70 7 Schutzpflicht gegenüber Dritten
71 Literatur
Abkürzungsverzeichnis
ArbSchG | Arbeitsschutzgesetz |
BAG | Bundesarbeitsgericht |
BAT | Bundesangestelltentarifvertrag |
BGB | Bürgerliches Gesetzbuch |
BGH | Bundesgerichtshof |
BVerfG | Bundesverfassungsgericht |
LAG | Landesarbeitsgericht |
MuSchG | Mutterschutzgesetz |
MuSchArbV | Verordnung zum Schutz Schwangerer |
NJW | Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) |
Rdn. | Randnummer |
SGB | Sozialgesetzbuch |
StGB | Strafgesetzbuch |
u. U. | unter Umständen |
VO | Verordnung |
WBVG | Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz |
WPM | Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) |
1 Einführung
Im alltäglichen Sprachgebrauch werden die Begriffe Aggression und Gewalt oft synonym verwendet. Bei einer genaueren Betrachtung merkt man schnell, dass es sich um sehr vielschichtige Phänomene handelt, die in den unterschiedlichsten Formen und in allen Bereichen unseres Lebens auftreten können. Gerade im Bereich der Pflege unterliegt das Thema »Gewalt« häufig einem großen Tabu. Aggressive Verhaltensweisen können sich nicht nur zwischen dem Pflegenden und dem zu Pflegenden entwickeln, sondern sie können sich zwischen allen, an dem »System Pflege« beteiligten Personen, bilden. Die jeweilige Reaktion auf das Verhalten des Anderen beeinflusst das Verhalten aller an der Pflege beteiligten Personen. So entstehen Muster in unserem zwischenmenschlichen Verhalten, die mehr oder weniger starr sind, kopiert werden oder zu festgefahrenen Verhaltensweisen führen.
Beispiel
Pfleger A streitet sich lautstark mit Pfleger B im Aufenthaltsraum des Pflegeheimes, da er dessen Schicht nicht übernehmen will. Es fallen wüste Beschimpfungen und Drohungen. Frau S. und Frau L., Bewohnerinnen des Pflegeheimes und Zeugen der Auseinandersetzung, geraten einen Tag später in Streit. Beeinflusst durch das Verhalten der beiden Pfleger gestern, beschimpft und bedroht Frau S., genervt von den ständigen Hilferufen von Frau L., diese, und gibt ihr dann eine Ohrfeige.
1.1 Aggression und Gewalt
»Aggressivität umfasst das Spektrum von leichter Gereiztheit, Verbalaggressivität, Gewalt gegen Gegenstände, Autoaggression, Tätlichkeit und körperliche Gewaltanwendung bis hin zu unkontrolliertem Toben …« (Pajonk 2001, S. 206)
Laut Steinert (Steinert T., 1995) liegt aggressives Verhalten dann vor, wenn sich eine Person bedroht, angegriffen oder verletzt fühlt.
Dollard et al. (Dollard et al. 1939, S. 19) definierten Aggression »als eine Handlung, deren Zielreaktion die Verletzung eines Organismus (oder Organismus-Ersatzes) ist«.
Eine Aggression kann offen (körperlich, verbal) oder verdeckt (phantasiert), sie kann positiv (von der Kultur gebilligt) oder negativ (missbilligt) sein (Selg 1997).
Definition Aggression
Vereinfacht betrachtet spricht man von Aggression bei der Durchführung schädlicher Handlungen (Kratzen, Beißen, Verweigerung von Pflegemaßnahmen, Beleidigungen, Bedrohungen, unangemessene Berührungen …) gegenüber sich selbst, gegenüber anderen oder gegenüber Dingen.
Laut der World Health Organisation (WHO 2002) unterliegt der Begriff Gewalt neben kulturellen Einflüssen, unterschiedlichen Wertvorstellungen und gesellschaftlichen Normen auch subjektiven Ansichten. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte definiert die WHO den Begriff Gewalt folgendermaßen:
Definition Gewalt
»Der absichtliche Gebrauch von angedrohtem oder tatsächlichem körperlichen Zwang oder physischer Macht gegen die eigene oder eine andere Person, gegen eine Gruppe oder Gemeinschaft, der entweder konkret oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden, Fehlentwicklung oder Deprivation führt.«
1.2 Formen von Gewalt im Pflegebereich
Gewalt entsteht durch das Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Faktoren, die sich gegenseitig beeinflussen. So hat Gewalt am Arbeitsplatz viele Facetten und beinhaltet neben Beleidigungen und Beschimpfungen auch sexuelle Belästigung, Nötigung, Körperverletzung, Rassendiskriminierung und Sachbeschädigung. (Eckert 2014).
Auf der anderen Seite hat eine Befragung von Pflegekräften aus dem ambulanten Bereich ergeben (Rabold 2007), dass ca. 39,7 % der Befragten innerhalb der letzten 12 Monate mindestens eine Form problematischen Verhaltens gegenüber Pflegebedürftigen erlebten. Verbale Aggression und Formen psychischer Misshandlung wurden von 21,4 % der Befragten beobachtet. 18,8 % sprachen von pflegerischer Vernachlässigung, 8,5 % von körperlicher Gewaltanwendung.
Finanzielle Ausbeutung, Medikamentenmissbrauch und Einschränkung des freien Willens/Freiheitsentzug sind weitere Formen der Gewalt im Pflegebereich.
2 Wissenschaftliche Erklärungsansätze zur Entstehung von Aggression und Gewalt
Um präventiv gegen die Entstehung von Aggression und Gewalt im Pflegebereich vorgehen zu können, muss man zuerst verstehen, welche Auslöser dafür verantwortlich sind.
In der Aggressionsforschung gibt es drei große Theorien, die sich mit der Entstehung von Aggression und Gewalt beschäftigen.
2.1 Triebtheorien nach Sigmund Freud und Konrad Lorenz
Sowohl Freud als auch Lorenz gingen davon aus, dass Aggression ein angeborener Trieb ist, der sich in jedem Wesen aufstauen kann und spontan und unkontrolliert entladen wird. Triebe dienen der Lebens-, Art- und Selbsterhaltung.
Sigmund Freud erfasste in seiner Triebtheorie (Freud 1905/1961) Kräfte, die das psychische Geschehen bestimmen, um der Selbsterhaltung zu dienen. Diese äußern sich in körperlicher Anspannung. Die Aggression staut sich auf, um sich dann spontan und unkontrolliert zu entladen. Er betrachtet Aggression als Teil des lebenszerstörenden Todestriebes (Thanatos), der in jedem Menschen wohnt. Dem gegenüber steht der lebenserhaltende Trieb (Eros). Ziel der Triebimpulse ist es, unlustvolle Reizzustände zu beenden.
Konrad Lorenz betrachtet Aggression als Instinkt. Ausgehend von Tierbeobachtungen entwickelte Lorenz das psychohydraulische Energiemodell (Lorenz 1937). Aggression staut sich an und strebt ständig nach außen. Folgt ein auslösender Reiz führt dieser zu aggressiven Verhaltensweisen. Je stärker der Reiz oder die Motivation ist, desto stärker fällt die Reaktion aus. Ein sehr starker Reiz kann auch bei fehlender Motivation eine Reaktion auslösen und umgekehrt.
Beispiel
Herr G. war lebenslang begeisterter Marathonläufer. Das Laufen half ihm Stress und Ärger abzubauen. Nach einem Schlaganfall ist Herr G. halbseitig gelähmt und auf Hilfe angewiesen. Sein Hobby kann