Meine Hoffnung, ich hätte die Die-bin enttarnt, verpuffte wie eine Sei-fenblase. Nur eine winzige Möglich-keit blieb.
»Aber sie hat einen Schlüssel, oder?«
»Sicher. Meist putzt sie ja frühmorgens, bevor ich aufmache. Oder nach Ladenschluss.«
Ich klammerte mich daran fest. Gleich darauf fielen mir sogar noch mehr Leute ein, die einen Schlüssel zu Karens Räumlichkeiten besaßen. »Was ist mit deiner Mutter, die hat auch einen, oder?«
»Ja, klar. Für den Notfall.«
»Und dein Exfreund, Tom! Was ist mit dem, hat der dir seinen Schlüssel inzwischen zurückgegeben?«
»Nein.« Sie schnaubte. Von Tom hatte sie sich vor einiger Zeit im Streit getrennt. Er war in seinem BMW davongerast und ignorierte ihre An-
rufe seitdem. »Wahrscheinlich müsste ich erst einen Anwalt einschalten, ehe der Sturkopf reagiert.«
Also könnte es theoretisch auch Tom gewesen sein, der Karen eins auswischen wollte. Zwar verdiente er genug und hatte es gewiss nicht nötig, sie zu bestehlen, aber vielleicht wollte er sie damit ja nur ärgern?
Sie runzelte die Stirn. »Kannst du dir ernsthaft vorstellen, dass Tom hier eindringt, um heimlich irgendwelche Accessoires mitgehen zu lassen? Das ist doch lächerlich.«
Zum Lachen war mir ganz und gar nicht zumute. Und die Vorstellung, dass Karens Exfreund sie beklaute, fand ich keineswegs abwegiger, als mich zu verdächtigen. Von mir konnte ich wenigstens mit Gewissheit behaupten, dass ich unschuldig war.
Das nützte mir nur nichts, solange Karen mir nicht glaubte. Leider deutete im Moment ja auch vieles auf mich hin, und mir fiel nichts ein, womit ich den bösen Verdacht entkräften konnte. Es war zum Verrücktwerden! Ich konnte nur hoffen, dass ich bald Gelegenheit bekam, Karen meine Unschuld zu beweisen…
*
Doch stattdessen wurde alles noch schlimmer. In der folgenden Woche musste ich eiligst einen Termin bei Karen einschieben, weil eine Kundin überraschend schwanger geworden war und das Paar beschlossen hatte, die Hochzeit vorzuziehen. Das bedeutete für mich viel Rennerei und zahlreiche Telefo-nate, um alles umzuplanen. Abgehetzt kam ich ein paar Minuten zu spät zur Anprobe, was mir einen pikierten Blick der Brautmutter eintrug, die ihre heillos aufgeregte Tochter begleitete. Karen musste sich zeitgleich um andere Kundinnen kümmern.
Von hinten ertönten Staubsauger-geräusche, und ich ahnte, dass Karen restlos bedient war, weil ihre Putzkraft ausgerechnet jetzt aktiv wurde, da im Laden Hochbetrieb herrschte. Zum Glück zog die junge Frau bald darauf ab. Ich warf ihr einen raschen Blick zu, als sie sich verabschiedete. Wie eine Diebin sah sie eigentlich nicht aus, und wegen der Hitze trug sie nur ein kurzes Kleid, keine Jacke, sie hätte also gar kein Diebesgut verstecken oder davontragen können.
»Hallo, hören Sie mir zu?«, nörgelte die Brautmutter. Sie war mit nichts zufrieden, was ihrer Tochter gefiel. »Haben Sie nicht etwas Schlichteres, das besser kaschiert?«
Hilfesuchend blickte ich zu Karen, aber die war immer noch beschäftigt.
»Jessica!«, rief sie und scheuchte ihre mittlerweile 16-jährige Tochter in meine Richtung. Jessica besserte hin und wieder ihr Taschengeld damit auf, dass sie bei Karen im Laden jobbte. Ich war dankbar für ihre Unterstützung, weil sie sich besser auskannte als ich und meine anspruchsvolle Kundin so nicht warten musste.
Mit dem, was anschließend passierte, hätte ich jedenfalls nie gerechnet. Denn etwa eine Stunde später, als die Braut sich endlich für ein sündhaft teures Kleid entschieden hatte und ich aufatmend meine Schläfen massierte, stieß die Brautmutter neben mir plötzlich einen schrillen Schrei aus.
»Mein Portemonnaie!« Sie kramte wild in der Tasche herum. »Da waren fünfhundert Euro Bargeld drin. Die habe ich vorhin erst von der Bank geholt, weil wir noch Einkäufe erledigen wollten. Jetzt ist das Geld weg!«
»Was?« Ich fuhr herum.
