Rock (und das Schreiben über Rock) war immer davon angetrieben und darauf fixiert, gegen etwas zu sein. Aber die Feindseligkeit, die polarisierende Sichtweise, die Burchills scharfen und bissigen Tonfall bestimmt hat, ist heute verschwunden. Rockmuseen wie das British Music Experience stehen für den Triumph der Musikgeschichte, die als Wandteppich daherkommt, in den selbst die größten Unruhestifter wie die Sex Pistols fein säuberlich in das Gewebe eingeflochten werden. Der Krieg zwischen Old Wave und New Wave ist ferne Geschichte, was auch der springende Punkt beim Rockmuseum ist: Die Musik wird dort ohne ihre Grabenkämpfe präsentiert, alles ist eingehüllt in eine kuschelige Decke der Anerkennung und des Verständnisses. Johnny Rotten, der jetzt ein Mann mittleren Alters und milde geworden ist, gibt zum Beispiel zu, dass er trotz des »I Hate Pink Floyd«-T-Shirts, das ihm einst den Job als Sänger der Sex Pistols einbrachte, Pink Floyd immer mochte (und nicht nur die Sachen aus der Zeit mit Syd Barrett, sondern auch Dark Side of the Moon). Und Elvis Costello, diesen fiesen New Waver, der einmal abscheuliche Dinge gesagt hat, um die altersschwachen Hippies Stephen Stills und Bonnie Bramlett aufzuziehen, findet man jetzt als Gastgeber seiner TV-Show Spectacle, in der er Interviews mit Leuten wie James Taylor und Elton John führt und mit ihnen Gemeinsamkeiten in der Liebe zu Americana und Singer-Songwriter-Balladen findet.
Als nächstes gelange ich in den 80er-Raum, in dem Indie (The Smiths etc.), Metal (Iron Maiden, Def Leppard etc.) und das Manchester aus der Zeit des Haçienda-Clubs präsentiert werden. Der letzte Raum beschäftigt sich mit den 90ern und den 2000ern, was bedeutet, dass Britpop und der Boom britischer Sängerinnen (Amy Winehouse, Kate Nash, Adele, Duffy et. al.) mit den Spice Girls und den Brit Awards zusammengepfercht wurden – beide haben je einen Glasschaukasten. Die »urbane« Musik Großbritanniens (womit im Wesentlichen Grime gemeint ist) wird wiederum an einem runden Tisch verhandelt: Die MCs Dizzee Rascal, Kano und D Double E & Footsie unterhalten sich über dieses »kürzlich entstandene Genre« und ziehen den anderen Gast am Tisch, den Rap-DJ-Veteranen der BBC, Tim Westwood, damit auf, »Grime verschlafen zu haben«. Es ist bemerkenswert, dass dieser letzte Raum, der oberflächlich und hastig zusammengestellt wirkt, einen Zeitabschnitt von 16 Jahren abdeckt, während Perioden von nur vier Jahren – 1962 bis 1966 und 1966 bis 1970 – jeweils einen eigenen Raum bekommen. Das verborgene Argument dieser Museumsstruktur scheint zu sein, dass jedes einzelne Jahr in den 60ern ungefähr um ein Vierfaches aufregender war als ein beliebiges Jahr der letzten anderthalb Jahrzehnte. Nicht, dass ich widersprechen würde. Und diese Tendenz spiegelt wahrscheinlich die Ansicht des durchschnittlichen British-Music-Experience-Besuchers wider, der eher mittleren Alters denn jugendlich ist.
Ein Museum kann qua Definition der Gegenwart nicht so viel Platz einräumen. Aber die BME-Website verspricht sogar einen eigenen Raum, der nur der Zukunft und der Frage, wohin die Musik sich entwickelt, gewidmet ist. Ich habe ihn wohl übersehen, denn nach dem Raum 1993–Gegenwart finde ich mich im Museumsshop wieder. Auf dem Weg nach draußen entdecke ich eine riesige Popstar-Aufstellfigur, die den Besuchern den Weg zum Museum weist, die ich auf dem Weg hinein nicht gesehen hatte: Johnny Rotten, in ganzer Pracht, übersät mit Sicherheitsnadeln. In meinem Kopf höre ich, wie er singt, »No Future, no future / No future for you«.
DIE ROCK-BIBLIOTHEKARE
Ein paar Tage später besuche ich, was als Punkrock-Antwort auf das British Music Experience gedacht ist: die Rock’n’Roll Public Library. Für fünf Wochen öffnete der ehemalige Clash-Gitarrist Mick Jones sein Archiv mit Erinnerungsstücken für die Öffentlichkeit in einer Suite in den Ladbroke-Grove-Büros, direkt unter dem zweispurigen Westway. Der Eintritt ist kostenlos (für zehn Pfund kann man sich einen USB-Stick kaufen und darauf Scans von den Magazinen, Büchern und anderen Druckerzeugnissen speichern, die ausgestellt sind). Die Presseankündigung für die Rock’n’Roll Public Library posaunt Jones’ Großzügigkeit heraus und sieht sie als eine »direkte künstlerische Provokation von Unternehmen wie der O2-British-Music-Experience« und rät Besuchern, sie sollten, anders als es der betuliche Titel vermuten lässt, nicht »Ruhe und Frieden erwarten«.
