Beeindruckt von dieser Pracht, die augenblicklich vor mir lag, betrat ich nun die Brücke und ging langsam auf das stimmungsvolle Anwesen zu, das sich mit all seinem Glanz vor mir ausbreitete. Jede Frau würde davon träumen, hier heiraten zu können, um sich von ihrem Prinzen über die Schlossschwelle tragen zu lassen. Ein überaus imposantes Bauwerk.
Ich ging weiter. Lediglich der Klang meiner Stöckelschuhe war zu hören und manchmal gesellte sich der Ruf eines Käuzchens dazu. Es war schaurig schön. Zufrieden lächelte ich, dachte an den Tandemflug und wie wir hier im Gras gelandet waren.
Völlig unvermutet öffnete sich das schwere Portal wie von Geisterhand. Neugierig schritt ich durch das mächtige Falltor und erreichte den Schlosshof, inmitten dessen ein grandioser, beleuchteter, zweistöckiger Springbrunnen thronte. Die Wassermassen strömten nahezu über die Brunnenflächen und boten einen traumhaften Anblick.
Unterhalb einer Laterne nah am Eingang von Seeds Castle stand Jeremy. Er hatte sich mit der Schulter lässig gegen die Hausmauer gelehnt, sein Blick war gesenkt, die Hände in den Taschen seiner Anzughose vergraben.
Mit einem dezenten Lächeln auf dem Gesicht ging ich langsam auf ihn zu. Sein Verhalten und seine Mimik hatten den Anschein, als wäre er mir gegenüber reservierter als sonst. Vielleicht hatte es mit unserem nachmittäglichen Happening zu tun? War ihm die Erinnerung daran unangenehm? Vielleicht, weil er sich vor mir selbst befriedigt hatte?
Als ich ihm nun gegenüberstand und mich das Licht der Laterne traf, hoffte ich, ihm mit meinem Lächeln klarmachen zu können, dass ich jede Unanständigkeit mit ihm durchziehen würde. Und genau das musste der Grund dafür sein, warum sich sein Gesichtsausdruck allmählich veränderte.
Im nächsten Moment fassten seine zärtlichen Hände nach meinem Gesicht und er zog mich an seine Lippen, küsste mich aus tiefster Leidenschaft. Als ich meine Arme um seinen muskulösen Körper schlingen wollte, erfasste er sie und hielt sie nun mit einer Hand auf meinem Rücken fest. Seine andere streichelte liebevoll meine Wange, während er mich noch immer aus tiefster Überzeugung liebkoste. So hatte er mich noch nie geküsst, ich glaubte, im siebten Himmel zu schweben. Um einiges verzögert, ließ er meine Arme wieder los. Behutsam strich ich seine entlang, bis meine Finger an seinem Nacken angelangt waren. Entspannt seufzte er.
»Elena! Es kam mir wie eine Ewigkeit vor.« Allein seine Stimme erzeugte eine Gänsehaut, die sich über meinen gesamten Oberkörper ausbreitete.
»Ich habe dich genauso vermisst!«, hauchte ich ihm nun ins Ohr. Völlig unvermutet hob er mich hoch und trug mich ins Schloss. Vor Erregung zitternd, legte ich meinen Kopf an seinen Hals. Heute roch er besonders gut. Er hatte ein anderes Aftershave aufgetragen. Ich atmete intensiver als sonst, um seinen Duft einzusaugen. Genau dieser Umstand durfte ihn wiederum in den Wahnsinn getrieben haben.
»Elena! Was machst du bloß mit mir? Willst du mich um den Verstand bringen?« Zögerlich hoben sich meine Lippen auf seiner Haut zu einem Lächeln. Wieder küsste er mich, diesmal auf die Nasenspitze und trug mich weiter eine Treppe hinauf. Vermutlich in sein Schlafzimmer.
Als wir oben angekommen waren und ich mich umsah, musste ich feststellen, dass wir in einem überdimensionalen Festsaal waren, inmitten dessen ein feierlich gedeckter Tisch thronte, vor dem wir nun standen. Jeremy hatte offensichtlich noch etwas mit mir vor. Behutsam ließ er mich auf den Boden gleiten und sah mich erwartungsvoll an. Ich war sprachlos.
»Ich bin überwältigt.« Mein Blick schweifte über die Tafel. In der Mitte stand ein Blumengesteck mit roten Rosen. Zwei antike silberne Kerzenleuchter zierten die weiße Tischdecke. Das Silberbesteck war sorgfältig neben dem passenden Platzteller angerichtet, worauf sich gegenwärtig eine in Form eines Fächers zusammengefaltete weiße Stoffserviette befand.
»Darf ich Lady Elena zu einem romantischen Candle-Light-Dinner einladen?«, fragte er mich noch charmanter als sonst und rückte mir bereits einen Stuhl zurecht.
