Aggression in der Pflege. Theo Kienzle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Theo Kienzle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Медицина
Год издания: 0
isbn: 9783170359185
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      Die Frustrations-Aggressions-Hypothese (Dollard 1939) besagt, dass Aggression immer ein Resultat von Frustration ist. Je größer die Frustration, desto größer die Aggression (proportionale Entwicklung). Möchte eine Person ein Ziel erreichen, und wird ihr dabei durch äußere Einflüsse ein Hindernis in den Weg gestellt, verändert die Frustration darüber den Erregungszustand der Person und es kommt zu körperlicher Anspannung. Aggression kann sie wieder zum Normalzustand zurückführen und als Erleichterung angesehen werden. Diese Hypothese wurde von Miller (Miller 1941) weiterentwickelt. Er geht davon aus, dass Frustration lediglich als Anreiz für Aggression dient. Die individuelle Frustrationstoleranz muss berücksichtigt werden. Unterbindet man die Ausübung der Aggression kommt es zu einer Verschiebung der Aggression auf andere Personen oder Dinge.

      Beispiel

      Frau M. strickte früher leidenschaftlich gerne Socken. Für ihre Enkelin möchte sie gerne ein Paar Socken herstellen. Da sie ihre Finger wegen einer Gichterkrankung kaum noch bewegen kann, ist es ihr nicht möglich zu stricken. Stark frustriert fängt sie an, das Strickzeug auf den Tisch zu hauen. Die Pflegerin Frau O. nimmt es ihr aus der Hand. Wütend fegt Frau M. das volle Wasserglas vom Tisch.

      2.3.1 Modelllernen, soziales Lernen oder Lernen durch Beobachtung

      A. Bandura (Bandura 1976) geht davon aus, dass aggressives Verhalten erlernt wird. Das eigene Verhalten wird durch Nachahmung erfolgreicher Vorbilder erworben (Lernen am Modell). Die Person eignet sich das beobachtete »erfolgreiche« Verhalten an, speichert es ab, um es später in einer geeigneten Situation abzurufen. Das erlernte Verhalten kann auch auf völlig unterschiedliche Situationen übertragen werden. Modelle (Personen) zu denen der Beobachtende eine gute Beziehung hat, Personen die er liebt oder die einen höheren sozialen Status haben eignen sich besonders, um das Verhalten zu kopieren. Pflegende und betreuende Personen haben hier eine Vorbildfunktion. Ihr Verhalten untereinander, den Angehörigen und Patienten gegenüber ist mitverantwortlich für die Entstehung von Aggressionsmustern.

      Beispiel

      Der geistig behinderte F. möchte sich nie duschen lassen. Die Betreuungskraft muss deshalb mit lauter Stimme und mit starkem Nachdruck, dazu auffordern sich zu entkleiden und duschen zu lassen.

      Eine Pflegeschülerin beobachtet ihre ältere Kollegin dabei, wie sie einen Patienten anschreit, damit er bei der morgendlichen Dusche stillhält. Daraufhin leistet er keinen Widerstand mehr. Die junge Pflegeschülerin wird wahrscheinlich auch dieses »erfolgreiche« Verhalten anwenden, wenn sie das nächste Mal mit dem Patienten alleine ist.

      Zusammengefasst unterteilt sich das Lernen am Modell in vier Abschnitte:

      • Aufmerksamkeit: Der Beobachter konzentriert sich genau auf sein Vorbild. Verhaltensweisen, die zum Erfolg führen werden besonders beachtet.

      • Behalten: Das beobachtete Verhalten wird im Gedächtnis gespeichert.

      • Reproduktion: Der Beobachter erinnert sich an das gespeicherte, erfolgreiche Verhalten und ahmt es in einer geeigneten Situation nach.

      • Verstärkung und Motivation: Schon bei den ersten Fortschritten und Erfolgen verstärkt sich das erlernte Verhalten.

