treffen verpflichtet?«

      »Nein. Zum Erscheinen verpflichtet sind Sie nur, wenn Sie eine schriftliche Vorladung bekommen, von der Staatsanwaltschaft. Es geht um ein paar Fragen. Sicher können Sie uns weiterhelfen.«

      »Und wo wollen Sie sich mit mir treffen?«

      »Im Hotel Schatzhauser, wenn Ihnen das recht ist?«

      »Das ist mir überhaupt nicht recht. Da gehe ich auf keinen Fall hin.«

      »Und warum nicht?«

      »Das sage ich Ihnen am Handy nicht.«

      »Dann machen Sie einen Vorschlag.«

      »Oppenau, das Café gegenüber der Weinbrenner-Kirche in der Stadtmitte. Es ist nicht zu verfehlen. 14.30 Uhr. Auf der Terrasse. Das Wetter wird heute Nachmittag gut.«

      »Prima, dann um 14.30 Uhr in Oppenau. Ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft, mit uns zu sprechen.«

      »Macht er Schwierigkeiten?«, fragte Tammy, nachdem Berger das Gespräch beendet hatte.

      »Nein. Aber auf den Mann bin ich gespannt. Mal sehen, was bei dem Gespräch herauskommt.«

      »Wir müssen aufpassen. Eigentlich darf es keine offizielle Befragung sein.«

      »Das ist mir schon klar. Aber es bleibt uns nichts anderes übrig, als so zu verfahren. Wenn wir den offiziellen Weg gehen, müssen wir eine sehr gute Begründung liefern, dass bei dem Fall etwas nicht stimmt. Dann ufert zeitlich alles aus. Wir sitzen hier in einem sonderbaren Hotel und sollen letztlich bestätigen, dass ein Gast unterwegs ohne fremde Einwirkung abgestürzt ist. Auf dieses Ergebnis hoffen alle. Mehr verlangt man von uns nicht.«

      »Warst du schon an der Absturzstelle?«

      »Nein, gestern Abend ist es zu spät gewesen. Ich habe ohnehin vorgehabt, dass wir die Strecke zu zweit abgehen. Vier-Augen-Prinzip.«

      »Vier Augen übersehen mehr als zwei. Das hat mir mal ein Ausbilder gesagt und mir eingetrichtert, dass man sich nicht zu sehr auf den anderen verlassen darf. Das führe zu nachlässigem Verhalten.«

      Berger ging nicht auf die Belehrung ein.

      »Kennst du den Weg?«

      »Wir müssen etwa 200 Meter auf der Straße gehen, bis die Kurve beginnt. Danach zweigt ein Pfad links ab. Man kann ihn gut erkennen, weil ihn die Suchtrupps ziemlich zertrampelt haben. Nimm dein Tablet und dein Smartphone mit.«

      »Ich habe zusätzlich zu meinem großen einen kleineren Rucksack dabei. Da kann ich alles Notwendige verstauen, auch meine Dienstwaffe.«

      »Passt da auch meine noch rein?«

      »Ich glaube schon. Du hast ja bestimmt keine MP für diesen Einsatz bekommen.«

      Sie gingen langsam, redeten wenig und kontrollierten den Weg und die Ränder. Streckenweise konnten sie zwar nebeneinander laufen, aber bequem war der Weg nicht. Sie mussten aufpassen, dass sie nicht über Steine, Wurzeln oder wucherndes Gestrüpp stolperten oder auf Schneenestern ausrutschten. Nach einer guten halben Stunde erreichten sie die Stelle, an der das Unglück passiert sein musste. Der Weg schien an einem Felsen zu enden, der wie eine riesige Nase herabhing. Unter der Wölbung konnte man sogar stehen. Hinter der Nase ging es weiter, die Strecke verengte sich jedoch und war so zugewachsen, dass ein schmaler Pfad entstanden war. Berger und Tammy vermaßen mit ihren Smartphones die Unfallstelle. Die Entfernung vom Inneren der Wölbung bis zum Wegrand beziehungsweise zum Abgrund betrug 7,25 Meter. Von der Stelle, an der man problemlos aufrecht stehen konnte, bis zum Wegrand waren es 3,80 Meter. Unwahrscheinlich, dass man hier ohne jegliches Fremdverschulden abstürzte. Wenn man jedoch stürzte, hatte man keine Überlebenschance, so tief ging es hinab.

