Meine linke Augenbraue schoss in die Höhe und ich machte mich aufs Feilschen gefasst. „Zwei Goldstücke für diesen alten Mantel?“
„Ein Brocken. Oder fünf Steine.“ Haha, beides war gleich viel wert.
„Ein Brocken für den Mantel, dazu Handschuhe und Stiefel.“
Der kleine Mann kämpfte sich durch den Laden, war für einige Minuten verschwunden und kam mit einem Paar grauer Wollhandschuhe und Lederstiefeln zurück. Er hielt sie abschätzend an meinen Fuß. „Zehn Steine. Nicht weniger, die Stiefel sind so gut wie neu!“
Viel mehr befand sich auch gar nicht in meinem Beutel. Einen besseren Preis würde ich wohl nicht herausschlagen können. Die Stiefel sahen wirklich so aus, als wären sie aus gutem Material, und waren wahrscheinlich mehr wert, als ich zahlen sollte.
Ich hielt dem Verkäufer meinen Geldbeutel hin. „Das ist alles, was ich habe. Sie können es behalten, wenn Sie mir dafür noch einen Becher von Ihrem Tee zu trinken geben.“
Gierig riss er mir den Beutel aus der Hand, öffnete ihn und zählte misstrauisch nach. Elf Silbermünzen waren darin. Dann nickte er und steckte ihn in seine Tasche. „Komm mit, Junge. Ich hoffe, du magst Hagebutte.“
***
Nie zuvor hatte ich Kleidung besessen, die mich so wärmte, geschweige denn die ich mir selbst ausgesucht und gekauft hatte. Doch nach Stunden des Umherwanderns konnte auch sie den schneidenden Wind nicht mehr davon abhalten, unter meine Haut zu kriechen. Ich war so müde, ich hätte auf der Stelle umfallen mögen, um meine Augen zu schließen und ein wenig zu ruhen, doch ich wagte es nicht, der Kälte der Nacht im Schlaf zu trotzen. Ich musste in Bewegung bleiben.
Zunächst hielt ich mich an den Verlauf der Hauptstraßen, denn das Licht der Laternen spendete mir etwas Trost. Doch bald suchte ich die Dunkelheit, die mich wie eine sichere Decke umhüllte und mich in sich einschloss. Ich wanderte durch schmale Gassen und benutzte unbeleuchtete Straßen, probierte, meinen Kopf zu beschäftigen, um die bleierne Müdigkeit zu verdrängen. Es nützte nicht viel. Ich wurde langsamer und legte eine Hand auf meinen knurrenden Bauch.
Dann sah ich es.
Da war ein Licht. Vor mir, in einiger Entfernung, am Ende der Gasse. Ich musste daran denken, was man sich über das Sterben erzählte, dass man wie eine Motte zurück ins Licht flog.
Ich zog meine Nase hoch und tastete über meinen Oberkörper. Nein, ich fühlte mich noch ganz lebendig an. Also war ich nicht irgendwo vor Erschöpfung zu Boden gegangen und erfroren. Ausgezeichnet.
Nein, da war in der Tat ein Licht. Es flimmerte und bewegte sich leicht wie funkelnde Sterne in der Ferne, doch strahlte es nicht mit ihrem kalten Glanz, sondern schien warm und lebendig zu sein. Plötzlich durchströmte mich neue Kraft und ich wurde schneller. Ein Feuer, an dem man sich die steif gefrorenen Finger wärmen konnte!
Noch ehe ich das Feuer erreichte, hörte ich leises Stimmengemurmel. Im Schein der Flammen waren drei Gestalten zu erkennen, die in dicke Schichten Lumpen gehüllt waren. Über ihre Gesichter sprangen abwechselnd Licht und Schatten. Sie standen um eine Tonne herum, in der das Feuer brannte, welches sie gerade mit Zweigen und einer Zeitung fütterten.
Eine Ratte blieb nicht lange allein.
Noch war ich nicht nahe genug, als dass sie mich hätten sehen können, und ich wurde langsamer. Sollte ich ihnen einfach in einer selbstgefälligen Art zunicken und mich zwischen sie drängen oder sie zunächst ein wenig belauschen?
Ein Kieselstein, gegen den meine linke Schuhspitze stieß und der daraufhin fröhlich klackernd über den Boden hüpfte, nahm mir die Entscheidung ab, denn plötzlich wandten sich alle drei Augenpaare voller Misstrauen in meine Richtung um. Also gut, dann eben das selbstgefällige Nicken.
