Physiologie der Ehe. Оноре де Бальзак. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Оноре де Бальзак
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783955014742
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rechnen wir zunächst die neun Millionen Zweihänder mit zweiunddreißig Wirbeln ab und ziehen für unsere physiologische Untersuchung nur sechs Millionen in Betracht. Männer wie Marceau, Massena, Rousseau, Diderot, Rollin entsprießen oftmals plötzlich dieser gärenden gesellschaftlichen Trebermasse, hier wollen wir aber mit Absicht etwas ungenau sein. Diese Rechenfehler werden zum Schluß mit ihrem ganzen Gewicht in Betracht kommen und werden nur die furchtbaren Ergebnisse bekräftigen, die ein Einblick in das Getriebe der für unser öffentliches Leben bedeutungsvollen Leidenschaften uns enthüllen wird.

      Von den sechs Millionen bevorrechtigter Männer wollen wir drei Millionen Greise und Kinder abziehen.

      Dieser Abzug – wird man sagen – belief sich bei den Frauen auf vier Millionen.

      Dieser Unterschied könnte allerdings auf den ersten Blick auffallend erscheinen, läßt sich aber leicht rechtfertigen.

      Das Durchschnittsalter, in dem die Frauen sich verheiraten, ist zwanzig Jahre, und vom vierzigsten Jahre an gehören sie nicht mehr der Liebe zu eigen.

      Nun macht aber schon ein junger Bursch von siebzehn Jahren ganz tüchtige Risse in die Pergamente der Eheverträge, und ganz besonders in die ältesten, so sagen wenigstens die Skandalchroniken.

      Ferner ist ein Mann von zweiundfünfzig in diesem Alter gefährlicher als in jedem andern. In diesem schönen Lebensalter verfügt er nicht nur über eine teuer bezahlte Erfahrung, sondern auch über das Vermögen, das er sich erworben haben wird. Da die Leidenschaften, deren Stachel ihn treibt, die letzten sind, so ist er unerbittlich und stark wie jemand, der von der Strömung eines Flusses fortgerissen wird und nach einem grünen schwankenden Weidenzweig greift, der im letzten Frühjahr erst gesprossen ist.

      XIV. In physischer Beziehung ist ein Mann länger Mann, als eine Frau Frau ist.

      Soweit die Ehe in Betracht kommt, beläuft sich also der Unterschied in der Zeitdauer des Liebeslebens des Mannes und der Frau auf fünfzehn Jahre. Dieses beträgt drei Viertel der Zeit, während welcher ein Mann unter der Untreue seiner Frau leiden kann. Bei dem Abzug jedoch, den wir von der Gesamtzahl der Männer gemacht haben, beträgt der Unterschied nur höchstens ein Sechstel im Vergleich mit dem Ergebnis des Abzugs, den wir bei der Gesamtzahl der Frauen vorgenommen haben.

      Groß ist die Bescheidenheit unserer Berechnungen! Unsere Gründe hinwiederum sind von einer so hausbackenen Augenfälligkeit, daß wir sie nur der Genauigkeit wegen auseinandergesetzt haben und um jeder Kritik zuvorzukommen.

      Es ist also jedem Philosophen – wenn er auch nur ein ganz klein wenig rechnen kann – bewiesen, daß es in Frankreich eine Durchschnittszahl von drei Millionen Männern im Alter von mindestens siebzehn bis höchstens zweiundfünfzig Jahren gibt, die sich's alle wohl sein lassen, gute Zähne haben, mit denen sie zu beißen gedenken und auch beißen, und die an nichts weiter denken, als stracks und stramm den Weg zum Paradiese zu wandeln.

      Nach den bereits angestellten Beobachtungen dürfen wir aus dieser Gesamtzahl eine Million Ehemänner ausscheiden. Nehmen wir einen Augenblick an, daß diese, zufrieden und immer glücklich wie unser Mustergatte, sich mit der ehelichen Liebe zufriedengeben.

      Aber unsere zwei Millionen Junggesellen brauchen keine fünf Sous Rente, um Liebesabenteuer zu haben.

      Aber ein Mann braucht nur gut zu Fuß zu sein und seine Augen zu gebrauchen zu wissen, um das Porträt eines Ehemannes vom Nagel zu heben.

      Aber er braucht kein hübsches Gesicht zu haben, braucht nicht einmal stattlich von Gestalt zu sein.

      Aber wenn ein Mann nur Geist, eine vornehme Erscheinung und Lebensart hat, fragen die Frauen ihn niemals, wo er herkommt, sondern nur, wo er hin will.

      Aber die Reize der Jugend sind das einzige Gepäck der Liebe.

      Aber ein Frack von Vuisson, ein Paar Handschuhe von Boivin, elegante Stiefel, die der Meister mit Zittern auf Kredit geliefert hat, eine gutgeknotete Krawatte genügen, um einen Mann zum König eines Salons zu machen.