      War der Argentinier auf dem Rückweg oder auf dem Hinweg, als sich das Unglück ereignet hatte? Im mageren Protokoll des Polizeipostens gab es keinen Hinweis. Die Suche hatte erst spät in der Nacht begonnen. Zunächst hatte das Personal gezögert, als er nicht wie gewohnt zum Abendessen erschienen war. Nach rund einer Stunde waren Hotelangestellte mit Taschenlampen den Fahrweg abgegangen, danach den Pfad bis zur Nase. Die Hotelleitung hatte das angeordnet. An der Nase hatten sie die Suche abgebrochen und die Rezeption hatte die Bergwacht und die Polizei eingeschaltet. Es war also viel Zeit verloren gegangen. Nicht gerade ein professionelles Vorgehen, wie Berger und Tammy fanden. Erst am Morgen danach hatten die Helfer die Leiche des Argentiniers geborgen, von einer Straße aus, die weit unterhalb der Felsennase verlief. Die Leiche hatte auf abgebrochenen Felsen gelegen.

      Tammy und Berger fassten zusammen: Unter normalen Umständen bestand keine Absturzgefahr. Allerdings hatte es am Unglücksabend stark geschneit. Möglicherweise hatte der Schnee die Sicht des Argentiniers behindert und er war dem Abgrund zu nahe gekommen. Oder er war auf dem verschneiten Weg ausgerutscht. Oder es hatte ihn etwas aufgeschreckt. Übersichtlich war die Stelle mit ihrem plötzlichen Knick nicht, egal von welcher Seite man auf sie zulief. Man musste auch das Alter des Argentiniers bedenken. Vielleicht hatte er einen Schwächeanfall, wollte sich hier ausruhen und machte einen tödlichen Fehler. Er war an diesem Tag allein unterwegs gewesen, wie immer. Das versicherten jedenfalls die Hotelangestellten. Es sei ihm auch niemand gefolgt. Bergers Misstrauen wuchs bei der Analyse.

      »Mir ist bei der Befragung des Personals gesagt worden, man habe nicht gewusst, wohin Borges bei seinen täglichen Ausflügen gegangen sei. Aber am Unglücksabend wurden die Angestellten gezielt zu dieser Stelle geschickt. Über einen Weg, der vermutlich nur von wenigen Menschen genutzt wird. Woher wusste die Hotelleitung, dass sie hier nach ihm suchen mussten? Das passt nicht zusammen. Hast du eine Erklärung für dieses Verhalten?«

      »Wir kennen das Wegenetz hier oben nicht. Wahrscheinlich gibt es nur den Fahrweg, der zum Hotel führt.«

      »Und der ist eine Sackgasse.«

      »Im Moment weiß ich auch nicht, was wir von der ganzen Sache halten sollen. Die Frage ist, ob deine Überlegung in unsere Stellungnahme aufgenommen werden kann. Spekulativ ist sie nicht.«

      »Aber?«

      »Wir müssten das Personal noch einmal befragen.«

      »Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass das Ergebnis sich nicht ändern wird. Wir vergeuden nur Zeit. Oder denkst du, dass meine Befragung zu oberflächlich gewesen ist?«

      »Nein, nein. Wir können es auch lassen.« Wahrscheinlich war das Personal des Hotels einfach hilflos und eine weitere Befragung tatsächlich sinnlos.

      Tammy und Berger mussten gestehen, dass sie die Ursache des Unglücks so nicht klären konnten. Blieb noch das Gespräch mit Dr. Falco Gmeiner, dann konnten sie hoffentlich ihren Bericht schreiben. Wohin der Weg hinter