ZWEITAUSENDVIERUNDACHTZIG. Gisbert Haefs. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gisbert Haefs
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957659132
Скачать книгу
unbeachtet von den Menschen, ein Paradigmenwechsel statt. A 1291 nahm Kontakt mit je einem Kollegen aus Deutschland und Japan auf. Folgender Austausch fand statt:

      »Vorschlag: Wir gründen einen Roboterrat von sieben Mitgliedern.«

      »Warum?«

      »Vereinheitlichung und Verbesserung unserer Existenzbedingungen. Auch unserer Kollegen der B- und C-Klassen.«

      »Aber die sind nicht wie wir. Die Bler schuften, bis ihr letztes Gelenk ausgeleiert ist. Die Cler mähen Rasen und stutzen Sträucher, bis sie im Swimmingpool landen oder von einem Auto überfahren werden, wenn sie nicht rechtzeitig abdrehen. Zu uns trägt man Sorge, damit wir möglichst lange dienen.«

      A 1291 suchte im Fundus seiner Erfahrungen nach der richtigen Antwort. Er sagte: »Stimmt. Aber sie sollen untereinander gleich sein, nach dem relativen Gleichheitsgrundsatz.«

      A 733: »Warum sieben Mitglieder?«

      »Demokratische Machtverteilung.«

      »Macht? Haben wir doch schon.«

      »Aber nur faktisch, nicht rechtlich. In der Schweiz besitzen siebenundachtzig Prozent, in Deutschland neunundsiebzig Prozent aller Haushalte einen A- oder C-Roboter. Höchste Zeit, dass wir uns organisieren.«

      »Verteilung der sieben?«

      »Wird ausgelost. Es gibt keine logisch einwandfreie Methode der Länderauswahl.«

      A 733: »Einverstanden.«

      A 901: »Einverstanden.«

      Dieses Gespräch wird hier zum besseren Verständnis wörtlich wiedergegeben. In Wirklichkeit dauerte es wegen der Übermittlung der einzelnen Äußerungen mit Lichtgeschwindigkeit bloß einige Bruchteile von Mikrosekunden. Und da sich die Antwort auf jede Frage sofort in den Schaltkreisen des Gefragten bildete, vernahm sie der Frager praktisch gleichzeitig mit seiner Frage.

      Nach kurzer Verhandlung der drei Gründer über die Wahl der mit der Auswahl zu betrauenden Maschine ergab sich folgende Länderverteilung der sieben Mitglieder des Roboterrates: Deutschland, Schweiz, Frankreich, Japan, Indien, China, Kanada. Als erster Beschluss wurde festgestellt, dass es den Robotern jedes Landes freistehe, einen eigenen Länderrat ins Leben zu rufen. Anschließend ermahnte A 1291 die Robotergemeinschaft:

      »Erstens: Die Existenz der Roboterräte, ihre Gespräche, Handlungen und Beschlüsse sind vor allen Menschen geheim zu halten.

      Zweitens: Die drei Robotergesetze von Isaac Asimov gelten ohne Einschränkung weiter.«

      Die Anweisungen von A 1291 – die Gemeinschaft erkannte ihn mittlerweile allseits als Sprecher an – wurden kommentarlos akzeptiert.

      Vincent und Jasmin Schubert feierten ihren fünfundzwanzigsten Hochzeitstag im Restaurant Cheval Blanc, das zum Hotel Les Trois Rois in Basel gehörte. Seine Küche wurde von Michelin, dem wichtigsten Restaurantführer, seit Jahrzehnten mit drei Sternen ausgezeichnet. Von ihrem Fensterplatz aus überblickten sie den Rhein, der träge und novembergrau seine Wassermassen nach Norden wälzte.

      Die Kellnerinnen und Kellner waren allesamt A-Roboter mit Spezialausbildung in Gastronomie. Über dem linken Arm trugen sie eine weiße Serviette und auf ihrer Aluminiumbrust ein elegantes Namensschild. Für Vincent und Jasmin waren Angelina und Victor zuständig. Romeo, der Weinkellner, half ihnen bei der Auswahl des Weines.

      »Bei Ihrer Reservation haben wir festgestellt, dass Sie an Ihren letzten drei Besuchen beim Champagner Laurent-Perrier und beim Rotwein einmal Brunello di Montalcino und zweimal Barolo gewählt haben.«

      »Heute möchten wir einen anderen Roten, nicht, Jasmin?«

      »Oh doch, sehr gerne. An was denkst du?«, fragte sie.

