Die Lage des Thalamus ist eigentlich recht einfach zu verstehen. In Abb. 2.8 blicken Sie in den rechten Teil des dritten Ventrikels hinein. Die seitliche Wand des dritten Ventrikels wird im Wesentlichen vom Thalamus gebildet. Sie blicken demnach auf die mediale Wand des rechten Thalamus. Vergleichen Sie hierzu auch Abb. 2.1. Suchen Sie dort den Thalamus als auch den dritten Ventrikel und verdeutlichen Sie sich deren Lage zueinander.
Dem Diencephalon schließt sich schlussendlich das obere Ende des Zentralnervensystems an, das Großhirn (Cerebrum) oder Endhirn (Telencephalon). Alle Anteile des Gehirns in Abbildung 2.6 oberhalb des Diencephalons werden also dem Telencephalon zugerechnet. Diesen „Endteil“ des Zentralnervensystems haben wir bereits in der apikalen Ansicht als zerklüftete Landschaft mit Erhebungen (Gyri) und Einsenkungen (Sulci) kennengelernt. Beim Großhirn handelt es sich zweifelsohne um den spannendsten Teil des Zentralnervensystems und noch immer sind nicht all seine Funktionen, vor allem beim Menschen, vollständig geklärt. Es ist verantwortlich für viele Denk- und Handlungsprozesse, die den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet. Das Großhirn ist durch den bereits erwähnten Interhemisphärenspalt (Fissura longitudinalis cerebri) in zwei Halbkugeln (Hemisphären) getrennt. Die Hemisphären können nach ihrer Lage in der knöchernen Schädelkalotte nochmals in je vier Lappen gegliedert werden (Abb. 2.9).
Da nicht alle Lappen des Großhirns in der medio-sagittalen Ansicht gut zu erkennen sind, ist in Abb. 2.9 zusätzlich noch eine schematische Ansicht von lateral gezeigt. Vorne liegt der Frontallappen (Lobus frontalis; gelb), dem sich von hinten der Parietallappen (Lobus parietalis; rot) anlagert. Gegenüber dem Frontallappen befindet sich der Okzipitallappen (Lobus occipitalis; blau). In der medio-sagittalen Sicht ist ein weiterer Lappen, der Temporallappen (Lobus temporalis; grün) nur teilweise zu sehen, er soll aber hier schon einmal erwähnt werden. Gleich oberhalb des Corpus callosum befindet sich der sogenannte Gyrus cinguli (Gürtelwindung; grau in Abb. 2.9) der von manchen Autoren als eigenständiger Lappen geführt wird. Er beeinflusst die Aufmerksamkeit und Konzentration, verarbeitet Schmerzen und reguliert Affekte. Ist er geschädigt, mangelt es den Patienten unter anderem an Antrieb: Sie erscheinen emotional abgestumpft und bewegen sich wenig.
Die vier Lappen des Großhirns in medio-sagittaler und lateraler Ansicht
gelb: Lobus frontalis
rot: Lobus parietalis
blau: Lobus occipitalis
grün: Lobus temporalis
1Gyrus cinguli
2Sulcus parietooccipitalis
3Cuneus
4Sulcus calcarinus
5Gyrus praecentralis
6Gyrus postcentralis
7Sitz des motorischen Sprachzentrums; Broca-Zentrum
8Sitz des sensorischen Sprachzentrums; Wernicke-Zentrum
Die verschiedenen Gyri des Großhirns können, wie gerade exemplarisch für den Gyrus cinguli gezeigt, verschiedenen Funktionen zugeordnet werden. Die genauen Namen dieser Gyri sowie deren Funktion werden in den Kapiteln 11 und 12 über das motorische bzw. sensible System behandelt. Ein allgemeiner Überblick soll jedoch jetzt schon gegeben werden.
Lobus frontalis – der Frontallappen
Im Frontallappen liegen zum einen wichtige Zentren für höhere geistige Funktionen des Menschen, zum anderen auch motorische Areale. Manche bezeichnen den vorderen Anteil des Lobus frontalis als den Regisseur des Zentralnervensystems, als Träger unserer Kultur und überhäufen ihn mit weiteren Superlativen. Und tatsächlich, obwohl große Bereiche des Frontallappens motorische Aufgaben haben, wird dessen vorderster Bereich, der präfrontale Kortex, immer wieder im Zusammenhang mit Aufmerksamkeit, Nachdenken, Entscheidung und Planung genannt. Außerdem gilt er als Sitz der Persönlichkeit. Diese intellektuellen Funktionen des Frontallappens finden sich vor allem in Richtung Stirn. Die Bedeutung des Frontallappens für die Bildung der Persönlichkeit wird eindrucksvoll durch das Schicksal des Phineas Gage demonstriert.
Der 25-jährige Vorarbeiter Phineas Gage ist ein Routinier in Sprengungen. Die Bohrlöcher entlang der geplanten Eisenbahntrasse im US-Bundesstaat Vermont füllt er mit Schießpulver und verschließt sie danach mit Sand, welchen er mithilfe eines sieben Kilo schweren und drei Zentimeter dicken Eisenstocks feststampft. Eigentlich kann nichts schiefgehen. Am 13. September 1848 aber vergisst Gage den Sand und schlägt mit seinem „Ladestock“ direkt auf das Pulver. Er schrappt am Stein vorbei; Funken sprühen und die Explosion treibt die Stange komplett durch Gages Kopf. Die über einen Meter lange Stange tritt in der Höhe des Auges durch den Wangenknochen ein und tritt schlussendlich am Hinterkopf wieder heraus. Eigentlich müsste Gage tot sein, doch er ist nur kurz bewusstlos. Dann steht er eigenständig auf und fährt mit einem Ochsenkarren in seine Unterkunft. „Doktor, hier gibt es ordentlich was zu tun für Sie“, begrüßt er den herbeigeeilten Arzt John D. Harlow.
Dr. Harlow leistet ausgezeichnete Arbeit. Trotz der offenen Verletzung in Schädel und Gehirn überlebt Gage den unglücklichen Unfall. Äußerlich fehlt ihm fortan nur ein Auge, aber sein Verhalten verändert sich schlagartig. Zwar spricht er weiterhin normal und erinnert sich an alles, was mit ihm passiert ist. Auch sein Intellekt scheint unverändert. Als Vorarbeiter, der er war, ist er jedoch nach dem Unfall nicht mehr einsetzbar. Der einstmals zuverlässige Mann kann sein Leben nicht mehr organisieren. Und seine ehemals höfliche und freundliche Art ist blankem Jähzorn und Respektlosigkeit gewichen. Durch seine merkwürdige Persönlichkeitsveränderung wird Gage zu einem Anschauungsobjekt der relativ neuen Hirnforschung. Sein Retter John D. Harlow macht 1868 die Verletzung des Frontalhirns dafür verantwortlich: „Die Eisenstange zerstörte die Regionen von Mitgefühl und Autoritätsgefühl, nun beherrschen animalische Leidenschaften seinen Charakter“, urteilt der Arzt – eine gewagte These in einer Gesellschaft, nach deren Glauben jeder Mensch von Gott auf die ihm einzigartige Art und Weise