Physiologie der Ehe. Оноре де Бальзак. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Оноре де Бальзак
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955014742
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Gehirn. Am Tage, wo er sich sagte: »Dieses Werk, das mich verfolgt, es soll entstehen!« – war alles verschwunden; und wie die drei Belgier fand er ein Skelett, wo er sich gebückt hatte, um einen Schatz zu heben.

      Eine sanfte, blasse Gestalt trat an die Stelle des dämonischen Versuchers; sie hatte liebenswürdige Manieren und ein gutmütiges Wesen, ihren Einwendungen fehlten die scharfgeschliffenen Spitzen der Kritik. Sie war mit Worten freigebiger als mit Gedanken und schien eine Angst vor jedem Lärm zu haben. Vielleicht war sie der Hausgeist der ehrenwerten Abgeordneten, die das Zentrum der Kammer bilden.

      »Ist es nicht besser,« fragte die Gestalt, »man läßt die Dinge, wie sie sind? Steht es denn wirklich so schlimm mit ihnen? An die Ehe muß man glauben wie an die Unsterblichkeit der Seele; und ganz gewiß schreiben Sie kein Buch, um das Glück der Ehe zu preisen. Übrigens werden Sie ohne Zweifel Ihre Schlüsse aus tausend Pariser Ehen ziehen, die nur Ausnahmen sind. Sie werden vielleicht Gatten finden, die bereit sind, Ihnen ihre Frauen preiszugeben; aber kein Sohn wird Ihnen seine Mutter preisgeben ... Leute, die durch die von Ihnen vorgebrachten Meinungen verletzt sind, werden Ihre Sitten in Zweifel ziehen, werden Ihre Absichten verleumden. Endlich muß man, um die Skrofeln der Gesellschaft durch Berührung zu heilen, König oder zum mindesten Erster Konsul sein.«

      Obwohl sie in der Gestalt auftrat, die dem Verfasser am besten gefallen konnte, wurde die Vernunft nicht erhört; denn in der Ferne schwenkte die Narrheit Panurgs Schellenkappe, und die wollte er haben; aber als er sie zu ergreifen versuchte, stellte es sich heraus, daß sie so schwer war wie die Keule des Herkules. Außerdem hatte der Pfarrer von Meudon sie auf eine Weise verziert, daß ein junger Mann, dem weniger daran liegt, ein gutes Buch zu schreiben, als tadellose Handschuhe zu tragen, sie wirklich nicht anfassen konnte.

      »Ist unser Buch fertig?« fragte die jüngere der beiden weiblichen Mitverschworenen den Verfasser.

      »Ach, gnädige Frau, werden Sie mich für all den Haß entschädigen, den es mir vielleicht zuziehen wird?«

      Sie machte nur eine Handbewegung, und auf diesen unbestimmten Ausdruck erwiderte der Verfasser mit einem Achselzucken.

      »Wie? Sie wollten zögern? Veröffentlichen Sie es, haben Sie keine Furcht! Heutzutage nehmen wir Frauen ein Buch vielmehr wegen der Machart als wegen des Stoffes.«

      Obwohl der Verfasser hier nur als der bescheidene Sekretär zweier Damen auftritt, hat er doch durch die Sichtung und Anordnung ihrer Beobachtungen mehr als eine Aufgabe vollbracht. Eine einzige war vielleicht hinsichtlich der Ehe noch unerfüllt geblieben: nämlich die Gedanken zusammenzutragen, die jedermann denkt und niemand ausspricht. Aber wenn man eine derartige Studie mit jedermanns Geist macht, heißt das nicht, sich der Gefahr aussetzen, niemandem zu gefallen? Indessen wird vielleicht der Eklektizismus dieser Studie sie retten. Bei allem Spott hat der Verfasser doch versucht, einige tröstende Ideen zu verbreiten. Fast immer hat er sich bemüht, unbekannte Triebfedern in der Menschenseele zu wecken. Indem er die materiellsten Interessen verteidigt, beurteilt oder verurteilt hat, wird er vielleicht auf mehr als einen geistigen Genuß aufmerksam gemacht haben. Aber der Verfasser leidet nicht an der dummen Einbildung, es sei ihm stets gelungen, geschmackvolle Scherze zu machen; nur hat er auf die Verschiedenheit der Geister gerechnet, um nicht mehr Tadel als Beifall zu ernten. Der Stoff war so ernst, daß er beständig versucht hat, ihn ›anekdotisch zu gestalten‹; denn heutzutage sind die Anekdoten Freipaß aller Moral und das Antinarkotikum aller Bücher. In diesem nun, wo alles Analyse und Beobachtung ist, ließen die Ermüdung beim Leser und das ›Ich‹ beim Verfasser sich nicht vermeiden. Dies ist so ziemlich das größte Unglück, das einem Werk zustoßen kann, und der Verfasser hat sich dies nicht verhehlt. Er hat also die Grundstoffe dieser langen Studie derartig angeordnet, daß der Leser ab und zu haltmachen kann. Dieses System ist durch einen Schriftsteller gerechtfertigt worden, der über den ›Geschmack‹ eine der vorliegenden über die ›Ehe‹ ziemlich ähnliche Arbeit verfaßte; es sei erlaubt, eine Anleihe von wenigen Worten zu machen, um einen den beiden Verfassern gemeinsamen Gedanken auszudrücken. Der Verfasser wird damit seinem Vorgänger, der so bald nach seinem Erfolge starb, gewissermaßen seine Ehrerbietung bezeigen:

      »Wenn ich von ›mir‹ in der Einzahl schreibe und spreche, so halte ich ein vertrauliches Gespräch mit dem Leser; er mag prüfen, diskutieren, zweifeln und sogar lachen; aber wenn ich mich mit dem erhabenen ›Wir‹ bewaffne, dann allerdings muß der Leser sich unterwerfen.« (Brillat-Savarin, Vorrede zur ›Physiologie des Geschmacks‹.)

      5. Dezember 1829.

      Allgemeine Betrachtungen

       Gegen unvernünftige Gesetze werden wir Reden halten, bis man sie bessert, und unterdessen werden wir uns ihnen blindlings unterwerfen. Diderot.

      Physiologie, was willst du von mir?

      Ist es dein Zweck, uns nachzuweisen, daß die Ehe zwei Wesen, die sich nicht kennen, für das ganze Leben vereinigt?

      Daß Leben gleichbedeutend ist mit Leidenschaft und daß keine Leidenschaft der Ehe standhält?

      Daß die Ehe eine zur Aufrechterhaltung der Gesellschaft notwendige Einrichtung ist, daß sie aber den Gesetzen der Natur widerspricht?

      Daß die Scheidung, dieses wunderbare Mittel gegen die Leiden der Ehe, durch einstimmiges Begehren zurückgefordert werden wird?

      Daß trotz allen ihren Unannehmlichkeiten die Ehe die erste Quelle des Eigentums ist?

      Daß sie den Regierungen unschätzbare Unterpfänder der Sicherheit darbietet?

      Daß etwas Rührendes darin liegt, wenn zwei Wesen sich vereinigen, um gemeinsam die Mühen des Lebens zu ertragen?

      Daß etwas Lächerliches darin liegt, verlangen zu wollen, daß ein und derselbe Gedanke zwei Seelen lenke?

      Daß die Frau als Sklavin behandelt wird?

      Daß es keine vollständig glückliche Ehe gibt?

      Daß die Ehe mit Verbrechen schwanger geht und daß die bekannt gewordenen Mordtaten nicht die schlimmsten sind?

      Daß Treue unmöglich ist, wenigstens dem Mann?

      Daß eine Untersuchung über die Erbüberlieferung des Eigentums – wenn eine solche Untersuchung überhaupt möglich wäre – mehr Beunruhigungen als Sicherheit hervorrufen würde?

      Daß der Ehebruch mehr Nachteile verursacht, als die Ehe Vorteile?

      Daß die eheliche Untreue der Frau in die ältesten Zeiten gesellschaftlicher Bildungen hinaufreicht und daß, diesen beständigen Betrügereien zum Trotz, die Ehe fortbesteht?

      Daß die Gesetze der Liebe zwei Wesen so fest miteinander verbinden, daß kein Menschengesetz sie trennen kann?

      Daß es nicht nur Ehen gibt, die in die Standesamtsregister eingetragen werden, sondern auch Ehen, die durch ein Verlangen der Natur sich bilden, durch eine süße Übereinstimmung oder gänzliche Verschiedenheit im Denken und durch körperliche Gestaltungen – daß also Himmel und Erde ohne Unterlaß einander widersprechen?

      Daß es Ehemänner von stattlicher Gestalt und überlegenem Geiste gibt, deren Frauen sehr häßliche, kleine oder dumme Liebhaber haben? – –

      Jede dieser Fragen würde im Notfall für ein Buch ausreichen; aber diese Bücher sind bereits geschrieben, und die Fragen werden beständig beantwortet.

      Physiologie, was willst du von mir?

      Offenbarst du neue Grundsätze? Willst du behaupten, man müsse die Frauen zu Gemeingut machen? Lykurg und einige griechische Stämme, Tataren und Wilde haben es versucht.

      Müßte man etwa die Frauen einsperren? Die Mohammedaner haben es getan und setzen sie heute in Freiheit.

      Müßte man etwa die Mädchen ohne Mitgift vermählen und sie vom Erbfolgerecht ausschließen?