Nach einer Stunde Wegzeit fiel ihm ein, dass er in Bitburg noch etwas vergessen hatte, was der Erledigung harrte. Er ging zurück, um die Stadt herum, mischte sich am südlichen Stadttor, dem Trierer Tor, unauffällig unter das Volk und gelangte so in die in diesen ausnahmsweise friedlichen Zeiten weniger streng bewachte Stadt.
Das Brauhaus lag links vom Stadttor, lediglich zwei Türme weiter, hinter dem Hospital. Bertram wartete in einer dunklen Nische des Turms, bis er sicher war, dass der letzte Gast den ›Lüsternen Eber‹ verlassen hatte, dann schlug er zu.
Der Kampf, wenn man es überhaupt ›Kampf‹ nennen konnte, war kurz. Bevor Dieter verstanden hatte, dass er angegriffen wurde, steckte ihm Bertrams Messer schon bis zum Heft im Hals, sodass es hinten wieder herausfuhr. Er sprang mit einem Schrei auf, zog sich das Messer aus dem Hals und wollte damit auf seinen Widersacher losgehen. Bertram hatte mit einem sofortigen Tod gerechnet und war entsprechend überrascht über den anfänglichen Widerstand. Der dauerte indes nicht lange. Mit jedem Atemzug kamen große blutige Luftblasen aus der Kehle, Bertram hatte mit seinem Dolch Dieters Luftröhre angeschnitten. Der lag bald am Boden und röchelte, während seine Wunde weiterhin blutigen Schaum ausspuckte. Bertram stand mitleidlos grinsend über ihm und wartete in aller Ruhe ab, bis der Todeskampf des Brauherrn, der ihn um seinen Lohn geprellt hatte, vorbei war.
Bis Dieter vom Markte am nächsten Mittag in seinem Brauhaus gefunden wurde, mit durchgeschnittener Kehle und den Mund voller Rübenschnitzel, hatte Bertram die Stadt schon wieder verlassen und war auf dem Weg nach Süden.
Dieters Tod wurde zu Protokoll genommen, besonders die Rübenschnitzel wurden vermerkt. Das Protokoll ging an alle Hochgerichtsbarkeiten in der Umgebung mit der Bitte, den Täter nach Bitburg zu überstellen, sollte er gefasst werden.
Mord und Totschlag kamen häufiger vor, als es der Obrigkeit lieb war, aber an Adligen doch eher selten. Da musste mit aller Macht ein Exempel statuiert werden.
Nach einem weiteren Tag erreichte Bertram das Moseltal und war dem Bitburg-Luxemburgischen Herrschaftsbereich bereits wieder entronnen.
Er folgte der Mosel flussabwärts. Was er brauchte, Essen oder Geld, stahl er unterwegs. Es war leichter, als er anfangs gedacht hatte.
Einen Fehler jedoch machte er: Er vergaß, dass er aufgrund seines entstellten Gesichts leichter zu beschreiben war als andere. Da die Wunden verheilt waren und sogar die Nase nicht mehr schmerzte, dachte er meist gar nicht mehr daran. Gelegenheit, in einen Spiegel zu schauen, hatte er keine.
Kurz vor Cochem machte er Rast in einer Schankstube. Der Raum war beinahe leer, lediglich zwei andere Männer verspeisten gerade eine riesige Fleischportion mit einem großen Krug Wein. Bertram sah das üppige Gepäck der beiden, dann hörte er interessiert mit.
Die beiden waren unterwegs zu den Herren von Eltz auf der gleichnamigen Burg. Die Burg Eltz lag im Tal der Elz, die das Maifeld von der Vordereifel trennt.
Der ältere der beiden war der Wortführer, und offensichtlich waren sie Kaufleute in Sachen Bewaffnung. Sie führten Gerätschaften mit sich, die Bertram niemals als Waffen erkannt hätte.
Nach einem weiteren Krug Wein kam Bertram mit ihnen ins Gespräch und gab sich als Brauerbursch auf Wanderschaft aus. Ganz gelogen war das ja nicht.
Der ältere der Kaufleute stellte sich als Bredelin vor, der jüngere, »mein Sohn, der mein Geschäft übernehmen und jetzt lernen soll«, hieß Eberwin.
Ohne großes Nachfragen erzählte Bredelin.
Sie kamen aus Nürnberg, waren in Trier gewesen und jetzt eigentlich auf dem Heimweg. Eine Kundschaft hätten sie noch unterwegs zu besuchen, die Eltzer Herrren.
»Die Burg Eltz ist schon über 300 Jahre alt, wird aber gerade ausgebaut. Und da haben wir neue Waffen im Angebot.«
Bertram schaute interessiert, als Eberwin eines der seltsam anmutenden Geräte in die Hand nahm.
