• Die narzisstische Kollusion wird demnach von einem (progressiven) Bewunderten bzw. Narzissten und einem (regressiven) Bewunderer bzw. Komplementärnarzissten gebildet. Das gemeinsame Thema rankt sich um Fragen des Selbstwerts, der Urharmonie und der idealisierenden Verschmelzung. Das grandiose Ideal-Selbst wird vom Narzissten »verkörpert«, an dem der Bewunderer teilhaben kann, indem er ihn schwärmerisch verehrt.
• In der oralen Kollusion handelt der gemeinsame Grundkonflikt von Versorgung in einem umfassenden Sinne. Hier werden die Rollen »Pflegling« und »Mutter« bzw. »Helfer« verteilt. Eine Person pflegt, umsorgt und hilft auf »mütterliche« Weise, die andere Person lässt sich oral versorgen und zeigt sich dankbar dafür.
• Eine anale bzw. anal-sadistische Kollusion besteht aus einem »autonomen Herrscher« und einem »heteronomen Untertan«, hier wird der Konfliktbereich von Macht, Unterwerfung, Kontrolle und Herrschaft polarisiert aufgeteilt. Das Thema »einander ganz gehören« wird in quälerischer Weise mit Agieren von Trennungsängsten, Abhängigkeitswünschen sowie Eifersuchts- und Untreuemanövern verhandelt.
• Die Polarisierung der phallischen (oder ödipalen bzw. hysterischen) Kollusion schließlich beschreibt eine gegenseitige Bestätigung der (auch sexuellen) Potenz und der Geschlechtszugehörigkeit. Es findet eine Versicherung der eigenen Weiblich- bzw. Männlichkeit statt, dabei stehen zunächst Ergänzungswünsche von »männlicher Stärke oder Härte« und »weiblicher Schwäche oder Weichheit« im Vordergrund (Willi 1975).
Kollusive Mechanismen sind in der Lage, ein starkes Band zwischen Partnern zu bilden, können sie doch als Versuch der »Wiederherstel-
Tab. 4.1: Kollusionen nach Willi entlang der psychosexuellen Phasenlehre Freuds (auf Grundlage von Willi 2016, S. 81 ff.)
Thema des gemeinsamen GrundkonfliktsPolarisierte PositionenAnziehung/ KollusionsbildungKonflikt durch Rückkehr des Verdrängten; Bewusstwerden latenter Wünsche
lung der ganzen Persönlichkeit« (Dicks 1967) verstanden werden. Da jedoch stets eigene abgewehrte, verdrängte Bedürfnisse externalisiert, also im Partner »untergebracht« werden, ist ebenso verständlich, welches Konfliktpotenzial in dieser Beziehungsgestaltung steckt. Gerade die abgewehrten Anteile »drängen zur Rückkehr«. Machen sich also die latenten Bedürfnisse im Laufe der Paarbeziehung wieder stärker bemerkbar, etwa wenn der umsorgte Pflegling in der oralen Kollusion bemerkt, dass er ebenfalls mütterlich-versorgende Impulse verspürt und sich in seiner Rolle nicht länger ernstnehmen kann oder ernstgenommen fühlt, gerät das zuvor gewonnene Gleichgewicht aus den Fugen. Auf ähnliche Weise kann die Konfliktentstehung der anderen Kollusionen beschrieben werden: In der narzisstischen Konstellation verwandelt sich die schwärmerische Verehrung und grandiose Idealisierung in Vorwürfe der Rücksichtslosigkeit und Einengung, während der vormals angenehm Schwärmende als unselbstständig und unangenehm einnehmend empfunden wird. Die anal-sadistische Konfliktlage äußert sich darin, dass der zunächst als aktiv, dominant und mächtig anerkannte »Herrscher« als despotisch und tyrannisch verachtet wird, während den vorher gefügig angepassten »Untertan« der Vorwurf des Passiven und Nachlässigen trifft. Werden die latent schlummernden, abgewehrten Anteile durch z. B. einen Anstoß von außen, veränderte Lebensumstände, einen Entwicklungsschritt eines Partners oder durch Unstimmigkeiten zwischen den Partnern »geweckt«, erscheint die kollusive Lösung nicht mehr als rettend, sondern im Gegenteil als einengend und aversiv.
