Weil seine dominierende Mutter sich weigert, abzudanken, wird Charles zu einer entmännlichten, verschrobenen, lachhaften Figur. Ähnlich tönt Morrissey: »When you’re tied to your mother’s apron / no one talks about castration.« Der Stillstand Englands scheint direkt in Verbindung mit diesem Matriarchat zu stehen, das seine Söhne zu Stillstand und ewiger Adoleszenz verdammt. Morrissey weiß genau, dass die Nabelschnur durchtrennt werden muss, und doch ist er nostalgisch auf seine Jugend und den mythischen Ruhm eines früheren Englands fixiert. Der Titel »The Queen Is Dead« bezieht sich sowohl auf das herrschende Matriarchat als auch auf Morrisseys eigene Nervenschwäche und sein Nicht-Leben. In einem weiteren Song des Albums, »I Know It’s Over«, klagt er seine Mutter an: »Oh mother / I can feel the soil falling over my head.« Er wird lebendig begraben.
An anderen Stellen seines Werks erscheinen Liebe und erfolgreiche Beziehungen als rosa Brillen, die einem die Sicht auf die Leere des Lebens vernebeln. »Auf gewisse Weise glaube ich, dass all diese Dinge wie Liebe, Sex, sein Leben mit jemandem teilen, in Wirklichkeit ziemlich vage sind«, hat er einmal gesagt. »Allein zu sein, kann viel intensiver sein.« Um seine klare Sicht zu behalten, hat er sich einem Leben verschrieben, das die Zufriedenheit eine Armlänge entfernt hält: »Ich möchte nicht, dass irgendwas in diesen Zustand der Unzufriedenheit eingreift.«
RUNNIN’ SCARED
»Wenn ich frei bin, dann nur, weil ich ständig renne.«
Jimi Hendrix
Warum sind Rock-Rebellen ständig unterwegs? Immobilität nehmen sie als Bedrohung wahr, Bewegung hingegen definiert sie als »freie Männer«. Bindung und Nähe führen schnell zur Eingrenzung.
Aus Sicht der Beatniks hielt Mobilität den Glauben an die Freiheit am Leben. In die Rockmusik fand das Beat-Ethos dann dank Bob Dylan Eingang. »Dylan war ständig unterwegs«, erklärt Philip Saville. »Ich denke, das war der Hauptgrund dafür, dass er so stark einschlug […]. Es gab diese ganze Generation junger Menschen aus der Mittelklasse, für die Dylan zum Vorbild einer Rebellion gegen die Vorschriften ihrer Eltern wurde.« Viele seiner Songs handelten von Einzelgängern und ihren einsamen Reisen. In »Hurricane« findet ein Mann sein Glück auf dem Rücken der Pferde, aber ihm droht stets das Gefängnis, wo die Gesellschaft einen freien Mann in eine Maus verwandelt. Diese heldenhaften Odysseen beginnen oft damit, dass ein Mann eine Frau verlässt (»Don’t Think Twice, It’s All Right«, »Going Going Gone«, »We Better Talk This Over«, »Isis«). In seinem Essay »Bob Dylan’s Stories About Men« schrieb Paul Hodson: »Dylan hat viele Aspekte der dominanten Kultur hinterfragt, nicht aber ihre maskuline Ausdrucksweise.« Frauen dienen den Männern immer noch als Stützen auf ihrem Weg zur Selbstverwirklichung.
An anderer Stelle identifizierte sich Dylan mit rastlosen Gesetzlosen. Seine »Ballad of Donald White« handelte von einem Mörder, der tötete, weil er, so Dylan, »keinen Platz in seinem Leben finden konnte. Nun haben sie ihn getötet, weil er keinen Platz in seinem Leben finden konnte. Sie haben ihn getötet, und als sie das taten, habe ich Teile meines Platzes im Leben verloren.« Dylan stellte sich gerne in einem ähnlichen Licht dar: Er tat so, als sei er ein Waisenjunge aus New Mexico, der einen großen Teil seines Lebens auf der Straße gelebt habe, obwohl er tatsächlich einer jüdischen Mittelklassenfamilie aus Minnesota entstammte.
Ein Zeitgenosse Dylans, der das Machohafte der Einzelgänger-Pose an die Oberfläche brachte, war der Folk-Blues-Sänger Tim Rose. Seinen eigenen Weg zu gehen, war für ihn die einzige mögliche Antwort auf eine Welt, in der man entweder Diener oder Ausgestoßener ist. In den Liner Notes zu Roses Debütalbum Morning Dew (1968) schwärmt David Rubinson mehr als nur ein bisschen von der gewaltigen Maskulinität des Sängers: »Tim Rose trifft dich in der Magengrube. […] Er ist ein Mann und er ist sein eigener Mann. Seine Songs handeln von Einsamkeit in einer Welt voller Schwächlinge. […] Man muss ihn im Ganzen schlucken – detaillierte Analysen […] dienen nur der Enthüllung der Tiefen der Maskulinität dieses Mannes. […] Und wenn du dich verschluckst, sei nicht höflich. Denn das Letzte, was Tim jemals tun würde, ist, sich dafür zu entschuldigen, in deinem Rachen zu stecken.« Faszinierende Bildsprache … vor allem der Teil, wo sich jemand an Roses enormer Männlichkeit verschluckt!