»Das ist eine Hakenbüchse. Hier in der Moselgegend oder im Luxemburgischen nennt man sie ›Arkebuse‹. Das sind ganz neue Arten von Verteidigungswaffen. Die möchten wir den Eltzern verkaufen.«
Bertram hatte keine Vorstellung, wie diese Waffen funktionieren sollten, und gab das auch unumwunden zu.
»Ich kann es dir nicht vorführen, es ist zu aufwendig und zu gefährlich hier drinnen, aber glaube mir, die Wirkung ist verheerend«, erklärte Bredelin.
Nachdem Bertram kein klares Ziel hatte, versuchte er, sich so bei den beiden anzubiedern, dass sie ihn zur Gesellschaft mitreisen ließen.
»Nürnberg ist eine große Stadt. Da gibt es sicher Arbeit für mich.«
»Dann komm mit uns. Wir haben einen kleinen Wagen, nur für unser Gepäck und unsere Ware, neben dem wir hergehen. Da ist gute Gesellschaft immer passend. Und ich verspreche dir, wenn wir in Nürnberg angelangt sind, weißt du alles über die neuen Waffen. Auch wenn es dir beim Bierbrauen nicht hilfreich sein wird.«
Am nächsten Tag schon besuchten sie die Burg Eltz. Imposant und gewaltig reckte sie sich auf einem 70 Meter hohen Felsen aus dem Tal des kleinen Elzflüsschens empor, das sie von drei Seiten umfloss. Die Lage war gut gewählt, einerseits abseits der großen Straßen und nicht leicht zu finden oder zu erobern, andererseits an der Verbindung zwischen Mosel und den fruchtbaren Gegenden des Eifeler Maifeldes. Lediglich eine schwere Auseinandersetzung hatte die Burg Eltz in ihrer Geschichte durchstehen müssen: die sogenannte ›Eltzer Fehde‹ von 1331 bis 1336. Dabei ging es um einen politischen Streit der Eltzer Herren mit dem Erzbischof und Kurfürsten Balduin von Trier. Balduin belagerte schließlich die Burg, und die Eltzer ergaben sich, bevor die Burg zerstört werden konnte. Seither waren die Eltzer Lehensleute des Trierer Erzbischofs.
Bredelin und Eberwin hatten hier gleich drei Kunden. Seit über 200 Jahren lebten auf der Burg Eltz drei Linien der Eltzer in einer sogenannten Ganerbengemeinschaft5. Die Linien waren benannt nach den drei Brüdern Elias, Wilhelm und Theoderich, die die Stammesteilung damals beschlossen hatten.
Sie traten ein durch die auf drei Pfeilern ruhende gewölbte Vorhalle, durch die sich die Hoffront der Häuser öffnete.
Als die Herren von Eltz sich zur Begrüßung näherten, schickte Bredelin Bertram fort.
»Geh, setz dich irgendwo hin und warte, bis wir unser Geschäft erledigt haben.«
Bertram tat, wie ihm gesagt wurde, setzte sich aber noch nahe genug, um Bredelins Vorstellung mitzuerleben.
Zuerst wurden Neuigkeiten ausgetauscht, die fahrende Kaufleute immer reichlich mit sich führten und die in einer etwas abgelegenen Burg gerne gehört wurden.
Besonders die politische Lage, Kriege und Eroberungen wurden am liebsten kolportiert.
»Die Türken stehen schon in Bosnien, nach Wien ist es nicht mehr weit«, war eine der neuesten Schreckensmeldungen.
»Dafür zahlen es die Portugiesen den Arabern heim und belagern Tanger. Die Stadt wird bald in Christenhänden sein.«
»Und der englische König Heinrich VI. wurde im Tower zu London von seinem Rivalen Eduard, der sich jetzt als König ›der Vierte‹ nennt, ermordet.«
Schließlich war der Informationspflicht Genüge getan, die Vorstellung begann.
Eberwin nahm eine der sechs Hakenbüchsen, die sie mit sich führten, und Bredelin begann mit seinem Vortrag.
»Hochverehrte Herren von Eltz. Gewiss habt Ihr schon gehört von der Erfindung des Freiburger Franziskanermönchs Bertholdus Niger, obwohl dessen Erfindung bisweilen auch anderen klugen Köpfen zugeschrieben wird. Bertholdus hatte für ein Experiment in einem Mörser Salpeter, Schwefel und Kohle zerstampft. Den Mörser stellte er, zusammen mit dem Stößel, in einen Ofen und verließ seine Kammer. Kurz darauf erfolgte eine heftige Explosion. Alles war in die Luft geflogen. Der Stößel steckte sogar so fest