»Gestohlen! Direkt aus meiner Handtasche!« Sie veranstaltete einen Riesenwirbel und ignorierte meine panische Bitte, doch noch einmal gründlich nachzusehen. »Da gibt es nichts nachzusehen. Es ist verschwunden! Unglaublich, dass ich hier be-
stohlen werde, während meine Tochter in der Kabine ein Kleid anprobiert.« Sie überhäufte Karen, die entsetzt herbeieilte, mit heftigen Vorwürfen. »Gibt es hier keine Kamera?«
Der lange Disput zwischen den beiden endete damit, dass die Frau empört aus dem Laden rauschte, um Anzeige bei der Polizei zu erstatten. Karen hatte kein Mittel gefunden, sie zu beschwichtigen. Die schwangere Braut schluchzte, als sie ihr folgte. Zweifellos würde sie ihr Brautkleid woanders kaufen und möglicherweise auch auf meine sonstigen Dienste verzichten. Was für ein Schlamassel!
Ich begriff nicht, wie das passieren konnte. Quasi vor meinen Augen war Geld gestohlen worden. Die Putzfrau war doch längst weg. Und war sie zuvor überhaupt in die Nähe der Kundin gekommen? Ich wusste es nicht. Ich wusste überhaupt nichts mehr.
Wortlos starrte ich Karen an.
Sie kniff die Lippen zusammen.
»Okay, Julia«, sagte sie eisig. »Mir reicht es jetzt. Keine Ahnung, was du da abziehst und warum, aber ich lasse mir nicht mein Geschäft ruinieren. Du hast ab sofort hier Hausverbot. Klar?«
Ich war unfähig, etwas zu erwidern. Vielleicht hätte ich ihr vorschlagen sollen, mich zu durchsuchen; ich wusste ja, dass sie das geklaute Geld bei mir nicht finden würde. Aber ich war dermaßen niedergeschmettert von der peinlichen Situation, dass ich überhaupt nicht reagieren konnte. Wie ein geprügelter Hund schlich ich aus dem Laden.
Dass mein Wagen im Parkverbot stand und in der Zwischenzeit ein Knöllchen kassiert hatte, war nur das Tüpfelchen auf dem i. Schluchzend hing ich über dem Steuer und sah bereits alles, was ich mir in den letzten Jahren aufgebaut hatte, den Bach runtergehen. Ohne die Kooperation mit Karen fehlte mir eine wichtige Geschäftspartnerin. Vielleicht würde sich bald herumsprechen, dass sie mir Hausverbot erteilt hatte. Wie stand ich dann da in der Öffentlichkeit? Wer würde die Dienste meiner Agentur noch in Anspruch nehmen wollen? Diese Diebstähle gefährdeten nicht nur meinen Ruf, sondern meine gesamte Existenz.
»Nein!« Ich boxte voller Verzweif-lung gegen das Lenkrad. »Das lasse ich nicht zu!«
Wild entschlossen, dagegen anzukämpfen, fuhr ich nach Hause.
*
Es war nicht leicht, Karen davon zu überzeugen, mir noch eine Chance zu geben. Aber ich ließ nicht locker. Wenn es mir nicht gelang, sie dazu zu bringen, dem wahren Täter eine Falle zu stellen, stand ich beruflich vor dem Aus. Und die Freundschaft zu ihr, die mir immer wichtig gewesen war, konnte ich gleich mitbegraben.
»Hör mir zu«, beschwor ich sie eindringlich am Telefon. »Ich weiß, dass ich es nicht war. Vielleicht war es ja doch die Putzfrau oder eine der anderen Kundinnen, die gleichzeitig im Laden waren. Und das bedeutet, dass die Diebin irgendwann wieder zu-
schlagen kann. Willst du einfach darauf warten und nichts tun?«
Schweigen am anderen Ende. Dann ein Räuspern.
»Was schlägst du vor?«
»Die Idee mit der Überwachungs-kamera fand ich nicht schlecht«, sagte ich.
Karen lehnte ab.
»Dann muss ich entsprechende Hinweisschilder im Laden anbringen, aus datenschutzrechtlichen Gründen. Das passt doch nicht zu meinem antiken Mobiliar. Außerdem wäre jeder Dieb damit ja gewarnt. Glaubst du, jemand stiehlt weiter, wenn klar ist, dass er dabei gefilmt wird?«
Nein, so dumm würde niemand sein. Eine Kamera würde Karen vielleicht vor weiteren Diebstählen be-
wahren, aber meine Unschuld nicht beweisen. Vor allem das war mir aber wichtig.