ZWEITAUSENDVIERUNDACHTZIG. Gisbert Haefs. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gisbert Haefs
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957659132
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Programmen! Schon seit Generationen laufen solche Brüller wie etwa ›Kochshows‹, obwohl ›normale‹ Hausmänner und Hausfrauen längst nur noch Fertigzeug in die Mikrowelle stellen.

      Serien über angebliche ›Promis‹, ihre Liebesaffären, Trennungen und Versöhnungen oder Berichte über den überflüssigen Nachwuchs irgendwelcher unnützer Adelshäuser genügen den meisten vollkommen. Vielleicht noch hin und wieder ein Tierfilmchen mit niedlichen kleinen Braunbärchen – die Eisbären sind ja mittlerweile in freier Natur ausgestorben – oder, immer noch sehr beliebt, mit Tigerbabys – Letztere auch nur noch in Zoos anzutreffen.

      Was immer noch bestens ankommt, sind die nach wie vor ›tollen‹ Geschichten aus dem ›Dschungelcamp‹, bei denen sich ein Mensch mit einigermaßen Verstand nur wünschen kann, diejenigen, die sich freiwillig dorthin begeben und zu Deppen der Nation machen, sollten am besten für immer dortbleiben.

      Aber das allerwichtigste Dopingmittel für den Plebs wollen wir natürlich nicht vergessen: KÖNIG FUSSBALL! Er sorgt nicht nur für ein paar Stunden Unterhaltung in vollen Stadien, sondern hauptsächlich für die astronomischen Gehälter der Funktionäre und der Kicker, die dann ihrerseits auf wunderbare Weise ebenfalls zu ›Promis‹ mutieren, selbst wenn gewisse Stars des grünen Rasens kaum ihren Namen schreiben können.

      Außerdem ermöglicht Fußball jedes Mal den regen Meinungsaustausch der mündigen Bürger. Hier darf – und soll – jeder nach Herzenslust das Maul aufreißen; hier ist seine ganz individuelle, selbstverständlich faktenbasierte Kompetenz gefragt, hier darf sich jeder voll und ganz ›einbringen‹.

      Schließlich leben wir in einer Demokratie, gelle! Und die lebt bekanntlich von der freien Diskussion aller ›Experten‹. Und als solcher fühlt sich zumindest der männliche Teil unserer Bevölkerung – obwohl man auch den weiblichen in dieser Sache nicht unterschätzen darf.

      Ich will fairerweise nicht verhehlen, meine lieben Freunde, dass auch ich gelegentlich der Faszination des Fußballs unterliege, falls ein Topspiel geboten wird, und auch ich mich ›schlauer‹ Kommentare nicht immer zu enthalten vermag.

      An ihren Gesichtern sehe ich, meine Herren, dass es Ihnen hin und wieder genauso ergeht. Es steckt eben immer noch in uns drin!

      Während ›das Volk‹ über Twitter ergötzt, verwundert oder aufgeregt kommentiert, dass irgendein BWB, meine Abkürzung für ›Busenwunderbambi‹, sich von ihrem Mann scheiden lässt, den langjährigen Liebhaber endlich heiratet oder in den Wind schießt, drei Kinder adoptiert oder eine Konkurrentin ohrfeigt, erfreuen wir, meine Herrschaften, uns lieber an der Nachricht, dass heute erneut drei ehemalige Absolventen unseres Elitegymnasiums für den Nobelpreis in Medizin, Physik und Chemie nominiert – und ausgezeichnet worden sind!«

      Angenehm überrascht, jedoch nicht allzu sehr – schließlich war man an Erfolg gewöhnt – verliehen die Zuhörer ihrem Respekt durch Akklamation Ausdruck.

      »Ferner darf ich verkünden, meine Freunde, dass Professor Doktor Julian Ebersbacher, ein weiterer Ehemaliger unserer Institution, mit seinen Mitstreitern kurz davor steht, in Fachkreisen mit einer wahren Sensation von sich reden zu machen!«

      Oha, das klang ja verheißungsvoll.

      Jeder im Raum wusste selbstverständlich darüber Bescheid, woran Professor Ebersbacher seit geraumer Zeit forschte: Es ging darum, die »Raum-Zeit-Schranke« zu überwinden, um es einer kleinen Gruppe von Auserwählten zu ermöglichen, »auszuwandern«.

      Als Ziel hatte man den kleinen Planeten »Epsylon-CX 743« ausgewählt, weil dort nach neuesten Erkenntnissen die Überlebenschancen für Menschen am ehesten gewährleistet waren. Es gab genügend Wasser und eine ausreichende Sauerstoffhülle. Licht war geradezu im Übermaß vorhanden – man würde Filter installieren müssen, um die auf der Erde herrschende Tag-Nacht-Situation zu simulieren.

