ZWEITAUSENDVIERUNDACHTZIG. Gisbert Haefs. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gisbert Haefs
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957659132
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      Ich bin überzeugt, das käme sehr gut an und würde den Glauben an unsere Demokratie bei gewissen Individuen, über deren IQ wir hier nicht weiter diskutieren wollen, enorm stärken und festigen! Und wir möchten doch nichts anderes, als die armen, geistig Minderbemittelten unter uns glücklich zu machen! Ein zufriedener Normalbürger, der sich in seinem Leben nicht groß anstrengen muss und mit fünfzig mit vollen Bezügen in Rente gehen darf, wird kaum auf die Idee kommen, am Bestehen der jetzigen Situation etwas ändern zu wollen. Wobei ich im Übrigen nicht verhehle, dass es mit den vollen Rentenbezügen noch immer nicht recht klappen will. Zeit, dass sich das ändert, damit alle glücklich sind!

      Ich registriere Ihre ungläubigen Mienen, meine lieben Anwesenden! Aber sehen Sie es doch einmal so: Die Kohle für alle verdienen doch sowieso wir Gebildeten – und wir sind ja schon lange so klug, die Deppen fürs Nichtstun zu alimentieren! Das ist uns nämlich die Sache wert, dass sie uns in Ruhe unser Ding durchziehen lassen! Dass unsere Kinder lernen und studieren dürfen, um später ihr erworbenes Wissen und ihre mit Fleiß erarbeiteten Kenntnisse nutzbringend – zusammen mit anderen Gelehrten der Welt – anwenden können!

      Es ist daher nur mehr als gerecht, dass wir, die wir unser Gehirn noch benutzen, auch vornehmlich in den Genuss der Früchte aller geistigen Anstrengungen, unserer Studien, sowie unserer jeweiligen anspruchsvollen Arbeit, gelangen. Aber wir müssen, um Unruhen jeglicher Art zu vermeiden und störungsfrei agieren zu können, auch die schlichten Gemüter ›anständig‹ leben lassen. Glauben Sie mir: Es ist nur zu unserem eigenen Vorteil!«

      Die Mienen der Zuhörer hatten sich längst wieder entspannt. Der Referent hatte ja so recht.

      »Meine Freunde, ich sehe mich in der freudigen Pflicht, Ihnen mitzuteilen, dass berechtigte Hoffnung besteht, doch ziemlich bald die Ernte unserer Anstrengungen genießen zu dürfen – auf dem fernen Planeten ›Epsylon CX-743‹. Noch zu unseren Lebzeiten wird es so weit sein!

      Die gute alte Erde werden wir dann großzügig den verweichlichten, degenerierten und – ich sage es frank und frei – den dann mit Sicherheit halbverblödeten Erdlingen überlassen.

      Wenn diese dann, sobald die Katastrophen über sie hereinbrechen, niemanden mehr haben, der ihnen das Denken abnimmt, werden sie vielleicht erkennen, dass es nicht so verkehrt sein kann, sein Gehirn zu benutzen.

      Etwas, das ihnen allerdings in ihrer Beschränktheit schwerfallen wird. Allein, wenn sie sich in ihrem ungezügelten Vermehrungsdrang etwas beschränken würden, wäre schon viel gewonnen! Aber das, meine Freunde, sollen sie dann unter sich ausmachen, sobald magere Zeiten anbrechen, weil Nahrung und andere wichtige Ressourcen nicht mehr für alle ausreichen werden.

      Es könnte spannend werden, die armen Erdenwürmer von unserer Komfortwarte aus im Auge zu behalten, wie sie sich ohne uns durchschlagen werden: Wie lange das Motto dann noch gelten wird: ›Brot und Spiele für alle!‹

      Aber leider, leider ist das noch für eine ganze Weile Zukunftsmusik. Ich bin jedoch befugt, Sie davon in Kenntnis zu setzen, dass unser Institut unter den ersten drei vergleichbaren Vorzeigeschulen Europas zur besten gekürt worden ist! In der Weltrangliste stehen wir immerhin auf Rang drei nach China und den USA. Endlich ist es uns gelungen, die Russen zu überflügeln!«

      Diese erfreuliche Nachricht löste diskreten Jubel aus. Endlich!

      »Die Amis wollen wir auch noch packen«, verkündete der Redner mit einem gewissen Stolz. »Nur mit den Chinesen wird es sehr schwer werden. Deren Ressourcen an geistigem Potenzial scheinen geradezu unerschöpflich zu sein.

      Außerdem begünstigt die chinesische Staatsform die geistige Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Anders als etwa in Deutschland oder vergleichbaren westlichen Demokratien müssen sie ihre ›Eliteschulen‹ nicht irgendwo in der Pampa regelrecht verstecken, um nicht den Missmut derjenigen zu erregen, die sich gern in ihrem Stumpfsinn suhlen und das auch für ihren Nachwuchs so beibehalten wollen.