      Aber bilden nicht die Militärs – wenn auch die Vorliebe für Epaulettenfransen und Achselschnüre recht tief gesunken ist – immer noch, ganz für sich allein, eine höchst gefährliche Legion von Junggesellen? ... Von Eginhard wollen wir nichts sagen, denn er war ja nur ein Privatsekretär – aber hat nicht ganz kürzlich erst eine Zeitung berichtet, daß eine deutsche Prinzessin einem einfachen Kürassierleutnant von der Kaisergarde ihr ganzes Vermögen vermacht hat?

      Aber der Dorfnotar, der hinten in der Gascogne jährlich höchstens seine sechsunddreißig Urkunden auszufertigen hat, schickt seinen Sohn als stud. jur. nach Paris; der Strumpfwirker wünscht, daß sein Sohn Notar werde; der Rechtsanwalt bestimmt den seinigen für die Verwaltungslaufbahn; der Verwaltungsbeamte will Minister werden, um seinen Kindern die Pairswürde zu verschaffen. Zu keiner Zeit, solange die Welt steht, war ein so brennender Durst nach Bildung vorhanden. Heutzutage läuft nicht mehr der Esprit auf allen Straßen herum, sondern das Talent. Aus allen klaffenden Spalten unserer Gesellschaftsordnung sprießen leuchtende Blumen, wie im Frühjahr auf verfallenden Mauern; selbst in den Gewölben der Kellerhöhlen wachsen blasse Gewächse, die in frischen Farben prangen werden, wenn nur die Sonne der Bildung einen Strahl auf sie fallen läßt. Seitdem die Gedanken sich in so ungeheurer Weise entwickelt haben, seitdem das befruchtende Licht so gleichmäßig sich verteilt hat, haben wir beinahe keine überlegenen Geister mehr, weil in jedem Menschen die gesamte Bildung seines Jahrhunderts sich verkörpert. Wir sind von lebenden Enzyklopädien umgeben: sie gehen, denken, handeln und wollen ewig werden. Daher diese beunruhigenden Erschütterungen hochstrebenden Ehrgeizes und rasender Leidenschaft: wir brauchen andere Welten; wir brauchen Bienenkörbe, die bereit sind, alle diese Schwärme aufzunehmen, und vor allen Dingen brauchen wir viele hübsche Frauen.

      Aber dann die Krankheiten, von denen ein Mann betroffen werden kann – sie bewirken keinen Ausfall in der Gesamtzahl der männlichen Leidenschaften. Zu unserer Schande ist es wahr, daß eine Frau niemals so innig an uns hängt, wie wenn wir leidend sind! ...

      Und wenn wir hieran dächten, dann müßten alle gegen das kleine Geschlecht – vom ›schönen Geschlecht‹ zu reden, ist ja jetzt recht altmodisch –, dann müßten, sage ich, alle gegen das kleine Geschlecht geschleuderten Epigramme ihre scharfen Stachel ablegen und sich in Madrigale verwandeln! Alle Männer sollten bedenken, daß Liebe die einzige Tugend der Frau ist, daß alle Frauen in wunderbarem Maße tugendhaft sind, und sollten damit das Buch zuklappen und die Betrachtung schließen.

      Ah! Erinnerst du dich jenes traurigen, schwarzen Augenblicks, wo du einsam und leidend alle Menschen, besonders deine Freunde, anklagtest, wo du schwach und entmutigt an den Tod dachtest, wo dein Kopf auf einem widerlich heißen Kissen lag und dein Leib auf einem Bettuch, dessen weißes Linnengewebe sich schmerzhaft in deine Haut eindrückte, wo du deine weit aufgerissenen Augen über die grüne Tapete deines stillen Zimmers schweifen ließest? Erinnerst du dich, sage ich, wie du sie sahst, als sie geräuschlos deine Tür öffnete, ihren jungen blonden Kopf im Rahmen goldener Locken und eines neuen Hutes zeigte, wie sie erschien gleich einem Stern in einer Gewitternacht, wie sie lächelnd, halb bekümmert, halb glücklich, ins Zimmer eilte und auf dich zustürzte!

      »Wie hast du es angefangen? Was hast du deinem Mann gesagt!« fragtest du.

      Ein Ehemann! ... Ah! Da sind wir wieder mitten in unserm Thema.

      XV. In moralischer Beziehung ist der Mann öfter und länger Mann, als die Frau Frau ist.

      Indessen müssen wir in Betracht ziehen, daß es unter diesen zwei Millionen Junggesellen viele unglückliche gibt, bei denen ein tiefes Bewußtsein ihres Elends und die Notwendigkeit, hart zu arbeiten, die Flamme der Liebe ersticken.

      Daß sie nicht alle das Gymnasium besucht haben, daß es viele Handwerker gibt, viele Lakaien – der sehr häßliche und kleine Herzog von Gèvres bemerkte bei einem Spaziergang im Versailler Park einige sehr schön gewachsene Lakaien und sagte zu seinen Freunden: »Guckt nur mal, wie wir diese Kerle machen und wie sie uns machen!« – viele Bauunternehmer, viele Industrielle, die nur an Geld denken, viele Ladenschwengel.

      Daß