ZWEITAUSENDVIERUNDACHTZIG. Gisbert Haefs. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gisbert Haefs
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957659132
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ich oben an der Bar gefragt, wo iFrank ist, die haben mich in die Member Area geschickt, und die Kartenzocker da hinten am Tisch sagten Werkstatt. Der Typ in der Werkstatt sagte, iFrank ist im Chillcenter. Gut? Darf ich jetzt iFrank suchen oder willst du ihn mir vor die Tür schicken? Das fände er bestimmt ganz toll.«

      Rumpelstilzchen sah ihn mit einem mörderischen Blick an und machte auf dem Absatz kehrt.

      Der Papagei ruckelte. »Dem hast du’s aber gegeben.«

      »Halt den Schnabel.«

      Die Atmosphäre im Chillcenter war überwältigend. Überall tanzten rote und grüne LEDs im Dunkel, hingen Paneele mit Schaltern und glimmenden Energiekanälen, und die Geräusche aus den Projektionslautsprechern ließen glauben, dass man sich wirklich in einer abgestürzten Raumstation befand. In der Kommunikationsdyadennische glomm Konzentration von Gamern hinter echten Monitoren. Einige der Bildschirme waren tot, weil sich die Nutzer das Bild von ihren 3-D-Implantaten in ihrem Kopf darauf projizieren ließen.

      »Haaay, Käpten«, hauchte ein schmales Gesicht hinter einem Bildschirm.

      »Hi, iFrank! Was treibst du?«

      »Ach, Raumschiffe abschießen.« iFrank, lebende Legende als Mitbegründer des Clubs Abgestürzte Raumstation, pausierte das Spiel. »Mensch, warst du das vor sechs Monaten?«

      »Er fragt, ob wir das waren«, sagte Silver zu seinem Plüschpapagei.

      »Wüsste er wohl gerne!«, krächzte das Stofftier.

      iFrank verstand. »Komm mit, da hinten sind wir alleine.«

      Sie betraten eine Bastelwerkstatt, in der sich Kabel, Teile von technischem Gerät, Monitore aus jeder Ära, Drähte, Lötkolben, Panzerklebeband, Pattex- und Sauerkrautdosen stapelten. Eine Feuerschutztür verwandelte den Raum in ein perfektes Besprechungszimmer. Vorausgesetzt, man fand irgendwo einen Platz zum Sitzen.

      Silver erzählte ihm von seiner Begegnung der dritten Art im Kellergang.

      »Ach der, vergiss den. Rumpelstilzchen! Ja, das trifft es gut. Ist nur irgend so ein Wichtigtuer. Hat bestimmt extrem bedeutende Funktionen in diesem Club inne, frag mich nicht, welche. So, Tür zu. – Also, warst du das wirklich mit dem Super-DDoS? Also echt, mit einem DDoS, das ist echt so was von zweitausend, Mann! Damit hast du so ziemlich die ganze Top Ten der Internetfirmen abgeschossen? Die führen gerade einen neuen Namen für die Attacke ein, weißt du das? Dafür kommst du ins Hackerpantheon, sag ich dir!«

      »Und in den Knast, wenn’s jemand erfährt«, sagte Silver. »Deswegen: Nein, das waren bestimmt die Chinesen. Oder so.«

      »Frag ihn, Silver«, krächzte Silvers Papagei.

      »Sagemal, bei dem, was ich definitiv nicht gemacht habe, da lief alles toll, so geschmiert wie noch nie – hat einer mir erzählt, klar. Aber ein Ziel, das blieb bis zuletzt grün. Das mit der Nummer dreizehn, lustigerweise.«

      »Und?«

      »Zeigte keinerlei Schwankungen, keine Abwehr. Aber jetzt kommt’s. Heute bekam ich eine Mail …« Während er erzählte, schrieb er Ziffernfolgen auf einen Fetzen Papier. »Hier ist die Adresse von dem obskuren Anonymisierer, über den die Mail lief.«

      »Mach das weg«, ließ er seinen Plüschpapagei krächzen.

      »Eine … Mail? Okay …« iFrank starrte den Zettel an, als wolle er ihn mit den Augen ablasern. Was bei jedem anderen tatsächlich auch der Fall hätte sein können. Aber iFrank lehnte Implantate ab und vertraute seinem Biorechner namens Gehirn.

      »Eingeschärft?«, fragte Silver. iFrank nickte. Daraufhin zerriss Silver die Notiz in winzige Fetzen.