In seinen Songs spielte Rose die Rolle von emotional gepanzerten Mannsbollwerken, die ihren eigenen Gesetzen folgen (»I’m Gonna Be Strong«, »I Gotta Do Things My Way« –hier wird einer Frau widerstanden, die versucht, den Mann wie Ton zu formen), bis hin zu Frauenmördern (»Hey Joe«, »Long Time Man«). Der große Reiz seiner Songs und seines Images als harter Typ liegt darin, wie eindringlich er den schmerzhaften Preis darstellt, den er für dieses Leben zahlen muss, wie etwa in »Where Was I?«, der Wehklage eines emotional verschlossenen Mannes, der seine Gefühle sein ganzes Leben für sich behalten und jegliche Chance auf Zärtlichkeit verspielt hat.
Dylans Romantizimus in Beatnik-Tradition kreierte eine Tradition im Rock, zu der auch Bruce Springsteens Lobgesänge auf (Auto-)Mobilität gehören (»Blinded by the Light«, »Born to Run«, »Thunder Road« ad nauseam), die das Kleinstadtleben als klaustrophobische Todesfalle darstellen. Ein weiterer Erbe der Dylan-Pose ist Tom Petty. In »Free Fallin’« (Full Moon Fever, 1989) wird seine Freundin als Quintessenz von Liebe und Liebenswürdigkeit porträtiert und doch bricht er ihr das Herz, einfach weil er ein »bad boy« ist, dessen Seele bei Stillstand zu jucken anfängt. Im dazugehörigen Video gibt das Mädchen eine Gartenparty im 50er-Jahre-Stil, während Pettys Charakter die cooleren Ecken von Los Angeles mit einer Clique subkultureller Jungs und Mädchen unsicher macht. Für Petty bedeutet »Free Fallin’« – der freie Fall – eine Möglichkeit, sich von der Sterilität der »Frauenwelt« voller Einkaufszentren und Vorstädte loszusagen. Der Song greift auf Chuck Berrys prototypische Rock-’n’-Roll-Motor-Hymne »No Particular Place to Go« zurück und verbindet Berrys Freiheit auf der Autobahn mit einem moderneren Mittel der ziellosen Fortbewegung: dem Skateboard (das im Video als Symbol des freien Falls vorkommt).
Andere Songs von Tom Petty – solo und mit den Heartbreakers (vielsagender Bandname übrigens!) –, wie »King’s Highway«, »Into the Great Wide Open« und »Learning to Fly«, wiederholen schier unermüdlich diese Fantasie von der Fortbewegung als Mittel zur Überwindung der Banalität des Alltags. »Into the Great Wide Open« soll eine Satire auf bestimmte Rebellionsklischees sein – ein ironischer Kommentar des erfahrenen Onkels Petty in Richtung Guns N’ Roses und Co. Im Video richtet sich das Schicksal allerdings gegen den von Johnny Depp als punkige Marionette gespielten Rebellen mit dem geistreichen Namen Eddie Rebel. Nachdem Rebel seine Managerin (Faye Dunaway) zurückgewiesen hat, legt sie aus Rache einen Fluch über seine Karriere. Bizarrerweise wird dann auch noch seine Frau, ein Starlet, schwanger und kriegt ein Baby. Diese verdammten Frauen aber auch! Am Ende verlässt Rebel Frau und Haus auf einem Motorrad, das sein Roadie – gespielt von Petty selbst – fährt: Zwei Generationen von Rebellen reiten zusammen in den Sonnenuntergang.
NO EXPECTATIONS
Wo immer der sexuelle Nomade seinen Hut ablegt, ist sein Zuhause: eine klassische Rolle, die sich vom frühen Rock ’n’ Roll (der flüchtige Liebhaber in Dions »The Wanderer«) über den Rhythm and Blues von Mitte der 1960er (»Roadrunner« und »Don’t Bring Me Down« – was »ich brauche kein Zuhause« herausstreicht – von den Pretty Things) bis zu Heavy Metal (Led Zeppelins »Ramble On«, dessen Held sich ununterbrochen verabschiedet, um sich auf die Suche nach einer unmöglichen Traumfrau zu machen) zieht. Der Nomade steckt voller Energie und lässt sich weder auf eine Frau noch auf einen Ort reduzieren.
Die Rolling Stones verewigten diesen Typus in ihrem bereits Bewegung suggerierenden Namen und Songs wie »No Expectations« (Beggars Banquet, 1968), dem Blues eines wandernden Aufreißers. Auf dem gleichen Album greifen die Stones in »Prodigal Son« (»verlorener Sohn«) den biblischen Prototyp des ungebundenen Rebellen auf. Wie Simon Frith aufzeigt, steckt der Reiz dieser Legende in der Belohnung und Liebe, die der verlorene Sohn von seinem Vater erfährt und die jene zum Bruder, der brav zu Hause geblieben ist, noch übersteigt: Zur Feier seiner Rückkehr wird das gemästete