„Rippchen.“ Der Mann knickte beinahe ein.
„Hau ab!“
Ich zuckte gleichgültig mit den Schultern, wandte mich von der brennenden Tonne ab und machte drei langsame Schritte in die Dunkelheit hinein.
„Warte!“, rief der Mann.
Ich blieb stehen und grinste.
Am Feuer ließ sich die Kälte der Nacht aushalten. Zu viert standen wir dicht gedrängt wie die Spatzen um die Tonne herum und hielten unsere ausgestreckten Hände über die Flammen. Ich stand zwischen Geske und Ben, dem großen Mädchen und dem Alten, während zwischen mir und Roksi mit ihren Läusen das Feuer loderte. Vor den kleinen Mistviechern war ich sicher. Es sei denn, sie hatten schon meine direkten Nachbarn befallen, was ziemlich wahrscheinlich war. Nun, zumindest fror ich nicht.
Nachdem wir uns alle mit Namen vorgestellt hatten, Roksi Geske mit dem Ellenbogen in die Seite gestoßen und sie angefaucht hatte, mit dem Heulen aufzuhören, war es fürs Erste still geworden in unserer kleinen, gemütlichen Runde. Sie wagten es nicht, vor einem Fremden ihre vertraulichen Gespräche zu führen. Ich konnte es ihnen nicht verdenken.
Die runde Roksi war es schließlich, die das Schweigen brach. „Ich sehe nicht ein, wieso wir ihn für Fleisch an unser Feuer lassen. Ein guter Schnaps hätte es da schon eher getan ...“
Ich lächelte ihr gutmütig zu. „Alkohol verträgt sich nicht mit Feuer.“
„Wenn du schon hier rumstehst, halt wenigstens deine vorlaute Klappe!“, fuhr sie mich an.
Ich führte meine rechte Hand an mein Kinn, hielt es fest und ihr Blick wurde noch finsterer. Langsam kam mir in den Sinn, weshalb ich im Waisenhaus so wenig Freundschaften geschlossen hatte: Alle meine Mitmenschen waren schrecklich! Nun, ich konnte sie nicht ändern.
„Diesen Metzger ... du kennst ihn gut?“, wollte Ben wissen und rieb sich den Bauch.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Was kannst du uns bringen?“
„Was ich kriegen kann“, erwiderte ich knapp.
Roksi schnaubte. „Wir werden den Jungen nicht wiedersehen, ich sag es euch. Nachdem er sich an unserem Feuer gewärmt hat, ist er über alle Berge.“
„Felsburg hat keine Berge“, bemerkte ich und erntete erneut einen bösen Blick.
Geske zog geräuschvoll die Nase hoch. Ich wünschte, sie würde noch immer heulen, das war besser auszuhalten.
„Meine lieben Freunde ...“, setzte ich an.
„Wir sind nicht deine Freunde“, schallte es mir dreistimmig entgegen. Das hatten sie bestimmt geübt.
„Mitbürger“, setzte ich erneut an, „ihr mögt mir nicht vertrauen und das ist euer gutes Recht, immerhin kennen wir uns noch nicht besonders lange. Aber ich versichere euch, dass alles, was ich euch bis jetzt gesagt habe, der Wahrheit entspricht. Ich werde euch euer Fleisch besorgen.“
Ben sah mich eindringlich an. „Wollen wir es hoffen, Flint.“
Mein Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. „Ihr habt mein Ehrenwort.“
*
Ein guter Tag
Ich lag auf einer Bank im Stadtpark, als es zu dämmern begann. Die aufgehende Sonne malte warme Farben an den Horizont, doch aufziehende Wolken versprachen bereits, sie bald wieder zu verstecken. Immer wieder rollte mein Kopf zur Seite und ich verfiel in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich jedoch sogleich wieder erwachte. Kälte, Hunger und die harten Holzleisten in meinem Rücken erlaubten mir nicht mehr, obwohl mein erschöpfter Körper Erholung so dringend nötig hatte. Nein, so konnte es nicht bleiben. Vielleicht schaffte ich es, später noch einen Geldbeutel zu stehlen und mir doch ein Zimmer in einem Wirtshaus zu leisten, jetzt wo ich mich um das Wichtigste, warme Kleidung, gekümmert hatte. Und wenn es nur für eine Nacht war. Ich war so unglaublich müde und sehnte mich nach einem warmen Bett ... Mein Kopf fiel abermals zur Seite.
Als ich erwachte, war die Sonne fort. Graue Wolken hingen düster und schwer am Himmel über mir, der meine Laune zurückwarf wie ein Spiegel. Hoffentlich regnete es nicht auch noch.