      In China wird der Intellektuelle, sofern er sich loyal zum Kommunismus bekennt, gefördert und von jedermann respektiert und sieht sich nicht dem Vorwurf der ›Dummen‹ ausgesetzt, sich einzubilden, ›etwas Besseres zu sein‹ als die geistig dröge Allgemeinheit.

      Wir wissen natürlich, meine lieben Freunde, dass wir in der Tat ›etwas Besseres‹ sind – und zu dieser Art berechtigtem Hochmut stehen wir auch! Aber klug, wie wir sind, und weil wir mit unseren Strukturen zurechtkommen müssen – und nicht mit chinesischen –, halten wir nach wie vor den Ball flach, indem wir uns um ›Volksnähe‹ bemühen.

      Genauso, wie es früher auch der hohe Adel gemacht hat, der sich nur zu ganz wenigen und sehr speziellen Gelegenheiten mit dem ›Volk‹ gemeingemacht hat und dafür umso mehr verehrt und geliebt worden ist – um vieles mehr, als es eine permanente Anbiederei hätte bewirken können.

      Beschließen möchte ich meinen Vortrag mit der Ankündigung, dass wir als Angehörige vom Bundesministerium für Bildung und Erziehung – Gott sei Dank hat man sich teilweise von dem ineffizienten Unding, der sogenannten ›Länderhoheit‹ in Sachen Schule und Bildung verabschiedet – einen kräftigen finanziellen Nachschlag aus einem Sonderfonds erwarten dürfen, gespeist aus Spenden intelligenter, erfolgreicher Männer und Frauen.

      Dieser wird es uns erlauben, unsere Schülerzahl im kommenden Trimester um zwanzig Prozent bei den neu Aufzunehmenden gegenüber den Vorjahren zu erhöhen. Ich plädiere dafür, dabei vermehrt diejenigen jungen Menschen im Auge zu haben, die in ihren jüngeren Jahren als unaufmerksam, uninteressiert und untauglich für eine höhere Bildung angesehen wurden.

      Ich denke da an den Sohn eines unserer Lieferanten; ein ewiges Sorgenkind, der in der Grundschule wegen ›Faulheit‹ gerade mal so mitkam – und später war’s auch nicht besser. Ein Legastheniker war er und mit Rechnen hatte der Junge auch wenig am Hut.

      Seine Eltern, normale Mittelständler, waren am Verzweifeln. Aber siehe da! Kaum war der Knabe sechzehn, legte er ein Lerntempo vor, das einen bloß noch staunen ließ.

      Ich setzte mich damals dafür ein, dass er in unserem Internat Aufnahme fand und da legte er erst richtig los. In Nullkommanichts hatte er alle Versäumnisse aufgeholt und vor vier Jahren hat er seinen Doktor in Biochemie gemacht!

      Manche sehr intelligenten Kinder entwickeln sich langsamer und brauchen etwas länger, um zu ihrer Höchstform aufzulaufen. Diese Jugendlichen behandeln wir meines Erachtens immer noch zu stiefmütterlich und lassen dadurch allzu oft geistiges Potenzial ungenutzt brachliegen.«

      »Hört, hört!«, ertönte es anerkennend und einzelne Zuhörer klatschten.

      »Ach, ja! Der Vollständigkeit halber sehe ich mich dazu gezwungen, Sie darüber zu informieren, dass der Ausstoß an ›Abiturienten‹ bei unseren herkömmlichen höheren Schulen erneut um fünf Prozent gestiegen ist. Etwas, worüber die Kultusminister der einzelnen Länder nach eigener Aussage sehr stolz und glücklich sind und die Allgemeinheit wissen lassen, dass es künftig kaum noch möglich sein wird, eine weitere Steigerung zu vermelden!

      Lassen wir ihnen den Triumph. Bedeutet er in unseren Augen doch nur, dass das Höchstmaß an Inklusion aller – auch der weniger Begabten, sowie der geistig Minderbemittelten – und die damit verbundene Niveauabsenkung fast erreicht sind! Heureka! Die Damen und Herren Dozenten an den Hochschulen und Universitäten werden ihre helle Freude an diesem ›Studentenmaterial‹ haben.

      Aber uns soll das nicht weiter stören und noch weniger beirren! Meine lieben Freunde und Mitstreiter, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit! Morgen widmen wir uns der künftigen Finanzierung des geplanten Anbaus.«

      Seine Ausführungen ernteten donnernden Applaus.

      

      Klaudia Vormann: Lebe deine Gefühle!

      »Hängt ihn auf!«, feuerte die Frauenstimme die Männer an, die einen muskulösen Schwarzen mit zerrissenem Hemd zu einem improvisierten Galgen zerrten. Dort angekommen streiften die Häscher,