Das Erbe des Bierzauberers. Günther Thömmes. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günther Thömmes
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические детективы
Год издания: 0
isbn: 9783839234228
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      Der Kaiser, dem sonst im Allgemeinen eine unerschütterliche Robustheit des Körpers, gepaart mit einer spröden Unempfindlichkeit der Seele, nachgesagt wurde, wirkte an diesem Morgen ungewohnt wehleidig.

      »Meine Bauchschmerzen bringen mich noch um! Tut endlich etwas dagegen.«

      Andreas Reichlin von Meldegg, der kaiserliche Leibarzt, tastete sorgfältig den Bauch seines Patienten ab und sah hoch an dem schlanken, groß gewachsenen, mit etwa 1,80 Meter fast einen Kopf größeren Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Während er in der Magengegend einmal etwas fester drückte, rülpste dieser laut und vernehmlich, dann ließ er wie zur Antwort darauf einen kräftigen Furz fahren.

      »Na, Ihr wisst immer wieder, wie Ihr meine Qualen lindern könnt.« Friedrich hörte sich bereits viel versöhnlicher an, obgleich seine gleichgültige Miene das Gegenteil ausdrückte.

      »Ich gebe mir Mühe, Euch bestens zu versorgen«, erwiderte der aus Sankt Gallen stammende, ehemalige ›Physicus Iuratus‹ der Stadt Konstanz.

      »Hier, schluckt dies. Das wird Euch guttun.«

      Er rührte ein Pulver in einen Becher mit verdünntem Wein ein. Friedrich trank und rülpste erneut erleichtert.

      Andreas schaute leicht angewidert, als er die Fahne vom Wein, vermischt mit halbverdautem Essen, aus dem Mund des Kaisers roch.

      »Warum tue ich mir das immer wieder an? Dieser Teufel Alkohol! Als meine Frau, die gute Eleonora, noch lebte, da hatten wir beide nichts für dieses Zeug übrig. Jetzt ist sie schon seit sieben Jahren tot, und der Wein schmeckt immer noch sauer.«

      Friedrich redete sich in Rage.

      »Aber jetzt, im Alter, was bleibt mir anderes an Freuden, außer ab und an einmal gut zu essen und zu trinken!«

      Er beruhigte sich wieder.

      »War das eine Tafel gestern! Ein Bankett wie das der Söhne und Töchter Hiobs! Koteletten und Schulter, Teile vom Lamm, Rinderhaxe, Kalbsgekröse und dazu ein halber Kapaun, wie ich das alles hineinbekommen habe, ist mir ein Rätsel.« Friedrich lachte gequält.

      Reichlin von Meldegg war weniger erfreut.

      Trotz der schwierigen Zeiten und der politischen Nöte, in denen sich der Kaiser häufig befand, war der Kaiserhof eine Insel der Sorglosigkeit und Völlerei inmitten eines zerrissenen Landes. Die Bevölkerung fiel, was ihre Ernährung anging, von einem Extrem ins andere; ausgelassenen Festen folgten lange und intensive Fastenzeiten, deren Einhaltung streng überwacht wurde.

      Am Hof hingegen waren selbst an normalen Tagen alle Portionen üppiger als anderswo, obwohl der Kaiser eigentlich als geizig verrufen war.

      Über Mangel an Arbeit durfte sich der kaiserliche Leibarzt also nicht beklagen.

      Mit 41 Jahren stand er in der Blüte seiner Jahre, er war einer der am höchsten angesehenen Medizi im ganzen Reich, bis zum Tod von Papst Pius II. im Jahre 1464 sogar päpstlicher und kaiserlicher Leibarzt in Personalunion gewesen.

      Pius II., der bürgerlich Enea Silvio de’ Piccolomini geheißen hatte, hatte ihn auch mit dem Kaiser bekannt gemacht. Friedrich hatte Enea damals nicht nur als kaiserlichen Sekretär geschätzt, sondern auch seine lockeren Verse geliebt und ihm den Ehrentitel ›poeta laureatus‹ verliehen. Mit Vorlesungen über die Dichter der Antike an der Universität Wien war er einer der einflussreichsten Denker des Humanismus gewesen, bevor er 1456 zum Kardinal ernannt und zwei Jahre später sogar überraschend zum Papst gewählt worden war.

      Enea, Andreas Reichlin von Meldegg, bis zu seinem Tode auch der kaiserliche Kanzler Kaspar Schlick sowie ihr gemeinsamer Freund, der Brixener Bischof Nikolaus Cusanus, hatten nächtelang mit Diskussionen über philosophische und politische Themen verbracht, so mancher Krug Wein war dabei geleert worden. Nachdem sich Friedrich, bis 1452 noch als König Friedrich IV., danach als Kaiser Friedrich III., regelmäßig hinzugesellt hatte, waren die Weinrationen reichlicher – obwohl Friedrich anfangs selten Wein trank –, der Wein aber keineswegs besser geworden.