Schnurstracks ging ich auf die Tonne zu, murmelte: „’n Abend“, und streckte meine Hände nach den Flammen aus. Ich konnte die Wärme in der Luft durch meine Handschuhe spüren.
„Verschwinde!“, keifte eine kratzige Frauenstimme und eine schmutzige Hand stieß mich unsanft fort. „Das ist unser Feuer!“ Die schmutzige Hand gehörte zu einer noch schmutzigeren, rundlichen Frau, der fettige Haarsträhnen in die Stirn fielen. Sie kratzte sich energisch am Kopf und ich war froh, Abstand von ihr zu haben. Läuse waren eine lästige Sache.
„Kann man Feuer besitzen?“, fragte ich und versuchte mich von der anderen Seite zu nähern, wo ein großes, dünnes Mädchen an der Tonne stand und schluchzte. Ein Strom von Tränen glänzte auf ihren Wangen. „Da stimmt was mit deinen Augen nicht“, sagte ich in besorgtem Tonfall und deutete mit dem Finger auf sie.
„Was?“, fragte sie verwirrt.
„Sie tropfen.“
„Halt doch dein Maul!“, fuhr sie mich an und wendete sich von mir ab, um sich weiter ihrem Kummer hinzugeben. Ich hatte das Gefühl, als ob ich hier schnell neue Freundschaften schließen würde.
„Mach, dass du wegkommst!“, rief der Dritte im Bunde, ein kleiner, gebeugter Mann mit langen grauen Haaren und dem mickrigsten Bart, den ich je gesehen hatte. Ich hoffte inständig auf einen besseren Bartwuchs in meinen nächsten Lebensjahren. Ich wollte ja nicht aussehen wie ein halb gerupftes Huhn.
Huhn ... ich bekam wieder Hunger, aber dagegen konnte ich jetzt nichts tun. Gegen die Kälte allerdings schon. Ich machte noch einen Schritt auf die Tonne zu.
„Ist ja nicht so, als ob ich euch die Wärme wegnehme“, warf ich ein. Und weil ich gehört hatte, dass es die meisten Leuten gut aufnahmen, wenn man ihnen Komplimente machte, fügte ich schnell hinzu: „Übrigens eine wunderschöne Tonne, die ihr da habt.“
„Du sollst verschwinden, hab ich gesagt!“, rief die Frau nun deutlich erbost, denn ihr Kopfgekratze hatte an Intensität gewonnen.
„Essigwasser“, raunte ich ihr zu, ohne das Umkreisen der Tonne einzustellen. Ich kam mir vor wie eine hungrige Raubkatze. Sehr hungrig.
Die Frau warf etwas nach mir und ich duckte mich.
„Du mit deinen guten Sachen brauchst kein Feuer. Geh woanders hin oder ich nehme sie dir ab!“ In der Hand des Mannes blitzte eine Klinge. Mir wurde bewusst, dass ich in dieser Gesellschaft in der Tat als gut gekleidet galt, so sauber und ganz ohne Löcher im Stoff. Ich musste mich vorsehen.
„Wir könnten einen kleinen Tauschhandel vornehmen“, schlug ich vor.
„Ich nehme deine Schuhe und schenke dir dafür das Leben. Wie klingt das für dich?“ Der Mann wedelte mit seinem Messer herum.
„Ja, genau“, krächzte die Frau, „da hast du deinen Tauschhandel!“
Ich schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich hatte da eher an etwas anderes gedacht.“
„Der feine Herr ist ein Denker.“ Im Schein des Feuers konnte ich ihre fauligen Zähne sehen, als sie sprach.
Ich ignorierte sie. „Ich habe Fleisch.“
Der alte Mann musterte mich von Kopf bis Fuß. „Nicht gerade sehr viel.“
Ich schenkte ihm mein überheblichstes Lächeln. „Ich habe Zugang zu einer Metzgerei. Gleich morgen kann ich euch gutes Fleisch verschaffen, vorausgesetzt, ich erfriere nicht. Ihr seid sicher hungrig.“ So wie ich.
Das Mädchen hielt für einen Moment im Schluchzen inne, um mich entgeistert anzustarren. „Der Mann mit der Glatze?“ Sie fürchtete sich vor Roman. Es war ihr nicht zu verdenken.
„Lasst das ganz meine Sorge sein.“
„Wir brauchen keinen zwielichtigen Fleischlieferanten. Wir können für uns selber sorgen“, knurrte die Frau. Doch der Mann schluckte schwer, als liefe ihm das Wasser im Munde zusammen. Er hatte angebissen.
„Schinken“, sagte ich.
Sie