Man vergleiche The Clash mit einem Album, das weniger als ein Jahr zuvor erschienen war, Thin Lizzys Jailbreak. Die irischen Hardrocker präsentierten eine mehr oder weniger identische Mischung aus Abtrünnigen-Mythos und der Mittsiebziger-Furcht vor Totalitarismus, nur dass sie diese in Science-Fiction-Bildern ausdrückten und das Ganze in einen Sound kleideten (von Hendrix inspirierten Raunch’n’Roll), der nur minimal traditioneller war als die »Garageland«-Stampfer von The Clash. Jailbreak ist eine Art Konzeptalbum, das in einer von Computern kontrollierten, dystopischen Zukunft spielt und von einer Revolte gegen den bösartigen »Overmaster« erzählt. Die Sleevenotes beschreiben eine Bande Gefangener (nämlich Thin Lizzy), die einen Gefängnisaufstand starten und ausbrechen. Dann nehmen sie »ausgewähltes Material« auf und senden es, was »eine Anhängerschaft« inspiriert, »die dann auf die Straßen geht und etwas lostritt, was schließlich zum finalen Krieg werden wird«. In Songs wie »Warriors«, »Fight or Fall« und »Cowboy Song« deklinierte Frontmann Phil Lynott dieselben Archetypen männlicher Rebellion durch, die The Clash auf späteren Alben nachahmen würden, während die Hitsingle des Albums, die Hymne »The Boys Are Back in Town«, ohne Zweifel Allen Ginsbergs herzliche Zustimmung gefunden hätte.
Im Jahr des Durchbruchs von Punk waren Thin Lizzy kurzzeitig Kritikerlieblinge. »The Boys Are Back in Town« schaffte es 1976 auf Platz eins der Kritikerumfrage des NME. Doch nachdem Punk 1977 zum Neuen Testament geworden war, wurden Thin Lizzy aus dem Paradies verbannt – wegen ihres sentimentalen Romantizismus und ihres prahlerischen Chauvinismus. Die Gemeinsamkeiten zwischen den Jungs-Genres Hardrock und Punk wurden allerdings noch einmal betont, als Steve Jones und Paul Cook nach dem Ende der Pistols anfingen, mit Phil Lynott abzuhängen, und das kurzlebige Projekt The Greedies ins Leben riefen. Was The Clash anging, war es – trotz ihrer Erklärung, 1976 sei das Jahr Null der Rockmusik – immer klar, dass sie der Rock-’n’-Roll-Tradition tief verbunden waren, auch wenn damals niemand die Gemeinsamkeiten mit Thin Lizzy erkannte. Unweigerlich wurden ihre Musik und ihr Image, trotz »I’m So Bored with the U.S.A.«, immer amerikanischer, je stärker sie den Sog des dortigen Marktes spürten. Vier Jahre später spielten sie als Vorband für die betagten Rock-Rebellen The Who in riesigen US-Stadien. Ihr Platz im Rock-Pantheon war gesichert, als der Rolling Stone ihre Doppel-LP London Calling zum besten Album der 1980er wählte.3
WHITE RIOT
Wenn die Gesellschaft ein Gefängnis ist, propagierten The Clash keinen Ausbruch, sondern einen Aufstand. »White Riot« war von den Ausschreitungen beim Notting Hill Carnival im August 1976 inspiriert, als schwarze Jugendliche aufgrund polizeilicher Verfolgung den größten Ausbruch zivilen Ungehorsams in Großbritannien seit 1958 lostraten. The Clash identifizierten sich mit den Aufständischen und beneideten sie gleichzeitig, also riefen sie die weiße Jugend zu ihrer eigenen Revolte auf. »White Riot« war nur die jüngste Fortsetzung einer langen Tradition weißer Radikaler, die auf der Suche nach einem Vorbild für rebellische Maskulinität bei schwarzen Radikalen fündig wurden.4 Sowohl Punks als auch Rastas und Rude Boys fühlten sich wie Exilanten und Ausgestoßene, doch anders als Letztere hatten die Punks keine spirituelle Heimat in Afrika, von der sie träumen konnten.
Die Agitation der frühen The Clash fand später im Oi! eine Fortsetzung, einer Subkultur in den späten 1970ern und frühen 1980ern, die sich dem Slogan »Punk’s not dead!« verschrieben hatte. Oi!-Bands rückten die Working-Class-Perspektive, die Artschool-Bands wie The Clash nur vortäuschten, in den Fokus, waren politisch allerdings weniger eindeutig. Es gab Bands, deren Weltanschauung quasi über Nacht von Neonazismus zu Trotzkismus wechselte. Die meisten blieben aber auf einer präpolitischen Ebene stecken. Sie protestierten gegen ihre Lebensumstände im Alltag und repräsentierten voller Stolz die Kultur der Arbeiterklasse. Die extrem rechten Bands wie Skrewdriver jedoch nahmen die Bedeutung von »White Riot« wörtlich (da sich Punk schwer eindeutig politisch einordnen ließ, hatten einige den Song als faschistische Hymne fehlinterpretiert). Die linke Militanz ist manchmal schwer von der Kriegslust der Rechten zu unterscheiden; beide werden sie von ähnlichen hormonellen Energien angetrieben. Anfang der 1990er lebte der »Hate-Rock« wieder auf, als in Amerika und Europa (vor allem in Deutschland und Osteuropa) rassistische Bands auf den Plan traten. Allein schon die Tatsache, dass der Skinhead-Look von rechts- wie linksextremistischen Gruppen aufgegriffen wurde, spricht für eine ähnliche Mentalität: Beide waren diszipliniert und dogmatisch, beide bezeichneten, wie Simon Frith anmerkte, ihre Feinde (jeweils die anderen) als Abschaum und Gesindel, und beide lehnten die verweichlichte, affektierte Dekadenz der Mittelschicht ab.