König und Kreische (1991) schlugen vor, die polarisierten Positionen unter Rückbezug auf objektbeziehungstheoretische Grundlagen statt »progressiv vs. regressiv« treffender als »Eltern-Kind-Kollusionen« zu bezeichnen. Darüber hinaus erweiterten sie den Begriff und beschrieben die »Kind-Kind-Kollusion« (
Abb. 4.2: Kind-Kind-Kollusion (auf Grundlage von König und Kreische 1991)
und Unterstützung sucht und wenig Eigenaktivität mitbringt, sondern das Gefühl vermittelt, die Therapeuten in ihrer elterlichen Rolle werden schon wissen, was gut für sie ist. Die Ratschläge, die sie auf diesem Weg womöglich tatsächlich erhalten, können jedoch ebenso »kindlich« oder »pubertär« zunichte gemacht werden. Hier gilt es, die ausgeprägten regressiven Tendenzen zu benennen und zu begrenzen und an der Verantwortungsübernahme zu arbeiten.
Besteht eine ausgeprägte Elternteil-Elternteil-Kollusion, wird es unter Umständen nicht gut möglich sein, ein stabiles Arbeitsbündnis zu entwickeln, da die Partner Schwierigkeiten damit haben, Anregungen, Konfrontationen oder Deutungen der Therapeuten anzunehmen. Sind die Therapeuten vielleicht noch jünger als das Paar, kann eine solche Übertragungsbereitschaft noch verstärkt werden. Dies kann sich in offener Herabsetzung, aber auch in subtilen, scheinbar freundlich-fördernden Aussagen wie einer Frage nach Ausbildungsfortschritt oder akademischem Grad äußern. Gelingt es, die jeweilige Abwehrfunktion zu identifizieren und mit dem Paar zu bearbeiten, kann ein fruchtbarer Prozess stattfinden. Dabei ist immer zu beachten, welche starke Dynamik kollusive Mechanismen auch bei den Therapeuten entfaltet. In der Inter- oder Supervision und mithilfe der Gegenübertragungsanalyse wird es oft
Abb. 4.3: Eltern-Eltern-Kollusion (auf Grundlage von König und Kreische 1991)
erst möglich, eine notwendige Distanzierung vom unmittelbaren Geschehen zu erreichen und sich wieder handlungsfähiger zu fühlen.
König und Kreische (1991) beschreiben zudem »gekreuzte Kollusionen« und damit Paare, die eine kollusive Verstrickung zeigen, dabei aber auf unterschiedlichen Niveaus der Triebfixierung »funktionieren«. Anders als bei einem polarisiert aufgeteilten gemeinsamen Grundkonflikt wird bei einem der Akteure ein Triebfixierungsniveau manifest, während das andere in der Latenz verbleibt. Beim Anderen ist es jeweils umgekehrt. Ein klassisches Beispiel ist das Zusammenspiel ödipal-hysterischer und zwanghafter Strukturiertheit. Hier erfährt der zwanghaft strukturierte Partner Lebendigkeit im manifesten Verhalten der hysterischen Partnerin, während diese von der Strukturiertheit der zwanghaften Veranlagung profitiert. Es bestehen die jeweils nicht offen gelebten, weil gefürchteten Anteile jedoch in der Latenz (vgl. auch das ausführliche Fallbeispiel in Kapitel 7.1,
Kollusive Elemente finden wir vermutlich in fast allen Partnerschaften, nicht zuletzt aufgrund der empfundenen Familiarität in der unbewussten Konflikthaftigkeit, die bei der Partnerwahl oft entscheidend ist. Ausschlaggebend für das Wachstum und die Weiterentwicklung als Paar, aber auch als einzelne Individuen in der Paarbeziehung ist das Vermögen, die abgewehrten und zunächst im Anderen evozierten Selbstanteile zu re-integrieren und re-internalisieren. Je flexibler mit regressiven wie progressiven