      »Hmhm. Ich guck mal«, versprach iFrank. »Die Angriffsroutinen?«

      »Handbuch, plus unsere verschlüsselten Zusatzsprengköpfe. Du bist der Einzige, der genug darüber weiß, um das beurteilen zu können.«

      iFrank kratzte sich am Bart. »Brauche dann noch ein paar Details. Sehr schräg. Auch dein Erfolg damit … Mensch, sieh dich vor.«

      Als Silver über das regennasse Kopfsteinpflaster heimging, war er unruhig. Erst Nummer dreizehn, dann ein unbekannter Tippgeber. Manche der Adressen in der E-Mail gehörten zu den Machern hinter dem neuen Internetzensurgesetz.

      Damit hatte er allerdings Informationen zu Zielen bekommen, die er sich seit Langem wünschte. Das bedeutete … der Zeitpunkt für einen neuen Angriff war gekommen! Endlich!

      Silver fühlte sich wie ein echter Piratenkapitän, der mit seinem Fahrrad auf seine Kommandobrücke fuhr. Er brauchte keine Vorträge mehr über Freiheit zu halten. Seine digitale Piratenfregatte würde den Weg in die Freiheit freischießen. Natürlich nur gegen die Bösen, wie es sich für einen guten Freibeuter gehörte. Die anderen Adressen hatte der Unbekannte wohl mehr als Beleg für sein Können beigelegt. Als ob es das gebraucht hätte …

      Der Angriff erfolgte mit solcher Effizienz, dass es Silver geradezu umwarf. Anonymous 13 hatte sich nicht mit Adressen begnügt, sondern auch Codeschnipsel gesendet, die von so einfacher und klarer Logik waren, dass er sie nur schlicht genial nennen konnte. Und es sollte nicht die letzte Mail von Anonymous 13 bleiben.

      »Spüre Finger wieder«, hieß es rätselhaft in der nächsten Mail. Und wenig später, als die Musikindustrie einen neuen Medienfilter installieren ließ, unter dem Applaus von Musikern selbst, die sich wohl aus Geltungsbedürfnis vor den Karren spannen ließen: »Ohren taub werden.«

      Dem folgte eine neue Adressliste.

      In den weiteren Mails, die in unregelmäßigen Abständen eintrafen, wurden die Adressen präziser: Sie zirkelten genau jene Institutionen ein, die Silver ohnehin als Primärziele ausgewählt hatte.

      Verborgene Angriffsnetzwerke, für deren Errichtung Silver Monate gebraucht hätte, wuchsen inzwischen im Stundenrhythmus heran. Bei allem wurden Silvers Spuren so gut verwischt, dass die Angreifer in China oder Südamerika vermutet wurden. Zugleich wurden die Angriffe sowohl unauffälliger als auch effektiver.

      Es gab keinen nennenswerten Presserummel mehr, da nicht mehr ganze Rechenzentren ausfielen, sondern nur noch die wichtigsten Teile interner Datenbanken plötzlich verschwanden – oder zur Freude der Netzgemeinde offen im Internet zu kursieren begannen. Nichts also, was Firmen an die große Glocke hängten.

      Wirklich erstaunlich aber war, dass auch die Sprache in den Mails besser wurde, wenn auch nicht minder geheimnisvoll.

      iFrank tat sein Bestes, mehr in Erfahrung zu bringen. Er wirkte beunruhigt.

      »Die Mails lesen sich, als wolle ein Blinder die Welt der Sehenden begreifen«, sagte er einmal. »Tastet herum und versteht immer mehr … aber das Grundlegendste wird er nie begreifen können.«

      Silver war es gleich. Von seiner Brücke aus kontrollierte er das mächtigste digitale Schlachtschiff der Welt, ein geisterhaft unsichtbares obendrein. Worauf er seine Bordkanonen richtete, das ging unweigerlich unter.

      Die Anbieter von Filterprogrammen, die Profiteure vorgeschoben moralischer Copyrightgesetze sowie jene, die er Contentmafia nannte – auch so ein Begriff aus den Nullerjahren –, kamen mit dem Sichern ihrer Daten kaum mehr nach. Aber längst hatte Silver auch in ihren Sicherungskopien digitale Granaten eingebettet. Sie warteten nur noch auf den Explosionsbefehl, und dann verschwanden Terabyte von Daten. Geheimdienste hatte er wohlweislich nicht offen attackiert, um unbemerkt auch dort seine Entertruppen einschleusen zu können.

      Immer wieder ertappte sich Silver dabei, dass er sein Alter Ego ungläubig aufkrächzen ließ. »Da sind Verbindungen möglich, da sollte es eigentlich gar keine geben!»

      Von unzähligen Schutzprogrammen bewachte Leitungen, das Pendant zu spanischen Küstenfestungen mit Dutzenden schwerer Kanonen und tonnenschweren Sperrketten, waren für Silvers Piratenfregatte so leicht passierbar wie die offene See. An sich ausgezeichnet geschützte Intranets wurden von einer einzigen Glühbirne oder einer