Als ich an einem Samstag um die Mittagszeit dort vorbeischaue, ist es dort allerdings sehr ruhig, während es auf dem Portobello-Vintage-Klamotten-Markt gegenüber sehr lebendig zugeht. Und diese gemütlich wirkende Sammlung von Souvenirs und Erinnerungsstücken, die Überbleibsel eines Lebens, das im Zeichen des Rock’n’Roll stand, mutet nicht wie eine Provokation gegenüber irgendwas Bestimmtem an. Artefakte, die etwas mit The Clash oder Punk zu tun haben (verstaubte Verstärker, ein Watkins Copicat-Effektgerät, eine handgemalte Tourkarte von 1982 mit dem Namen Rat Patrol Over South Asia & Australia), stehen dicht gedrängt neben Krimskrams, wie man ihn auch auf dem Flohmarkt auf der anderen Straßenseite findet: Altmodische Kameras, Radios und Super-8-Equipment, ein Spike-Milligan-Jahrbuch, ein Diana-Dors-Klappcover. Entsprechend der Begeisterung von The Clash für Militarismus sind die Wände mit Aquarellen im Stile des 19. Jahrhunderts bedeckt, die Schlachtszenen und Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg zeigen, etwa das Hissen der amerikanischen Flagge durch US-Marines auf Iwo Jima.
Abgesehen von ein paar seltsamen Youngstern sind die Besucher hauptsächlich Veteranen der Punk-Kriege. Da ist ein Paar mittleren Alters, die Frau ist mollig und hat eine lila Strähne im Haar, der Mann trägt ein Pistols-T-Shirt und einen ungepflegten Iro. Und es gibt eine scheinbar endlose Zahl von Typen mit genau den cowboyartigen Hüten, die auch The Clash und Big Audio Dynamite vorzugsweise getragen hatten. Einer von diesen Ewiggestrigen mit so einem bescheuerten Hut – ein Clash-Fan aus Manchester – setzt sich neben mich, und obwohl noch nicht einmal Mittag, ist er schon ziemlich betrunken und drängt mir Geschichten auf, wie er bei einem Clash-Konzert auf die Bühne gestiegen sei und eingeladen wurde, die Akkorde A, E und G zu spielen. Schließlich entschuldige ich mich und mache mich aus dem Staub, flüchte in einen Seitenraum, der eine Höhle aus Pop-Zeitschriften ist: Ausgaben von Crawdaddy! und Trouser Press, CREEM und ZigZag sind in durchsichtige Hüllen gestopft und sorgsam an die Wände geheftet.
Durch das ganze Büro tönt in moderater Lautstärke ein Musikstream im Stil von Radio Clash mit den Lieblingsliedern von Mick Jones. Es läuft »Memo from Turner«, ein Mick-Jagger-Song vom Performance-Soundtrack. Mir kommt sofort die Clash-Wir-leben-im-Jetzt-Hymne »1977« mit ihrem Refrain »No Elvis, Beatles or the Rolling Stones in 1977« in den Sinn. Dann fällt mir das signierte Beatles-Poster von der Royal Command Perfomance im London Palladium 1963 auf, das gerahmte Foto des jungen Jagger und des jungen Richards. Aber The Clash haben sich schon vor langer Zeit selbst in den Rockkanon gespielt – bereits mit London Calling, das Punk zurück zur Vielfalt des Rock’n’Roll und Americana brachte, und das vom Rolling Stone als bestes Album der 80er gewürdigt wurde.
Während ich die Rock’n’Roll Public Library abgrase, denke ich daran zurück, wie ich Mick Jones 2003 im TV gesehen habe, als The Clash in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen wurden. Letztere, von Jann Wenner vom Rolling Stone mitbegründet, steht nicht nur für eine Preisverleihung, sondern auch für das erste Rockmuseum der Welt: The Rock and Roll Hall of Fame and Museum, das 1995 in Cleveland eröffnet worden ist. Bei der Ehrung 2003 sah Mick Jones – kahl werdend, in schwarzem Anzug und mit Krawatte – nicht aus wie ein Rock’n’Roll-Soldat, der eine Medaille erhält, sondern vielmehr wie ein gebückter Angestellter, der zum Podium schlurft, um nach 45 Jahren treuem Dienst für die Firma seinen Pensionsscheck abzuholen. Die demütige Zustimmung