Ich brachte mich in eine aufrechte Position und streckte stöhnend meine Arme. Meine Glieder waren ganz starr von der Kälte und schmerzten wegen meines unbequemen Betts. Ich war noch immer müde, doch der Hunger überwog. Ich stand auf und verließ den Park.
Auf den Straßen herrschte munteres Treiben. Ich stand gegen eine Mauer gelehnt und beobachtete meine Umgebung. Kutschen fuhren an mir vorüber und reiche Männer mit ausdruckslosen Gesichtern eilten über das Pflaster. Sie erfüllten mein ganzes Wesen mit abgrundtiefer Verachtung. Wussten sie denn nicht, dass sie alle gleich waren? Die gleichen langen grauen Mäntel, die gleichen starren, toten Augen und der gleiche monotone, zügige Schritt. War ihnen nicht bewusst, dass sie alle das gleiche langweilige Leben führten? Am Morgen hetzten sie durch die Straßen, um ihren Geschäften nachzugehen und abends wieder zu ihren auseinanderbrechenden Familien zurückzukehren, nur um den nächsten Tag nach genau demselben Muster zu begehen. Sie erschienen mir so armselig, dass ich beinahe Mitleid für sie empfand, wären sie nur nicht so verflucht reich gewesen.
Ich dachte an mein eigenes, auf so andere Art erbärmliches Leben. Aufwachen, Nahrungssuche, warm halten. Überleben. Mehr war es nicht. Das Leben eines Tieres. Wie war es doch großartig, ein Mensch zu sein! Was hatten sich meine Eltern nur dabei gedacht, mich in eine solche Welt zu setzen? Nun, zumindest waren sie ihr entkommen. Ich war geblieben, aber wofür?
Meine Augen verfolgten die grauen Mäntel, die an mir vorbeiliefen, besonders ihre Taschen, in die so leicht eine fremde Hand hineingreifen konnte. „Tut mir leid, Leana.“
Ich stieß mich von der Mauer ab und lief los.
Ich war noch nie in meinem Leben so schnell und so weit gelaufen. Ich hatte das Gefühl, die halbe Welt umrundet zu haben. Die kalte Winterluft schnitt mir mit jedem Atemzug in die Kehle, als wäre sie ein stumpfes Messer. In meiner zitternden Hand hielt ich einen kleinen Geldbeutel. Ich lehnte mich erschöpft gegen eine kahle Hauswand am Ende einer schmalen Gasse und sackte langsam in mich zusammen. Dieses Mal wäre ich beinahe geschnappt worden. Ein Stadtwächter war auf mich aufmerksam geworden. Zusammen mit dem Bestohlenen hatte er mich durch die halbe Stadt gejagt. Inständig hoffte ich, dass sie sich mein Gesicht nicht gemerkt hatten.
Ich schloss die Augen, bis sich mein Herzschlag normalisierte und ich wieder klar denken konnte. Meine Finger zogen die dünnen Schnüre des Beutels auseinander und ich lugte hinein. Leise fluchte ich. Drei Silber- und zwei Kupfermünzen fielen in meine geöffnete Hand. Steine und Kiesel. Eine magere Ausbeute. Hart stieß ich mit meinem Hinterkopf gegen das Gemäuer. Heute war nicht mein Tag. Zumindest fror ich nicht mehr. Doch ich war noch immer müde und hungrig. Es war an der Zeit, dies zu ändern.
Ja, ich weiß, ich hatte dem Trödler mein ganzes Hab und Gut im Gegenzug für den Mantel versprochen, in Wahrheit aber waren zwei Silbermünzen meiner ersten Ausbeute zufällig in meine Hosentasche gerutscht, bevor der alte Mann seine gierigen Finger um den Geldbeutel schließen konnte. Ich besaß also fünf Steine und zwei Kiesel. Aller guten Vorsätze zum Trotz fand ich mich zur Mittagsstunde in einem preiswerten Wirtshaus wieder, wo ich all mein Silber für eine Mahlzeit und ein winziges Zimmer im zweiten Stock ausgab. Ich hatte mir einfach nicht anders zu helfen gewusst. Mein Körper lechzte nach Nahrung und Schlaf und ich war mir nicht sicher, ob ich eine weitere Nacht ohne diese beiden Dinge unter freiem Himmel heil überstehen würde.
Also saß ich an einem kleinen Tisch in der Wirtsstube, vor mir eine dampfende Schüssel Kartoffelsuppe mit Wurst und einer Scheibe geröstetem Brot, daneben ein Krug mit dünnem Bier. Ich fühlte mich wie ein König. Dennoch zwang ich mich dazu, langsam zu essen, denn mein Magen schmerzte und ich wollte ihm nicht zu viel auf einmal zumuten. Die Wärme der Suppe in meinem Inneren fühlte sich himmlisch an