      Geprägt wurde diese Methode von Jennings und Holmes (Musseler 2002) Um ein angestrebtes Ziel zu erreichen, »probiert« eine Person so lange verschiedene Lösungsmöglichkeiten aus, bis sich der gewünschte Erfolg einstellt. Fehlschläge werden bewusst in Kauf genommen. Erlebter Erfolg/Misserfolg führt zu einer Verstärkung/Verminderung aggressiven Verhaltens.

      2.4.1 Gewaltendreieck nach Galtung

      Der Soziologe und Friedensforscher Johan Galtung (Galtung 2007) unterscheidet in seinem Modell drei Formen der Gewalt:

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      Abb. 1: Gewaltendreieck nach Galtung (Galtung 2007)

      Alle drei Formen der Gewalt treten gemeinsam auf und beeinflussen sich gegenseitig.

      Indirekte (strukturelle) Gewalt geht nicht von einer bestimmten Person aus, sondern ist in unserem Gesellschaftssystem verankert und wirkt sich so indirekt auf die Handlung von Personen aus (z. B. Personalmangel in Pflegeeinrichtungen, Kosten- und Zeitdruck bei der Pflege).

      Direkte (personale) Gewalt wird direkt von einer Person ausgeübt, mit der Absicht der Schädigung einer anderen Person oder Sache. (z. B. Drohungen, Misshandlungen).

      Kulturelle Gewalt dient dazu, strukturelle und personale Gewalt zu legitimieren bzw. durch den gesellschaftlichen Hintergrund zu rechtfertigen. (z. B. Rollenbilder, Akzeptanz von Gewalt, Mentalität).

      Beispiel

      Pflegeberufe sind in der Gesellschaft nicht allzu hoch angesehen und werden schlecht bezahlt. Pflegekräfte haben den Ruf schlecht ausgebildet zu sein (kulturelle Gewalt). In unserem Gesellschaftssystem wird nur nach Gewinn und Rentabilität gearbeitet. Die Pflegekräfte unterliegen einem strikten Zeitmanagement und haben deshalb für die Patienten wenig Zeit (strukturelle Gewalt). Die Pflegerin Frau S. ist überarbeitet und ständig im Stress. Wegen des geringen Verdienstes muss sie morgens noch Zeitungen austragen. Mit Drohungen versucht sie, die zu pflegenden Bewohner zur Mitarbeit zu bewegen (personale Gewalt).

      Die Motivation eines Menschen eine Handlung auszuführen, wurde im Lauf der Forschung zuerst auf angeborene Instinkte zurückgeführt. Später ging man davon aus, dass die Motivation eng mit Bedürfnissen und Emotionen verbunden ist.

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       Definition Motivation

      Das Lexikon der Psychologie (Pschomeda 2016) definiert Motivation folgendermaßen: »Die Motivation ist ein nicht direkt beobachtbares psychologisches Konstrukt, das die Bereitschaft eines Menschen beschreibt, Zeit, Energie und Arbeit zu investieren, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wer hoch motiviert ist, strengt sich mehr an, ist ausdauernder, nimmt eher Schmerzen in Kauf und hält auch nach Rückschlägen an seinen Zielen fest.«

      Der deutsche Psychologe Heinz Heckhausen (Heckhausen 1980) untersucht in seinem Modell den Ablauf von Motivation und Handlung. Vier Elemente spielen dabei eine wichtige Rolle:

      1. Wahrgenommene Situation

      (Annahme, wie das Ergebnis ausfallen wird, wenn die Person nicht eingreifen wird.)

      Beispiel

      Patient P. kann nach einem Schlaganfall die rechte Hand nicht mehr wie gewohnt einsetzen. Die selbständige Nahrungsaufnahme wird dadurch erschwert. Nach seinem Krankenhausaufenthalt ist deshalb eine Physiotherapie vorgesehen.

      2. Mögliche Handlung

      (Mit welcher Wahrscheinlichkeit führt das Handeln zum Erfolg?)

      Beispiel

      Patient P. hat Aussichten, mit Hilfe der Physiotherapie wieder