Ich fühlte mich geschmeichelt, von ihm in der dritten Person angesprochen zu werden, und setzte mich, währenddessen lächelte ich ihn kokett an. Jeremy nahm mir gegenüber Platz und fasste zuerst zögernd, dann entschlossen nach meiner Hand.
»Sie sieht übrigens heute wieder einmal bezaubernd aus. Und so verführerisch«, ergänzte er anerkennend. Der Klang seiner Stimme und die Art, wie er zu sprechen pflegte, zauberte mir eine Unzahl von Schmetterlingen in den Bauch und ich hatte das Gefühl, Jeremys Feinfühligkeit hatte diesen Umstand sofort aufgespürt. Er atmete hörbar ein und aus. Mein Gott! Wir befanden uns wieder so schnell im Fahrwasser der Leidenschaft, dass meine Begierde rascher als mein Kopf reagierte.
»Ihre Armstulpen sehen wirklich sexy aus«, versuchte er, diesen Zustand der Begierde aufrechtzuerhalten, dabei fixierte er mich. So hatte er mich bei unserer letzten Begegnung nicht angesehen. Er blickte mir tief und ernst in die Augen, das fand ich extrem anziehend, er hypnotisierte mich geradezu.
»Findest du?«, erwiderte ich nervös.
»Ja, sie passen perfekt zu meinem Stil.« Er starrte mich an und augenblicklich hatte ich das Gefühl, sein Blick würde mich ausziehen. Kurz blieb mir mein Atem weg.
»Verstehe, und was ist dein Stil?«, fragte ich aufgewühlt. Er wölbte seine Lippen nach innen.
»Meine Vorlieben sind … etwas speziell.« Seine Haltung mir gegenüber schien distanzierter zu werden. Interessiert hob ich eine Braue, um wenig später die Augen zusammenzukneifen.
»Speziell? Wie soll ich das verstehen?« Er lockerte seine Designerkrawatte, das hieß wohl, er war nervös.
»Nun ja.« Gegenwärtig standen ihm die Schweißperlen auf der Stirn. »Meine Sexualpräferenz geht im Normalfall über das gewöhnliche Maß hinaus«, versuchte er, seine Neigung näher zu definieren. Unwillkürlich spitzte ich meine Lippen.
»Und was heißt das jetzt genau?«, drängte ich ihn zu einer klaren Antwort. Unverblümt sprach er es aus.
»Meine Vorlieben gehen in Richtung BDSM.« Sein scharfsinniger Blick ruhte auf meinem Gesicht. Seine Mimik war nicht zu ergründen. Sein Atem ging stoßweise. Eine Weile sagte niemand ein Wort. Nur Stille erfüllte den Raum. Mein Mund blieb halboffen stehen. Wir starrten uns nur an. Warum rückt er erst jetzt damit heraus?
BDSM, durchfuhr es meine Gedanken. Das war doch nicht möglich. Dieser zärtliche Mann, der mich beim Sex nach Strich und Faden verwöhnt hatte, hatte einen Hang zu SM? Zunächst dachte ich, ich würde straucheln, mir wurde ganz schwarz vor Augen. Was würde das für mich in Zukunft bedeuten? Hatte er mir bisher nur etwas vorgemacht? War jetzt alles aus, bevor es so richtig begonnen hatte? Er schluckte, meine Reaktion gefiel ihm nicht. Verunsicherte ihn offensichtlich.
»Ich denke, ich muss dir einiges erklären«, versuchte er, wieder Herr der Lage zu werden.
»Ich habe nicht das Gefühl, dass es einer Erklärung bedarf«, reagierte ich abweisend.
»Ich denke schon. So wie du dich jetzt verhältst.« Er wartete ab. In mir tobte ein Sturm, der mich keinen klaren Gedanken fassen ließ. BDSM, schoss es mir noch einmal durch den Kopf. Was glaubte er? Ich war völlig irritiert. BDSM war in der noblen, englischen Gesellschaft verpönt. Spanking, also das Auspeitschen, konnte ausnahmslos zur Anzeige gebracht werden und führte ohne jeden Zweifel zu einer Verurteilung, wenn es Folgen hatte. Und das hatte es bestimmt über mehrere Tage hinaus. Hier auf britischen Boden kannte das Strafrecht keine Einwilligung in Körperverletzung. Entsprechende Handlungen, auch wenn sie hundertmal einvernehmlich stattfanden, waren in England in die Kategorie Rechtliche Grauzone einzuordnen und wenn ein Fall vor Gericht kam, wurde, ohne mit der Wimper zu zucken, verurteilt. Obwohl die Wurzeln des BDSM skurrilerweise in London zu suchen waren, war die Gesellschaft und die Rechtsprechung für diese Praktik überhaupt nicht offen. Nur in kleinen geheimen Kreisen fanden diese Art von Treffen statt.
Bei dem Gedanken drehte sich mir der Magen um. Erst vorgestern hatte ich jemanden aus