Aggression in der Pflege. Theo Kienzle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theo Kienzle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Медицина
Год издания: 0
isbn: 9783170359185
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      Herr. L würde sehr gerne mal wieder ein Stück seines Lieblingskuchens essen. Seine Tochter bringt ihm am Sonntag ein Stück mit. Während er den Kuchen isst, fragt er seine Tochter, ob sie das Rezept verändert habe.

Sachebene:Der Kuchen schmeckt anders als gewohnt.
Selbstaussage:Herr L. hat eine geschmackliche Veränderung festgestellt und der Kuchen schmeckt ihm nicht.
Beziehungsebene:Herr L. und seine Tochter haben ein gutes Verhältnis. Deshalb beichtet er ihr, dass ihm der Kuchen nicht schmeckt.
Appell:Bitte backe den Kuchen wieder nach dem alten Rezept.

      4 Sonstige Erklärungsmodelle

      4.1 Körperliche Faktoren

      Neben den wissenschaftlichen Theorien und Missverständnissen bei der Kommunikation können auch körperliche Grunderkrankungen für ein gesteigertes aggressives Verhalten verantwortlich sein. Psychomotorische Erregungszustände sind gekennzeichnet durch wachsende Unruhe, bedrohendes Verhalten, Ängste und Gewaltbereitschaft. Ausgelöst werden sie u. a. durch Alkohol- und Drogenmissbrauch oder bei demenziellen Erkrankungen.

      Steinert & Berk (Steinert & Bergk 2008) haben in ihrer Studie untersucht, bei welchen Krankheitsbildern psychomotorische Erregung, in welcher Häufigkeit, auftritt:

      Besonders häufig ist sie zu beobachten bei:

      • Alkoholintoxikation (evtl. in Verbindung mit einer Persönlichkeitsstörung)

      • akuten Psychosen (Schizophrenie, Manie)

      • psychoreaktiven Erregungszuständen (z. B. familiäre Konfliktsituation,

      • gelegentlich mit begleitender depressiver Störung)

      • Intoxikationen mit stimulierenden Drogen (z. B. Kokain, Amphetamin,

      • Ecstasy, häufig Mischintoxikation bei Polytoxikomanie)

      Weniger oft ist sie zu beobachten bei:

      • postkonvulsivem Dämmerzustand bei Epilepsie

      • akuter Belastungsreaktion nach psychischem Trauma (z. B. Autounfall, Brand, Verlust nahestehender Angehöriger)

      • geistiger Behinderung mit rezidivierenden, gleichartig verlaufenden Erregungszuständen

      • sogenannten »Primitivreaktionen« als »Kurzschlusshandlung« bei intelligenzgeminderten, einfach strukturierten Personen

      • Demenz

      • Entzugssyndrom/Delir

      • einem unmittelbar vorangegangenem Schädel-Hirn-Trauma

      • Organischen Persönlichkeitsstörungen (»hirnorganische Wesensänderung«)

      Seltener bei:

      • Akuten Gehirnerkrankung, z. B. Subarachnoidalblutung, Enzephalitis (neurologische Symptome können zunächst fehlen!)

      • metabolischer Störung (z. B. Hypoglykämie, Nieren-/Leberinsuffizienz)

      • sonstiger Gehirnerkrankung (Tumor, Gefäßprozess)

      • pathologischem Rausch (abnorme Reaktion mit extremer Persönlichkeitsveränderung und aggressiven Durchbrüchen bei geringen Mengen von Alkohol)

Images

      Psychomotorische Erregungszustände sind auf jeden Fall als psychiatrischer Notfall zu behandeln.

      Laut einer Veröffentlichung des Bundesministeriums für Gesundheit (Gesundheit 2019) rauchen in Deutschland 14,7 Millionen Menschen, 1,8 Millionen Menschen sind alkoholabhängig und Schätzungen legen nahe, dass 2,3 Millionen Menschen von Medikamenten abhängig sind (hauptsächlich von Benzodiazepinen).

      Substanzmittelkonsum im Alter kann verschiedene Gründe haben:

      • Gewohnheit/Langeweile

      • Fehlende Sozialkontakte (Einsamkeit)

      • Kein geregelter Tagesablauf

      • Geringe Rente

      • Depressionen

      • Ängste (Abhängigkeit, Verlust der Selbständigkeit, Sterben)

      • Andere Erkrankungen

      • Schlaflosigkeit

      Risiken, die eine Abhängigkeit mit sich bringen:

      • Erhöhte Unfallgefahr

      • Rückzug aus dem sozialen Leben

      • Verlust der Selbständigkeit durch direkte Folgen der Abhängigkeit

      Um eine mögliche Abhängigkeit frühzeitig zu erkennen, sollten Pfleger und Angehörige auf folgende Hinweise achten:

      • Atem riecht nach Alkohol

      • Fehlender Antrieb

      • Massive Stimmungsschwankungen

      • Vernachlässigung der Person selbst (Aussehen, Körperpflege) und des Haushaltes

      • Entzugserscheinungen (zittern, innere Unruhe)

      • vermehrte Unfälle/Stürze

      • Medikamente/Alkohol werden gehortet

      Bei einem Verdacht auf Abhängigkeit, sollten Sie das Geschehen gründlich dokumentieren und andere Mitarbeiter sensibilisieren. Sprechen Sie mit dem Betroffenen und dessen Angehörigen über die Risiken und Folgen, die eine Abhängigkeit mit sich bringt. Zusätzlich sollte der Hausarzt zur Abklärung hinzugezogen werden (Achtung Schweigepflichtentbindung nötig!) oder schlagen Sie den Kontakt mit einer Beratungsstelle für Abhängige vor. Auch Angehörige können sich dort beraten lassen.

      Beispiel

      Den Mitarbeitern des ambulanten Pflegedienstes fällt schon seit geraumer Zeit auf, dass Frau M. öfter stürzt und ihr allgemeines Erscheinungsbild immer schlechter wird. Bei der morgendlichen Blutdruckmessung roch Frau M. nach Alkohol. Der Fall wird im Team besprochen. Der Hausarzt und die Tochter von Frau M. werden hinzugezogen.

      Gerade für nahe Bezugspersonen ist eine Beratung und Unterstützung wichtig. Oft besteht die Gefahr einer Co-Abhängigkeit. Durch Handlungen oder Unterlassungen der Bezugsperson wird die Sucht gefördert oder nach Außen versteckt.

      Verschiedene Medikamente können, auch bei korrekter Dosierung, Aggressivität steigern oder erzeugen (Wesuls 2005)

      • Aktivierende Antidepressiva: Anafranil®, Gamonil®, Pertofran®, Imipramin, Noveril®, Vivilan®

      • Schilddrüsenhormone: Levothyroxin, Eferox®, Euthyrox®, Thevier®

      • Antiepileptika und Barbiturate: Luminal®, Liskantin®, Phenytoine, Epanutin®

      • Parkinsonmittel: Levodopa, Dopaflex®, kirim®, Pravidel®

      • Koffein: Alacetan, Coffetylin®, Doppel-Spalt®, Neuralgin®, Octadon®, Togal®

      • Benzodiazepin-Tranquilizer: Adumbran®, Diazepam, Praxiten®

      • Benzodiazepin-Schlafmittel: Rohypnol®, Mogadan®, Remastan®