Das war die Entscheidung des House of Lords gewesen. Siebzehn Jahre später hatte die britische Regierung die Entscheidung genutzt, um auch Filmmaterial, das entsprechend einvernehmliches Verhalten unter Erwachsenen darstellte, zu kriminalisieren. Es konnte also sein, dass, wenn man sich in der SM-Szene auf britischen Boden bewegte, man sich auf seichtem Terrain befand.
Was verlangte er hier von mir? Ich als Staatsanwältin des Central Criminal Court und er als der Präsident des Obersten Gerichtshofs, wir sollten BDSM praktizieren? Wie ließ sich das mit unserem Rechtsverständnis vereinbaren? Sollte ich mich nun in Zukunft von ihm auspeitschen lassen? Das war wirklich nicht mein Stil. Passte überhaupt nicht zu mir. Jeremy konnte ich nicht im Geringsten etwas vormachen. Obwohl er mich erst seit Kurzem kannte, konnte er mich ziemlich gut einschätzen.
»Ich möchte es dir trotzdem erklären, wenn du erlaubst«, eröffnete er seinen Monolog. Ich zwang mich, zuzuhören. »Bondage, Disziplin, Dominanz, Submission, also Unterwerfung, Sadomasochismus, all das ist das Grundgerüst für …« Ich machte eine abwehrende Handbewegung.
»Ich weiß, was diese Worte bedeuten, es bedarf keiner Erklärung.«
»Elena«, bat er um Geduld. »Lass mich doch erklären«, flehte er mich geradezu an. »Ich möchte mit dir doch lediglich eine DS-Beziehung führen, die von Dominanz und Unterwerfung geprägt ist.« Ich runzelte die Stirn und sah ihn ungläubig an.
»Was soll das jetzt im Klartext heißen?« Er seufzte, versuchte mich aber weiterhin von der Praktik zu überzeugen.
»DS basiert auf gegenseitigem starkem Vertrauen. Es beinhaltet sehr viel Nähe und Intensität. Diese Art von Beziehung muss wachsen. Eine Vielzahl von gemeinsamen Interessen sollte auf beiden Seiten vorhanden sein, sodass diese Form überhaupt erst funktionieren kann. Und ich glaube, dass all diese Voraussetzungen bei uns zutreffen.«
»Dominanz und Submission«, wiederholte ich. »Also Auspeitschen.« Ich funkelte ihn an und machte Anstalten, gehen zu wollen.
»Nein, Elena. Bitte hör mir doch zu.« Sein flehender Tonfall widerstrebte mir. Was sollte das jetzt werden? Er wirkte nervös. Womöglich hatte er Bedenken, ich könnte mit ihm Schluss machen, noch bevor es richtig begonnen hatte, oder ihn vielleicht anzeigen. Diese Befürchtung wäre nicht mal so falsch gewesen. Da habe ich mir keinen leichten Fall ausgesucht, ging es mir durch den Kopf.
Widerwillig nahm ich wieder Platz, denn mir Vorschriften machen zu lassen, stand bei mir nicht gerade auf der Tagesordnung. Ich war total durcheinander. Ich hatte mich verliebt und jetzt saß mir ein Wolf im Schafspelz gegenüber. Welcher Teufel hatte mich eigentlich geritten, als ich diesen Typen aufgerissen hatte verdammt noch mal?
Zunächst versuchte ich, seinen Erklärungen etwas abzugewinnen. Angespannt hörte ich weiter zu. Er ergriff meine rechte Hand. Reflexartig wollte ich sie ihm entziehen. Praktisch ein Schutzmechanismus. Doch er hielt sie fest. Bestimmend? Besitzergreifend? Nein, ganz im Gegenteil, eher kniefällig, bittend. Sein Griff lockerte sich, doch ganz loslassen wollte er mich nicht. Seine Handfläche berührte noch immer meine Hand. Vertrauen oder Taktik? Sein Blick jedenfalls fing mich ein. So wie er es bei meiner Psyche praktizieren würde. Er würde mich vereinnahmen wollen, würde mein Innerstes in Ketten legen. War ich ihm ausgeliefert? Er starrte zu Boden, bevor er mir wieder in die Augen sehen konnte.
»Elena, bitte hör mich an«, flehte er. »Es ist wichtig, dass du weißt, dass es bei BDSM nicht um den reinen Schmerz geht. Es ist eine Form von einvernehmlichen sexuellen Handlungen, der zwar ein Machtgefälle zugrunde liegt, das heißt aber nicht, dass du dich unterwerfen musst. Ganz im Gegenteil, du sollst diejenige sein, die über kurz oder lang Macht ausüben wird.« Verharmloste er nun diese Neigung oder was war er gerade im Begriff zu tun? Unsicher starrte ich ihn an. Obwohl ich ihm genau zugehört hatte, war mir die Bedeutung seiner Worte nicht ganz klar.
