Sex Revolts. Simon Reynolds. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Simon Reynolds
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783955756079
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sich weist und sein Leben Schritt für Schritt lebt, im Jetzt. Der verlorene Sohn ist extravagant, verschwendet seine Zeit und weigert sich, vor den Konsequenzen und anderen Beschränkungen des Erwachsenseins Angst zu haben.

      Doch wer ohne Gesetze lebt und seiner Sehnsucht 24 Stunden am Tag verpflichtet ist, lebt gefährlich. Die Revolte gegen das Realitätsprinzip (das eine Zurückstellung der Befriedigung erzwingt) öffnet einer existenziellen Leere die Tür, in der aus Sehnsucht etwas Dämonisches werden kann: Der ultimative Rebell entpuppt sich als Psychopath. Auf Let It Bleed (1969) hat sich der sexuelle Nomade der Stones in den herumstreunenden Sexualmörder des Songs »Midnight Rambler« verwandelt, der sich nicht einfach nur von seinem Zuhause lossagt, sondern in die Häuser anderer einbricht. Hier erkannten die Stones zum ersten Mal, dass die gegenkulturellen Anstrengungen, jede Moral von sich zu weisen, zu weit gegangen waren. Hatten sie sich einst noch in »Mother’s Little Helper« über verzweifelte Hausfrauen mittleren Alters lustig gemacht, die auf Beruhigungsmittel angewiesen sind, sind es in »Gimme Shelter« sie selbst, die sich von der Welt zurückziehen und nach einem Zufluchtsort sehnen. Einst waren die Stones bedrohlich, weil ihr auf der Jagd befindlicher Machismo von der unterschwelligen Aussicht auf eine Vergewaltigung geschwängert war; nun warnen sie uns vor der ständigen Gefahr durch »rape and mu-u-urdah«. In »You Can’t Always Get What You Want« erkennen sie die Gültigkeit von Grenzen an. Ihre Rücksichtslosigkeit lassen sie hinter sich und erklären, genug von ihrer eigenen Unersättlichkeit zu haben.

      Iggy Pop war ein weiterer archetypischer Rock-Rebell, der so sehr von Mobilität besessen war, wie ihm emotionale Stagnation Angst machte. »Ich will niemals vor einem Teller Erbsen und Kartoffeln sitzen, während irgendeine Schabracke, der die Schmiere aus dem Gesicht fällt, herumkeift und ich das schlucke«, sagte er 1979 in einem Interview mit dem NME. »Ich sage dir, all die Schlampen – all diese Frauen – wollen mich jetzt, weil sie die Stärke in mir spüren können, und sie wollen sie sooo sehr. Aber sie werden mich nicht kriegen, oh nein – nur unter meinen Bedingungen, und die sehen so aus, dass ich sie anrufe, ihnen befehle, zu einer bestimmten Zeit in einem guten körperlichen Zustand an einem bestimmten Ort zu sein, damit ich sie ficken und mich dann wieder verziehen kann, verdammt noch mal. Denn ich habe Wichtigeres zu tun und ich kann und werde meine Zeit nicht verschwenden.« Iggy hatte eine Art Sex-Lieferservice organisiert, der über bloßen sexuellen Nomadismus hinausging. Im Stooges-Song »Scene of the Crime« erzählt Iggy von einer Affäre mit einer älteren Frau in der Vorstadt: Sie gab ihm Geld, Liebe und Blowjobs, doch jetzt, wo sie alt, hässlich und begriffsstutzig wird, wird er sie verlassen. »I Gotta Right« indessen ist eine Unabhängigkeitserklärung, die nur dadurch aufrechterhalten werden kann, dass er sein Recht wahrnimmt, jederzeit weiterzuziehen.

       WILD IN THE WILDERNESS

      Lynyrd Skynyrds fiebriger funky Boogie fing die Niedergeschlagenheit, die dem Ende der Gegenkultur folgte, das Gefühl beschränkter Möglichkeiten, perfekt ein. Es gibt auch Gemeinsamkeiten mit der Outlaw-Country-Bewegung, deren Vorreiter Künstler wie Waylon Jennings und Willie Nelson waren und die die Entwicklung von Country hin zum Formatradio ablehnten. Wie Rock Anfang der 1980er, bemängelte die Outlaw-Bewegung die Schließung der American frontier: Rock bezog sich, wenn er den Verlust dieser Sphäre der Freiheit thematisierte, auf die 1960er. Im Falle von Country übernahm der Wilde Westen selbst diese Funktion. Und wo Rock den Biker romantisierte, war es im Country der Trucker, der als Cowboy des 20. Jahrhunderts galt. Beide Genres blickten zurück auf vergangene, glorreichere Zeiten.

      Wie in der echten Pionierära auch sind Frauen in Easy Rider extreme Randfiguren. Ziemlich am Anfang ihrer Reise von Los Angeles durch den trostlosen Südwesten machen die Helden mit ihren Motorrädern Stopp bei einem Bauern und zeigen sich von seiner Selbstständigkeit beeindruckt – stille, als Babymaschine fungierende Ehefrau inklusive. Es wird deutlich, dass sie ihn respektieren, weil er »sein eigener Mann« ist. Später besucht das Duo eine Hippie-Kommune, wo Aussteiger aus der Mittelschicht versuchen,