      Enea Piccolomini bemerkte des Öfteren mit spitzer Zunge, dass die Holzkannen, in denen der Wein ausgeschenkt wurde, ruhig öfter als einmal jährlich gereinigt werden könnten.

      »Das wäre der Qualität des Weines sicherlich nicht abträglich.«

      Saurer Wein aus Holzkannen, der mit Zucker so lange gesüßt wurde, bis er trinkbar war, das konnte auf Dauer auch der robusteste Magen nicht verkraften.

      Und da der Kaiser, obwohl ansonsten eher menschenscheu, viele andere Verpflichtungen hatte, bei denen geschlemmt und gezecht wurde, denen seine humanistischen Freunde jedoch entgehen konnten, hatte ihn seit einigen Jahren eine heftige Gastritis fest im Griff.

      Regelmäßig schrie der mittlerweile 60-jährige Kaiser nach dem Aufwachen wie ein weidwunder Löwe nach seinem Leibarzt, wie nun nach der gestrigen Schlemmerei.

      Andreas Reichlin von Meldegg war anfangs nicht davon angetan, sich ausschließlich mit kaiserlichen Rülpsern und Fürzen abzugeben.

      Die sechs Jahre jedoch, von 1458 bis 1464, in denen er zwei Hauptkunden hatte, noch dazu die beiden wichtigsten Herrscher Europas, waren sehr aufreibend gewesen.

      Andauernd auf Reisen, zwischen Rom, Graz und Wiener Neustadt hin- und herpendelnd, auf lange Sicht konnte er keinen zwei Herren dienen. Obwohl er den Tod seines Freundes betrauerte, als Papst Pius II. im August 1464 in Ancona starb, war er auch erleichtert, zumindest was seine Profession betraf. Da im gleichen Monat wie Pius auch der Vierte im Bunde, Nikolaus Cusanus gestorben war, blieb ihm nur noch der verschlossene, wortkarge Kaiser Friedrich zur geselligen Diskussion. Das damit einhergehende, etwas ruhigere Leben hatte ihn mit den körperlichen und geistigen Launen des Kaisers wieder versöhnt.

      Friedrich selbst wollte seinen Leibarzt um keinen Preis der Welt missen.

      Seit 1438 trug das Haus Habsburg die Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Und im Jahre 1474 saß Friedrich III. bereits seit 34 Jahren auf dem Thron, 22 davon als Kaiser. Zum König gewählt in Frankfurt, gekrönt in Aachen, gefolgt vom Triumph der Kaiserkrönung in Rom – er sollte in der 400-jährigen Erfolgsgeschichte der Habsburger der Einzige bleiben, dem diese Ehre zuteil wurde, wanderte der Regent aus der Steiermark seither ruhelos zwischen Graz, Linz und Wiener Neustadt hin und her.

      Er gab reichlich Anlass zum Spott. Zuerst hatte der Pöbel darüber gelacht, wie er immer jünger geworden war: Als Herzog von Österreich Friedrich ›der Fünfte‹ wurde er zu König Friedrich ›dem Vierten‹, und als Kaiser nahm er den Namen Friedrich ›der Dritte‹ an.

      »Und sollte er noch Papst werden, wird er sich ohne Zweifel Friedrich ›der Zweite‹ nennen!«, war ein beliebter Spott auf den Kaiser.

      Auch einige seltsame Angewohnheiten und Widersprüchlichkeiten Friedrichs hatten den Weg auf die Straße des Spotts gefunden. Er war geradezu als geizig verschrien, gleichzeitig aber als süchtig nach Gold, Schmuck und Juwelen und hatte den Ruf, einer der besten Experten der Welt zu sein, um eine gefälschte Preziose zu erkennen, aber nur, um beim Kauf nicht hereingelegt zu werden. Er galt als abergläubisch und fromm zugleich, vernarrt in Horoskope und gleichzeitig als Freund des Humanismus.

      Die Wiener hassten ihn, das beruhte auf Gegenseitigkeit. Er zog seine Residenz in Wiener Neustadt allen Wiener Annehmlichkeiten vor.

      »Wien ist ein Pestloch und eine Schlangengrube«, behielt er seine Meinung nicht für sich.

      Verheiratet gewesen war er mit der 21 Jahre jüngeren Prinzessin Eleonore von Portugal. Von den sechs Kindern, die sie geboren hatte, lebten nur noch zwei: der 16-jährige Maximilian, der später selbst Deutscher Kaiser werden sollte, und Kunigunde, seine zehnjährige Tochter. Friedrich hatte von Beginn seiner Regentschaft an militärische Auseinandersetzungen gescheut und immer den Verhandlungsweg bevorzugt. Dies war ihm häufig als Mühseligkeit ausgelegt worden, und trotz vieler zäh errungener Erfolge hielt sich hartnäckig sein Spottname ›Des Römischen Reiches Erzschlafmütze‹.

      Obwohl an diesem Morgen Andreas wieder einmal die kaiserlichen