»Das heißt, du willst mich also nicht auspeitschen?«, fragte ich unsicher nach und vergrub dabei meine Schneidezähne in meiner Unterlippe. »Was willst du dann mit mir tun?« Mein Blick musste Irritation ausgestrahlt haben. Es fiel ihm sichtlich schwer, die richtigen Worte zu finden. Er hatte es offenbar sehr selten mit so unerfahrenen Frauen wie mir zu tun gehabt. Zumindest im Bereich des BSDM. Denn von der Praxis selbst hatte ich nun wirklich nicht die leiseste Ahnung. Er überwand sich. Es war ihm wohl besonders wichtig, mir alles bis ins kleinste Detail zu erklären. Ohne auf meinen Einwand einzugehen, stellte er eine Gegenfrage.
»Glaubst du, ich hätte mich für dich entschieden, wenn ich eine Sub suchen würde?«, setzte er nun ein schiefes Lächeln auf und versuchte so, die Situation zu retten. Seine Art mich anzusehen, war mir wieder vertraut und gab mir neues Selbstbewusstsein. Mein verführerischer Augenaufschlag brachte ihn aus dem Konzept.
»Da müsste ich dich wahrlich enttäuschen! Denn mich zu unterwerfen, dazu wurde ich nicht geboren!«, feuerte ich ihm bestimmend meine Worte entgegen. Er grinste von einem Ohr zum anderen. Das verunsicherte mich. Gewaltig. Er seufzte. Das wiederum machte mich nervös. Seine Mimik war unergründlich. Dann fuhr er fort.
»Genau so stelle ich mir meine Mistress vor. Ich habe dich also richtig eingeschätzt. Ich würde dich lehren, mich zu führen, bis du in deine dominante Rolle hineingewachsen wärst. Ich würde also switchen. Glaub jetzt bitte nicht, dass ich den dominanten Part auf Dauer übernehmen möchte«, er lächelte und schüttelte widerwillig den Kopf. »Nein, Ella, aber ich möchte dir genauso die Möglichkeit geben, dich fallen lassen zu können und zu genießen. Ich werde dich sexuell verwöhnen, bis du dir eingestehst, ohne meine Praktiken nicht mehr leben zu wollen.«
Ich riss die Augen auf. Er hatte Ella zu mir gesagt, so nannte mich nur Tabitha. Ich lauschte seinen Worten, die mich immer mehr in den Strudel der Finsternis hinabreißen würden. Mistress. Wie das klang! Wieder beugte er sich über den Tisch und konkretisierte seine Absichten.
»Diese Art von Beziehung kann in gegenseitigem Einvernehmen zu extrem lustvollen Höhepunkten führen. Und das Hinzufügen von Schmerz kann es noch steigern«, beendete er seine präzisen Ausführungen. »Ich möchte nochmals betonen, dass es nicht bedeutet, dir Schmerzen zuzufügen.« Er beobachtete mich.
»Ich soll also diejenige sein, die das tut, damit du Erfüllung findest?« Nun atmete ich kräftig ein und wieder aus. Das könnte ich noch weniger. Jemandem Schmerzen bereiten? Ich? Jeremy hatte meine Gefühle schon wieder voll unter Kontrolle und wehrte mit einem Kopfschütteln und einer eindeutigen Geste ab.
»Nein! Lass mich bitte weiter erklären.« Ich nickte. »Es geht nicht darum, seine Grenzen zu überschreiten, wo es kein begehrlicher Schmerz mehr ist. Es soll den anderen ja scharfmachen, erregen, auch wenn es eine gewisse Art von Schmerz ist, man soll sich dabei wohlfühlen, Lust empfinden. Nur dann beginnst du, deinen Kopf abzuschalten, dich nicht mehr zu fragen: Ist das noch normal, was ich hier tue? Soll ich das überhaupt tun?« Er beobachtete mich eingehend. »Was ich brauche, ist ein ultimativer lustvoller Kick, eine Session, in der wir beide die Erfüllung finden und die sehr viel Intensität an Gefühlen zutage fördert. Eine etwas härtere Gangart, wenn du verstehst, was ich meine. Kein Vanillasex. Ich bin aber auch kein TPE-Typ, eher ein Erotic Power Exchange Typ. Ich möchte meine Macht nur während des Spiels abgeben, nicht aber im Alltag. Verstehst du?« Nein. eigentlich verstand ich nichts von alldem, was er sagte. »Es ist mir wichtig, dass du dich in unsere Partnerschaft wohlfühlst, wir unsere sexuellen Fantasien gemeinsam ausleben können.« Jetzt begann ich wieder zu verstehen. »Die sexuelle Kontrolle des dominierenden Partners, also dir, spielt für mich dabei eine sehr große Rolle. Erregen und verweigern, bis hin zu häufigen Orgasmen. Das ist meine Strategie. Die Schmerzgrenze muss dabei nicht unbedingt sehr hoch angesetzt sein. Obwohl …« Er stockte. »Meine persönliche Schmerzgrenze ist sehr hoch.« Ich legte meine Stirn in Falten.
»Kannst du noch