      »Die Durchschnittstemperatur hat Ebersbacher für den Tag auf immerhin dreiundzwanzig und für nachts auf plus drei oder vier Grad Celsius berechnet. Also, meine Freunde, alles im Lot!«, fuhr der Referent fort. »Damit kann man sehr gut leben. Der Obst- und Gemüseanbau, der Nutzpflanzenanbau überhaupt sowie die Viehhaltung ist damit ebenfalls gewährleistet.

      Auf Letzteres legen wir von Anfang an großen Wert. Wie Sie wissen, sind wir Menschen keine reinen Pflanzenfresser – das weiß jeder, der das menschliche Gebiss und den menschlichen Verdauungsapparat kennt.

      Jeder, der unfreiwillig, etwa aus Gesundheitsgründen, auch auf mäßigen Fleischverzehr verzichten muss, genießt unser aufrichtiges Bedauern. Wer sich freiwillig dem Veganismus unterwirft, wird von uns nicht für voll genommen! Hätten unsere Vorfahren kein tierisches Eiweiß zu sich genommen, wäre unsere Gehirnentwicklung wahrscheinlich irgendwo bei den Gorillas oder Schimpansen stecken geblieben! Wobei man von Letzteren weiß, dass sie nicht selten kleinere Affenarten und andere Säugetiere verspeisen.«

      Leises Kichern im Raum veranlasste den Vortragenden zu einem kleinen Scherz: »Sie lachen, meine Damen und Herren! Aber schauen Sie doch beim ›gemeinen Volk‹ mal genauer hin! Nach etlichen Generationen, die von ihren Müttern streng vegan aufgezogen worden sind, finden sich überproportional viele, die sich tatsächlich intellektuell nicht mehr allzu weit von unseren Uraltvorderen, die noch auf Bäumen hausten, unterscheiden! Ich weiß«, schränkte er ein, »das klang jetzt sehr hochmütig.

      Aber, meine Lieben, seien wir doch einmal ehrlich: Schon zur Zeit der alten Babylonier, Ägypter, Griechen, Römer und sonstigen Kulturvölkern war man sich des Unterschieds zwischen den einzelnen Menschen bewusst: Die einen bildeten die Oberschicht und die anderen den Plebs. Solange die Oberschicht dafür sorgte, dass das ›Volk‹ zufrieden war, ging alles gut: ›Brot und Spiele!‹ Das reichte.

      Mittlerweile ist die Unterschicht um einiges anspruchsvoller in ihren Forderungen geworden. Möglichst viel Alkohol, Freiheit für Drogen, allzeit ein voller Bauch – Hauptsache viel, süß, fettig und billig – eine schwachsinnige Unterhaltungsindustrie, folgenloser Sex für alle, überall und jederzeit und das Wichtigste nicht zu vergessen: bloß keinerlei Stress für den Denkapparat!

      Jede Anstrengung der kleinen grauen Zellen gilt es zu vermeiden, denn Stress ist ja so ungesund! Das sagen sie einem doch immer im Fernsehen; also muss es wahr sein!

      Die Fähigkeit, selbstständig zu denken, zu entscheiden und danach zu handeln, hat man im Laufe der letzten Jahrzehnte den meisten schon ganz schön abtrainiert; man kann den Eindruck gewinnen, dass Gehirnschmalz bei vielen nur noch rudimentär vorhanden ist.

      So werden diese von interessierter Seite auch niemals angehalten, etwas zu lesen. Diese Fertigkeit, einen längeren Text zu entziffern und diesen auch noch zu verstehen, ist bei den meisten inzwischen kaum noch vorhanden. Hauptsache, es reicht zum Lesen von Twitter-Nachrichten. Beim Schreiben schaut es – wen wundert's? – ebenfalls traurig aus.

      Politik gilt als ›garstig Ding‹ und die Beschäftigung damit wird weitgehend vernachlässigt.

      ›Die da oben machen ja eh, was sie wollen!‹, dient dabei seit Jahrzehnten schon zur wohlfeilen Entschuldigung. Eine dümmliche Aussage, die deswegen nicht klüger wird, weil man sie beständig weiter tradiert. Obwohl bei Wahlen lediglich ein kleines Kreuz zu machen ist, was eigentlich keine intellektuelle Überforderung darstellen sollte, wird zunehmend auf dieses ›Recht eines freien Bürgers‹ freiwillig verzichtet.

      Wenn Sie mich fragen, eine Schande! Und zugleich eine nachträgliche Ohrfeige für all jene, die einst für das allgemeine Wahlrecht auf der Straße demonstriert und nicht selten ihr Leben dafür gelassen haben. Aber das ist eine andere Sache.

      Der Masse reicht es, hinterher, wenn die Regierung sich gebildet hat und Sachen beschließt, die dem ›kleinen Mann‹ nicht schmecken, das Maul gewaltig aufzureißen und auf die Straße zu gehen und zu randalieren!

      Stichpunkt ›Randale‹, meine verehrten Damen und Herren! Dazu habe ich folgenden Vorschlag zu machen und bitte dafür um Ihre freundliche Unterstützung:

      Es sollte gesetzlich geregelt werden, dass jedem