STREET FIGHTING MEN
All das liegt dem Romantizismus von The Clash fern. Und doch macht einen Teil ihres Reizes aus, dass sie eindeutig Kämpfer waren. Der anfänglichen, von der Kunsthochschule beeinflussten Phase (Kleidung, die mit Slogans beschmiert war oder mit Flecken, die an Jackson Pollocks Action Painting erinnerten) folgte ein Image, das militärische Kleidung mit den Tollen und dem Leder des traditionellen amerikanischen Rockrebellen kreuzte. Bilder des vom Bürgerkrieg erschütterten Belfast dienten ihnen als Hintergrundkulisse und Coverfotos; viele Songs spielten zu Kriegszeiten und verwendeten eine martialische Bildsprache. »1977« vom Debütalbum imaginiert, wie der mit der Oberschicht assoziierte Londoner Stadtteil Knightsbridge von Maschinengewehrfeuer attackiert wird. Auf dem Höhepunkt der in den Medien verbreiteten Panik wegen Punk wurden ihre Gigs regelmäßig von örtlichen Behörden abgesagt, woraufhin Bernie Rhodes davon fantasierte, als Reaktion auf eine dieser Absagen mit einem Panzer vor dem Stadtrat aufzufahren.
Als ihr zweites Album Give ’Em Enough Rope 1978 erschien, hatten sich The Clash zu Anführern einer abgerissenen Anhängerschaft aufgeschwungen, die sie zu einer Zeit mobilisierte, als Großbritannien von Arbeits- und politischen Grabenkämpfen sowie einem wirtschaftlichen Zusammenbruch auseinandergerissen zu werden schien. Auf dem Album finden sich Songs wie »English Civil War« und »Tommy Gun« und in der Hülle befand sich ein Poster, auf dem The Clash vor einer Weltkarte posierten, auf der Konfliktzonen und Orte, an denen Gräueltaten begangen wurden, markiert sind. Auf London Calling (1979) sehnt sich »Spanish Bombs« nach den Heldentaten, die der Spanische Bürgerkrieg möglich gemacht hatte, während »Death or Glory« laut jenen Kompromiss beklagt, der irgendwann jeden Rebellen zerbricht: Häuslichkeit. Ob Kleinkriminelle oder Rock ’n’ Roller: Sie alle werden dadurch ruiniert, dass sie »payments on a sofa or a girl« zu leisten haben. Der Titeltrack inszeniert sich als Radioübertragung im stream of consciousness vor einer apokalyptischen Kulisse des sozialen Verfalls. Der Titel des Songs bezieht sich auf die Propagandasendungen der BBC im Zweiten Weltkrieg, während der Refrain ein Weckruf sein will, gerichtet an die »Zombies« Großbritanniens im kulturellen Tiefschlaf. Diese Metapher würde die Band Jahre später mit der Single »This Is Radio Clash« wieder aufgreifen, einer weiteren Piratenradiosendung im Krieg, in der die Band »aural ammunition«5 verschoss. Die quasi gerappten Lyrics schauten auf die panoramaartig-paranoiden Visionen von Public Enemy voraus, die Rap als das »schwarze Äquivalent zu CNN« betrachteten, dem amerikanischen Nachrichtenkanal, der rund um die Uhr News sendet.
Der Titel des nächsten Albums Sandinista! (1980) zollte den Guerillakämpfern in Nicaragua Tribut, die ein korruptes, von den USA abhängiges Marionettenregime gestürzt hatten. Combat Rock (1982) stellte ihren bislang offensichtlichsten und plumpesten Versuch dar, The Clash als Musik »for fighters, not lovers« zu definieren. Die Hitsingle, die Combat Rock abwarf, »Rock the Casbah«, erzählt von einem islamischen Herrscher, der einen Bombenangriff auf ein Gebäude anordnet, in dem Rockmusik gespielt wird; ein nicht ernst gemeintes Szenario, dem dennoch ein Hauch Neid angehaftet haben könnte: die Vorstellung, wie aufregend es wäre, in einer Gesellschaft zu leben, wo Rockmusik zu spielen oder auch nur zu hören als Staatsverbrechen