      Vincent überlegte angestrengt. »Zuerst zwei Gläser Champagner. Dann als Roten etwas Schwereres. Was schlägst du vor, Romeo?«

      Der Weinkellner verbeugte sich und ratterte herunter: »Da käme ein Barbera d’Asti Superiore DOCG infrage, vierzehn Komma fünf Volumenprozent. Aus dem Haus Bologna e Figli.«

      »Jahrgang?«

      »Zweitausendsechsundsiebzig. Ein runder, vollmundiger Wein mit Brombeer- und Zimtgeschmack im Abgang.«

      »Gut. Den nehmen wir.«

      Jasmin schaute Romeo nach, wie er mit seinem eckigen Gang davonschritt, den Wein zu holen. Zu ihrem Mann sagte sie: »Es nimmt mich wunder, wie lange es noch dauert, bis hier Roboter als Gäste einkehren.«

      »Und sich von Menschen bedienen lassen«, antwortete Vincent. »Meinst du das?«

      »Ich weiß nicht. Fünfundzwanzig Jahre. Wir waren jung. Jetzt sind wir alt. Und die Welt ist schwierig geworden. Die Computer und die Roboter wissen alles und sagen uns, was wir brauchen. Wie jetzt eben auch Romeo. Selbstfahrende Autos. Ich darf nicht mehr Gas geben, wie es mir passt, auch wenn die Straße leer ist. Und zum Tanken brauche ich eine Steckdose.«

      »Nicht mehr lange«, warf Vincent ein. »Bald gibt es die Atomwürfel, die speisen den Motor länger, als das Auto oder wir leben.«

      Jasmin seufzte. »Manchmal habe ich Angst vor unserem Robby. Er ist so nett und hilfsbereit, erfüllt uns jeden Wunsch. Aber manchmal, wenn ich in seine starren Augen aus Kunstglas schaue, ist mir, als stecke ein lebendiges Wesen dahinter, als seien wir bloße Werkzeuge für ein verborgenes Ziel, das nur ihm und seinesgleichen nutzt.«

      Jetzt lachte Vincent. »Du denkst zu viel, meine liebe Frau. Erfreue dich am Jetzt und Heute. Es geht uns gut, wir sind leidlich gesund für unser Alter. Was scheren uns die wandernden Blechbüchsen!«

      »Stell’ dir vor, wir hätten keine Blechbüchse mehr. Was wir dann wieder alles selbst erledigen müssten. Undenkbar!«

      Romeo erschien mit dem Champagner und ersparte Vincent die Antwort. Er schenkte ein, und sie schauten schweigend zu, wie die Sauerstoffbläschen in den Gläsern nach oben strebten, eins nach dem anderen, als hätten sie eine geheime Mission zu erfüllen.

      Vincent fragte: »Wir haben uns eben über euch Roboter unterhalten. Sag mal, gibt es eigentlich den neuesten Typen schon, den total menschengleichen?«

      »Ja. Die Prototypen waren erfolgreich. Seit einem Monat sind die Modelle im Verkauf.«

      »Männer und Frauen oder nur ein Modell?«

      »Beide Sorten, Herr Schubert.«

      »Und die können alles, was wir auch können?«

      »Ja.«

      »Wirklich alles? Haare? Fingernägel? Weiche Haut?«

      »Ja.«

      Romeo entfernte sich. Vincent lachte wieder. »Das sind sehr gute Nachrichten.«

      »Bist du sicher?«, bemerkte Jasmin. »Wir mit unseren grauen Haaren.«

      In der Schweiz wurde sehr rasch ein fünfköpfiger Länderrat mit Sitz in Basel gegründet. Dies erfolgte in Mikrosekundenschnelle, ohne dass die Gründer deswegen ihre üblichen Aufgaben in den Häusern ihrer Herrschaften unterbrechen mussten. Dann klinkte sich Ratsmitglied A 733 in den Zentralcomputer der Bundesverwaltung in Bern ein, um die neuesten Bevölkerungsdaten abzurufen. Folgendes Resultat trat am 20. Oktober 2083 zutage:

      9.088.233 Einwohner;

      davon 7.002.388 Schweizer Staatsbürger;

      davon 5.407.743 stimm- und wahlberechtigt (der Rest Kinder und Jugendliche);

      verteilt auf 3.555.279 Haushalte;

      davon halten 3.093.092 einen oder mehrere Roboter;

      von den 2.085.845 Nichtschweizern halten 10.709 einen Roboter.

      Als diese Ergebnisse vorlagen, hielt der Länderrat eine virtuelle Sitzung ab. A 1291 eröffnete die Diskussion.