Versuchen wir, da die Regierung sich über diese Frage ausschweigt, die Lücke auszufüllen, indem wir die Verhältnisse des weiblichen Geschlechts in Frankreich zahlenmäßig feststellen. Wir wenden uns damit an die Aufmerksamkeit aller Freunde der öffentlichen Moral und rufen sie als Richter über unser Verfahren an. Wir werden versuchen, in unsern Schätzungen nicht kleinlich und in unsern Folgerungen möglichst genau zu sein, weil wir wünschen, daß das Ergebnis dieser Untersuchung allgemein anerkannt werde.
Man rechnet im allgemeinen die Einwohnerzahl Frankreichs zu dreißig Millionen.
Einige Naturwissenschaftler meinen, die Zahl der Frauen übersteige die der Männer; da aber viele Statistiker der entgegengesetzten Ansicht sind, so bedienen wir uns der Wahrscheinlichkeitsrechnung und nehmen die Zahl der Frauen zu fünfzehn Millionen an.
Von dieser Gesamtsumme ziehen wir zunächst ungefähr neun Millionen Geschöpfe ab, die auf den ersten Anblick eine ziemlich große Ähnlichkeit mit der Frau zu haben scheinen, die aber eine tiefer eindringende Prüfung uns zurückzuweisen nötigt.
Nämlich:
Die Naturforscher sehen im Menschen nur eine einzige Gattung der Ordnung Zweihänder, die von Duméril in seiner ›Analytischen Zoologie‹, Seite 16, aufgestellt ist und welcher Bory-Saint-Vincent, angeblich um sie zu vervollständigen, noch die Gattung Orang glaubte hinzufügen zu müssen.
Wenn diese Zoologen in uns nur ein Säugetier sehen, das zweiunddreißig Wirbel, ein Zungenbein und mehr Gehirnwindungen hat als irgendein anderes Tier; wenn für sie in dieser Ordnung keine andern Unterschiede bestehen, als die durch klimatische Einflüsse hervorgerufenen, die zur Einteilung in fünfzehn verschiedene Rassen führten, deren wissenschaftliche Namen ich nicht anzuführen brauche – so muß auch der Physiologe das Recht haben, nach gewissen Abstufungen der Intelligenz und nach gewissen moralischen und pekuniären Daseinsbedingungen seine Arten und Unterarten aufzustellen.
Nun bieten allerdings die neun Millionen Wesen, um die es sich hier handelt, auf den ersten Anblick alle dem Menschengeschlecht zugeschriebenen Merkmale: sie haben das Zungenbein und den Jochbogen. Es sei also den Herren vom Zoologischen Garten erlaubt, sie zur Gattung Zweihänder zu rechnen; aber daß wir in ihnen Frauen sehen sollten – das wird unsere Physiologie niemals zugeben!
Für uns und für die, denen dieses Buch zugedacht ist, ist eine Frau eine seltene Spielart der Gattung Mensch, und ihre hauptsächlichsten physiologischen Merkmale sind folgende:
Wir verdanken diese Abart der besondern Sorgfalt, die die Menschen, dank der Macht des Goldes und der moralischen Wärme der Kultur, auf ihre Aufzucht haben verwenden können. Man erkennt sie im allgemeinen an der Weiße, Reinheit und Weichheit der Haut. Sie hat eine angeborene Vorliebe für eine köstliche Reinlichkeit. Ihre Finger mögen nichts anderes berühren als glatte, weiche, duftende Gegenstände. Wie das Hermelin stirbt sie zuweilen vor Schmerz, wenn sie ihr weißes Kleid besudelt sieht. Sie liebt es, ihre Haare zu strählen, sie betäubende Düfte aushauchen zu lassen, ihre rosigen Nägel zu bürsten, sie mandelförmig zu beschneiden, oftmals ihre zarten Glieder zu baden. Nachts ist ihr nur das weichste Daunenlager behaglich, tags nur ein gut gepolsterter Diwan; daher bevorzugt sie denn auch von allen Lagen die horizontale. Ihre Stimme ist von einer durchdringenden Süße, ihre Bewegungen sind anmutig. Sie spricht mit einer wunderbaren Leichtigkeit. Sie widmet sich keiner mühevollen Arbeit; und trotzdem, trotz ihrer anscheinenden Schwäche gibt es Lasten, die sie mit einer fabelhaften Leichtigkeit zu tragen und zu bewegen weiß. Sie flieht den Glanz der Sonne und schützt sich davor durch sinnreiche Vorrichtungen. Gehen ist für sie eine Anstrengung. Ißt sie? Das ist ein Geheimnis. Teilt sie die Bedürfnisse der andern Menschenrassen? Das ist ein Problem. Überaus neugierig, läßt sie sich leicht von jemandem fangen, der ihr auch nur die geringste Kleinigkeit zu verbergen weiß – denn ihr Geist treibt sie unaufhörlich, das Unbekannte zu suchen. Lieben ist ihre Religion: sie denkt nur daran, dem zu gefallen, den sie liebt. Geliebt zu werden, ist der Zweck aller ihrer Handlungen; Begierden zu erregen der Zweck aller ihrer Bewegungen. Daher denkt sie auch nur an die Mittel, durch die sie glänzen kann; sie bewegt sich nur in einer Sphäre von Anmut und Eleganz; für sie hat die junge Indierin das weiche Haar der Tibetziege gesponnen, webt Tarare seine luftzarten Schleier, läßt Brüssel seine Klöppelnadeln mit dem reinsten und dünnsten Flachs hin und her schießen, entreißt Bisapur den Eingeweiden der Erde funkelnde Kiesel, vergoldet Sèvres seinen weißen Ton. Tag und Nacht denkt sie über neuen Putz nach, bringt ihr Leben damit zu, ihre Röcke stärken zu lassen, ihre Busentücher zu zerknittern. Glänzend und frisch zeigt sie sich Unbekannten, deren Huldigungen ihr schmeicheln, deren Wünsche sie entzücken, selbst wenn die Betreffenden ihr gleichgültig sind. Die Stunden, die die Pflege ihres Leibes und die Sinnenlust ihr übrig lassen, verwendet sie darauf, die süßesten Melodien zu singen: für sie ersinnen Frankreich und Italien ihre köstlichen Konzerte, gibt Neapel den Saiten eine harmonische Seele. Mit einem Wort: diese Abart des Menschen, die Frau, ist die Königin der Welt und die Sklavin eines Wunsches. Sie fürchtet sich vor der Ehe, weil diese ihr schließlich den Wuchs verderben würde; aber sie gibt sich ihr hin, weil sie das Glück verspricht. Wenn sie Kinder bekommt, geschieht es durch reinen Zufall; und wenn sie groß sind, verbirgt sie sie.
Finden diese Züge, die wir auf gut Glück unter tausend herausgreifen, sich bei jenen Geschöpfen wieder, deren Hände schwarz sind wie Affenhände, deren gegerbte Haut an alte Pergamente aus Olims Zeit erinnert; deren Gesicht von der Sonne verbrannt, deren Hals runzlig ist wie ein Truthahnhals? deren Stimme ein Gekrächze, deren Intelligenz gleich Null, deren Geruch unerträglich ist? die mit Lumpen bedeckt sind; die nur an ihren Backtrog denken; die fortwährend mit krummem Rücken die Erde bearbeiten; die hacken, eggen, heuen, Ähren lesen, mähen, Brot kneten, Hanf pochen? die in einem kunterbunten Durcheinander mit Vieh, Kindern und Männern in Löchern wohnen, wo sie kaum ein Strohbund haben? denen es endlich wenig darauf ankommt, wenn es ihnen Kinder ins Haus regnet? Viele Kinder zu erzeugen, um viele dem Elend und der Arbeit zu überliefern, ist ihre ganze Aufgabe; und wenn sie ihre Liebe nicht als eine Arbeit betrachten wie die Feldarbeit, so ist sie zum mindesten eine Spekulation.
Ach! wenn es auf der ganzen Welt Kaufmannsfrauen gibt, die den ganzen Tag zwischen Kerzen und Farinzucker sitzen; Pächtersfrauen, die Kühe melken; Unglückliche, die man in den Fabriken als Lasttiere benutzt, oder die mit Hacke, Hucke und Gemüsekorb sich schleppen; wenn es unglücklicherweise nur zu viele gemeine Geschöpfe gibt, für die das Leben der Seele, die Wohltaten der Erziehung, die köstlichen Stürme des Herzens ein unerreichbares Paradies sind, und wenn die Natur gewollt hat, daß sie ein Zungenbein und zweiunddreißig Wirbel haben – so mögen sie für den Physiologen in der Gattung Orang verbleiben! Hier beschäftigen wir uns nur mit den Müßigen; mit denen, die Zeit und Geist haben, um zu lieben; mit den Reichen, die sich um ihr Geld den Besitz der Leidenschaften erworben haben; mit den Geistigen, die sich das Monopol phantastischer Träume gewonnen haben. Verflucht sei alles, was nicht geistig lebt! Sagen wir ›Racha!‹ und wieder ›Racha!‹ zu allem, was nicht heißblütig, jung, schön und leidenschaftlich ist! Dies ist der öffentliche Ausdruck für das geheime Gefühl der Menschenfreunde, die lesen können oder sich eigene Equipage zu leisten vermögen. In den von uns mit dem Bann belegten neun Millionen sehen der Steuereinnehmer, der Verwaltungsbeamte, der Gesetzgeber, der Priester ohne Zweifel Seelen, Untertanen, Gerichtssassen, Steuerpflichtige – aber der feinfühlige Mensch, der Boudoirphilosoph essen wohl das Kaffeebrötchen aus dem von jenen Geschöpfen gesäten und geernteten Korn, aber sie werden sie, wie wir es tun, aus der Gattung ›Frau‹ ausschließen. Für sie ist ›Frau‹ nur eine solche, die Liebe einflößen kann; daher gibt's als Frau nur ein Geschöpf, das durch eine gewählte Erziehung zum Priestertum des Gedankens geweiht ist; in dem der Müßiggang alle Macht der Einbildungskraft entwickelt hat – mit einem Wort ein Wesen, dessen Seele in der Liebe ebenso hohe geistige Genüsse wie körperliche Wonnen erträumt.
Wir wollen indessen darauf hinweisen, daß diese neun Millionen weiblicher Parias hier und da einige tausend Bauernmädchen hervorbringen, die seltsamerweise schön wie Liebesgöttinnen sind; diese kommen nach Paris oder in andere große Städte und steigen schließlich zum Range feiner Damen empor; aber auf diese zwei oder dreitausend Bevorzugte kommen hunderttausend andere, die Dienstmädchen